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Große Sprünge dank Entwicklungshilfe: Deutsches Geld sicherte die Teilnahme afrikanischer Sportler an Olympia 1972 - und zuvor schon afrikanische Stimmen bei der Münchner Bewerbung.

© AFP

Neue Studie zu Olympia 72: Nazi-Konzepte und ein Scheck der Bundesregierung

Eine Studie über Olympia 1972 legt offen, wie die Bundesrepublik die Bewerbung mit Geld für afrikanische Stimmen flankierte und wie die Münchner Organisatoren vieles von den Berliner Nazi-Spielen 1936 übernahmen und uminterpretierten.

Die kollektive Erinnerung an die Olympischen Spiele 1972 in München reduzierte sich zuletzt auf ein paar Bilder. Auf den sensationellen Olympiasieg der erst 16-Jährigen Ulrike Meyfarth. Auf das innerdeutsche Duell der 4x100m-Staffel der Frauen, das Heide Rosendahl für die Bundesrepublik entschied. Auf die spektakulären sieben Goldmedaillen des US-Schwimmers Mark Spitz. Und noch mehr auf das Attentat der palästinensischen Terroristen, dem zwölf israelische Sportler zum Opfer fielen. Die Spielfilme One Day in September (1999) und Munich (2006) setzten diesem Terrorakt filmische Denkmäler. Aber über den berühmten Satz des damaligen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Avery Brundage, hatte sich auch längst der Staub der Geschichte gelegt: „The games must go on.“

Dabei erzählt München ’72 viel mehr, wie nun die beiden Wissenschaftler, der deutsche Historiker Kay Schiller und der britische Germanist Christopher Young, in einem herausragenden Buch in Erinnerung rufen. In „The 1972 Munich Olympics and the Making of Modern Germany“ beschreiben sie das Weltereignis als gelungenen Versuch, die noch junge Bundesrepublik als neuen, modernen Staat darzustellen. Ein Beleg dafür ist ein Brief des damaligen Außenministers Walter Scheel an alle deutschen Botschaften aus dem Jahre 1970. Darin verwies Scheel auf die prekären Nazi-Spiele 1936 in Berlin – und forderte dazu auf, einen Gegenentwurf zu Berlin, nämlich „ein Bild des modernen Deutschland mit allen seinen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aspekten zu vermitteln“.

Schiller und Young betten das olympische Geschehen stets in den komplizierten gesellschaftlichen und olympischen Kontext ein. Dabei setzen sich die Autoren auch damit auseinander, auf welch geniale Weise der Designer Otl Aicher ein einheitliches Erscheinungsbild der Spiele konzipierte. Sie illustrieren dabei anschaulich, dass die Münchener Organisatoren sich auch der vorliegenden Konzepte der 1936er-Spiele bedienten. Allerdings interpretierten sie diese radikal, nämlich demokratisch um.

In der Figur Aicher spiegelt sich die komplexe deutsche Geschichte. Schließlich war Aicher verheiratet mit einer Schwester der von Nazis ermordeten Geschwister Hans und Sophie Scholl. Dieser Name stehe den Münchner Spielen „in Anbetracht der politischen Propaganda aus dem Osten“ gut an, notierte damals Willi Daume, der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland (NOK), der gemeinsam mit Münchens Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel die Spiele in die bayerische Landeshauptstadt holte, sie auf dem Reißbrett entwarf und organisierte. Nicht nur dieses Zitat macht deutlich, dass alles, was mit München zusammenhing, politisch stark aufgeladen war – nicht nur wegen der NS-Vergangenheit, sondern auch wegen des Kalten Krieges, der bekanntlich im Leistungssport einen starken Ausdruck fand.

Ohne den intellektuellen Machtmenschen Daume wäre München unmöglich gewesen, wie bereits die kurze Bewerbungsphase in den Jahren 1965 und 1966 veranschaulicht. Bevor München sich auf der IOC-Session 1966 in Rom gegen die Konkurrenz aus Detroit, Madrid und Montreal durchsetzte, hatte es mehrfach gegen das IOC-Verbot verstoßen, sich während der Bewerbungsphase persönlich oder über diplomatische Kanäle den IOC-Mitgliedern anzunähern. Dieses Verbot existierte seit 1964, nachdem es Gerüchte gegeben hatte, Tokio habe während der IOC-Session 1959 in München Prostituierte eingesetzt, um sich die Spiele 1964 zu sichern.

So flankierte die Bundesregierung die Bewerbung mit viel Geld. Marokko sei 1966 Entwicklungshilfe in Höhe von 194 Millionen Mark angeboten worden, bevor das marokkanische IOC-Mitglied Hadj Mohammed Benjelloun den Deutschen nicht nur seine Stimme, sondern auch die der IOC-Mitglieder Tunesiens, des Senegals und Ägyptens zusicherte. Später war Daume überzeugt, die afrikanischen Mitglieder hätten geschlossen für München votiert. Die sportliche Entwicklungshilfe des Auswärtigen Amtes stieg vor den Spielen von 685.000 auf 1,8 Mio. DM rasant an. Allein 500.000 Mark gab das Auswärtige Amt aus, um die Vorbereitung afrikanischer Athleten auf die Spiele zu finanzieren. Daume übergab 1970 in Lagos eine Million Mark an westafrikanische NOKs, welche die Teilnahme afrikanischer Athleten und den Bau einer Tartanbahn zu ermöglichen.

Daume war über alle politischen Aktivitäten stets informiert. Daher konnte er 1969 noch die Befürchtungen Vogels vor einem möglichen Boykott afrikanischer Staaten wegen der Teilnahme Rhodesiens und Südafrikas zerstreuen: Die Afrikaner hätten just, berichtete Daume Vogel in einem Brief, „einen dicken Scheck der Bundesregierung“ erhalten.

Kay Schiller/Christopher Young: "The 1972 Munich Olympics and the Making of Modern Germany". University of California Press, Berkeley/Los Angeles/London, 352 Seiten, 24,95 Dollar.

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