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Sport: Neuer Charakter

Die deutschen Hockeyfrauen haben sich mit dem Olympiasieg selbst überrascht

In der Nacht zum Freitag gegen ein Uhr änderte das Deutsche Haus in Athen plötzlich seinen Charakter. Zwei Wochen lang hat es eine exklusive und langweilige Gesellschaft beherbergt, weil der Bundesgrenzschutz von jedem Besucher Akkreditierungen verlangt und die Fingerabdrücke überprüft hatte. Plötzlich aber durften rund200 Besucher unkontrolliert in den Hof strömen. Diese Besucher konnte selbst ein Lied von Wolfgang Petry nicht mehr vom Tanzen abhalten. Sie hüpften, klatschten und sangen – und mittendrin feierten die deutschen Hockeyfrauen.

Die Mannschaft hatte darauf bestanden, ihre zweihundert Fans mit ins Deutsche Haus nehmen zu dürfen. So kam es, dass dieser Ort drei Nächte vor dem Ende der Spiele seine bislang beste Party erlebt hat. Stimmungsfördernd wirkte sich dabei aus, dass die Hockeyfrauen von Bundestrainer Markus Weise zuvor völlig überraschend die favorisierten Holländerinnen mit 2:1 bezwungen hatten. „Das ist wie ein Lottogewinn“, sagte der Bundestrainer. Weise hatte vor dem Finale scherzhaft gesagt, dass er nackt durch das Olympische Dorf rennen würde, wenn sein Team gegen Holland gewinnen würde. Das hatten die Spielerinnen nicht vergessen. Sie sangen: „Nackt durchs Doorrf, nackt durchs Doorrf.“ Weise aber wollte am Tag seines größten Erfolges nichts mehr davon wissen.

„Eigentlich wollten wir nur die Großen ein bisschen ärgern“, sagte Marion Rodewald am Morgen danach. „Ich habe nur eineinhalb Stunden geschlafen, aber ich habe nicht viel getrunken, ich wollte das alles genießen.“ Die Spielführerin hat bereits gemerkt, was ihr Erfolg in der Heimat ausgelöst hat: „Plötzlich guckt ganz Deutschland auf uns.“ Am Freitag musste sie noch auf das Kreuzfahrtschiff der ARD, später wollte sie den Handballern und den Hockeyherren zusehen. „Und dann feiern wir wieder“, sagte Rodewald.

Die erste olympische Goldmedaille einer deutschen Frauenmannschaft kommt dem Bundestrainer wie ein Wunder vor. „Positiver Erklärungsnotstand“, sagt er dazu. „Vor zwei Jahren sind wir noch von der Weltklasse weggebügelt worden.“ Nach den beiden Niederlagen in der Vorrunde aber „ist es uns gelungen, eine Dynamik aufzubauen“. Nun wünscht sich Weise einen langfristigen Effekt: „Es ist wichtig, dass die gesamte deutsche Sportlandschaft in den Fokus der Leute kommt. Alles dreht sich nur um Michael Schumacher, die Sache ist nicht ausgewogen.“

Vermutlich aber werden die deutschen Hockeyspielerinnen nur selten eine solche Wertschätzung erleben wie am Donnerstagabend, als das Team ins Deutsche Haus eingeladen wurde. Die Spielerinnen setzten sogar durch, dass ihre Fans mitfeiern durften, die teilweise nur zum Finale angereist waren. Zunächst sollten die Fans 45 Euro zahlen. Die Hockeyfrauen weigerten sich. NOK-Präsident Klaus Steinbach sagte schließlich freien Eintritt zu. Fortan beäugte zwar der Bundesgrenzschutz die ausgelassene Gesellschaft misstrauisch, doch Steinbach wird seine Entscheidung nicht bereut haben. Zu später Stunde sah man ihn mit dem Oberkörper im Takt der Musik wippen.

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