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NEBEN Schauplatz: Ballermann am Donaustrand

Bevor der merkwürdige Swingertreff auf dem Sandplatz eröffnet werden kann, heißt es für die angemalten Mädchen: abwarten und Sekt trinken. Es sind wahrlich keine Burgschauspielerinnen, die sich hier versammelt haben.

Bevor der merkwürdige Swingertreff auf dem Sandplatz eröffnet werden kann, heißt es für die angemalten Mädchen: abwarten und Sekt trinken. Es sind wahrlich keine Burgschauspielerinnen, die sich hier versammelt haben. Wer in Filmen wie „Hohe Hacken, nackte Sohlen“, „Schlaflos in Berlin“ oder „Spritztour“ mitgewirkt hat, der ist das Warten auf den männlichen Hauptdarsteller vermutlich gewohnt. Endlich braust ein schwarzer Mercedes mit Münchner Kennzeichen heran und ihm entsteigt eine alte Frau: Jürgen Drews.

Der deutsche Schlagerstar wird bereits sehnsüchtig erwartet, zumindest von der Medienmeute. Die Kamerateams fallen über ihn her, als gelte es Jürgen Klinsmanns Inthronisation beim FC Bayern nachzustellen. Was auf den freizügigen Pressefotos nicht fehlen darf, ist natürlich der purpurne Umhang, der den 63-Jährigen als „König von Mallorca“ ausweist. Selten lag der Ballermann näher am Donaustrand. Für gewöhnlich ist der „Vienna City Beach Club“ ein Refugium der Ruhe, direkt an der Donau. Es ließe sich auch darüber hinwegschauen, dass absurde Muskelberge zur Schau gestellt werden und eine immerwährende Tattooschau der übelsten Motive stattfindet. Doch jetzt hat ein niederländischer Internetanbieter zum „Nacktfußballspiel“ geladen. Zwölf Pornostarlets warten zwischen den Strandkörben auf ihren Einsatz. Wenn eine von ihnen mit dem „Sexy Soccer“-Pokal posiert und dabei mit der Zunge über den Silberpott schleckt, möchte man ihr zurufen: Weiß deine Frau Mutter eigentlich, was du da machst? Draußen schauen ehemalige Kolleginnen vorbei. Im Fußball wäre man jetzt Komoderator, Experte oder Kolumnist, die Pornobranche kennt solche Jobs nicht.

Die Stadionsprecherin heißt Renee Pornero, feierte ihre größten Erfolge in „Porn Valley“ und befiehlt mit schriller Stimme: „Zeigt mal eure hübschen Popos in die Kamera!“ Draußen am Spielfeldrand stehen inzwischen über 300 Zuschauer, größtenteils Männer, und heben gleichzeitig die Hände zum Himmel: mit ihrem Fotohandy oder gleich mit digitaler Spiegelreflexkamera. Natürlich wird keine verbale Steilvorlage ausgelassen, die die Parallelwelten Fußball und Porno zulassen. Latte, Spitze, eins, zwei, drei. Wenn man die 28-jährige Pornero sprechen hört, wird einem sogar Steffen Simon als Kommentator erträglich. Jürgen Drews interessiert sich nicht für den Spielverlauf. Während der ersten Halbzeit sieht man den König von Vienna, wie er seine Halbplayback-CD am Mischpult abliefert und zur Probe einen Tisch erklimmt. Kurze Zeit später wird er wieder von drängelnden Kamerateams umringt. Immer in vorderster Front stehen die Reporter von RTL, bild.de und ORF, aber auch die Nachrichtenagenturen Reuters, ddp und dpa haben Mitarbeiter zum Tittenkick beordert.

Zur Halbzeit werden die Klänge von „Cafe del Mar“ 1 bis 10 dann erwartungsgemäß von Onkel Jürgens Kirmestechno abgelöst. Drews singt seinen aktuellen Fußball-Hit: „Wir wollen hüpfen, hüpfen, hüpfen.“ Natürlich wird diese Zeile in einer Endlosschleife wiederholt und mit dem Zusatz „wir haben Durst“ beschlossen. Georg Kreisler dürfte sich im Grab umgedreht haben. Drei deutsche Fans auf großer Herrentour in der Kulturstadt sind willfährigere Claqueure. Ballack, Frings und Präsi, wie man auf ihren Trikots nachlesen kann, lassen sich nicht lange bitten und starten eine veritable Polonaise: bewaffnet mit schwarz-rot-goldener Hawaii-Blumenkette und regionalem Dosenbier. Österreich gewinnt 10:5 gegen Deutschland. Jürgen Drews überreicht den Siegerpokal. Und die Spielerinnen stürzen sich auf den Champagner.

Den einzigen Sex hatten an diesem Nachmittag zwei Strandköter. Den Kollegen von RTL, bild.de und ORF ist diese Szene entgangen. Thorsten Schaar

Thorsten Schaar

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