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NEBEN Schauplatz: Geht’s hier zur Teeküche?

Die Umkleidekabine im Ernst-Happel-Stadion ist der Nacktmull unter den Fußballorten. Es gibt nur zehn Duschen. Aber auch sie hat etwas Gutes

Eine Frechheit eigentlich, hier von Nebenschauplatz zu reden. Hier wird die EM vorentschieden, mindestens: Hier wird der Trainer der kommenden Meistermannschaft seinem Lieblingsspieler den entscheidenden taktischen Kniff zuraunen. Hier wird er seine Spieler nach dem Halbzeitrückstand so feldwebelmäßig anbrüllen, dass sie gar nicht mehr anders können als gewinnen. Und hier wird sich heute erst einmal die österreichische Mannschaft vor dem Spiel gegen Kroatien umziehen und mit den Klamotten die ganze Angst ablegen vor dieser Europameisterschaft. Ja, genau hier. In der Umkleidekabine des Wiener Ernst-Happel-Stadions. Nebenschauplatz? Hallo?

Eine viertelstündige Besichtigung – und die Kabine hat sich doch noch für diese Rubrik qualifiziert. Denn in diese Umkleidekabine kann man nichts hineingeheimnissen. Hier werden Mannschaften aufbewahrt. Dieser Raum ist der Nacktmull unter den Fußballorten. Fangen wir außen an, an der Tür. Das Schild daneben sieht so aus wie die Dinger, die in Bürogebäuden der siebziger Jahre den Weg zur Teeküche wiesen. Mit weißen aufgesteckten Buchstaben auf grauem Grund.

Weil es die Umkleidekabine des Ernst-Happel-Stadions ist, treten wir trotzdem ein. Für diese Kabine müsste der Begriff Neue Sachlichkeit noch einmal neu erfunden werden. Oder sagen wir einfach: Neueste Sachlichkeit. Die Sitzplätze der Spieler laufen einfach an der Wand entlang. Wie soll denn so Gruppendynamik entstehen? Die Kabine riecht nach Frontalunterricht. So kann das nix werden.

Der Boden ist graubraunes Linoleumzeug, die Umkleideplätze sind in dunklem Braun gehalten. Jeder Fengshui-Meister würde bei diesem Anblick das Aussterben der europäischen Art vorhersagen. An der anderen Wand stehen zwei Massageliegen, die bestimmt nach der EM sofort wieder für Fußreflexzonenmassagekurse an der nächstgelegenen Volkshochschule eingesetzt werden. Nebenan ist der Sanitärbereich, zwei Türen führen dorthin. Und noch einmal: große Enttäuschung. Drei Urinale, drei WC-Boxen, zehn Duschen. ZEHN! Wer war das? Ein österreichischer Installateur, der aus der Enttäuschung der vergangenen Jahre einfach vergessen hat, wie Fußball geht und mit wie vielen Fußball geht? Wollen wir ihm mal zugute halten, dass er gnadenlos überheblich ist. Dass er glaubt, dass der österreichische Torwart sich nicht anstrengen muss und deshalb ungeduscht in seinen Ausgehanzug schlüpfen kann.

Hier nach einem Entmüdungsbecken zu fragen wäre in etwa so, wie in der Jugendherberge nach dem Wasserbett zu suchen.

Aber nun zu den sachlichen Hintergründen: In diesem Stadion ist kein Klub zu Hause. Es ist ein Nationalstadion. Also: nur Länderspiele, vielleicht mal ein Endspiel um einen Europapokal, ansonsten Sportfeste und Konzerte und vielleicht noch Massensegnungen irgendwelcher Sekten. Deshalb hat sich hier auch keiner richtig eingerichtet. Das Stadion ist insgesamt kein Schmuckkästchen, die Tribünen sind nicht Steil genug, die Leichtathletikbahn liegt wie ein Bremsstreifen für Emotionen zwischen Spiel und Publikum. 37 Millionen Euro haben sich die Stadt Wien und die Republik Österreich geteilt, um das Ernst-Happel-Stadion aufzumotzen für die Europameisterschaft. Es ist doch das Stadion des Finales. Sie haben die Tribünen umgestaltet, neue Zäune gebaut, Reporterkabinen eingerichtet. Nur eines haben sie vergessen: ein bisschen, wenigstens ein bisschen eitel zu sein.

Doch genug jetzt. Die EM hat angefangen, heute beginnt sie auch im Wiener Ernst-Happel-Stadion, und auch diese Umkleidekabine hat das Recht, sich bewähren zu können, ja, Fußballgeschichte zu schreiben. Auch an ihr muss irgendetwas Gutes dran sein. Vielleicht ist es das: Die Kabine zerstört das Vorurteil vom verwöhnten Fußballprofi, der vor dem Spiel seine Schuhe an eine Schnürsenkelbindemaschine hält und sich in der Pause auf dem Kanapee mit Trauben beregnen lässt. Diese Kabine ist einfach ehrlich. Friedhard Teuffel

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