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Sport: Neues Wort: Europhorie Österreich will nach

der EM so weiterspielen

Wien - Geplant war, in aller Bescheidenheit, ein Wunder. Aber das geschieht auch im Fußball eher selten, „sondern nur alle 30 Jahre“, wie der Philosoph Otto Rehhagel unlängst enthüllt hat. 30 Jahre nach jenem legendenumwobenen Sieg über Deutschland irgendwo in Argentinien hielten die Österreicher die Zeit mal wieder gekommen für ein Wunder. Weil es nun ausblieb am Montagabend, deutete die seriöse Tageszeitung „Der Standard“ das 0:1 gegen Deutschland schnell und geschickt um zur „Wunde von Wien“. Die österreichischen Boulevardblätter beschränkten sich bei der Gestaltung ihrer Titelseiten weitgehend auf drei Buchstaben, A, U und S, angesichts der kleinen Papierformate eine sehr praktische Lösung.

Josef Hickersberger ist ein Mann, der irgendwie immer traurig ausschaut oder zumindest melancholisch. Was heißt hier, die EM sei vorbei, „sie geht doch erst richtig los“, sagt er. Es wird spannend sein zu beobachten, wie viel die Österreicher von der Heiterkeit der vergangenen Tage hinüberretten in die letzten zwölf Tage der Europameisterschaft. „So eine Begeisterung habe ich noch nie erlebt“, schwärmt der österreichische Kapitän Andreas Ivanschitz. Die Österreicher haben ein neues Wort erfunden: Europhorie. 350 000 sollen sich am Montag in den Fanzonen im ganzen Land vergnügt haben. Und auch wenn das Vergnügen aus ergebnistechnischen Gründen ein wenig zu kurz kam, staunten doch gerade die ausländischen Gäste. Über die Ausgelassenheit und Heiterkeit in einem Land, aus dem in der jüngeren Vergangenheit doch eher bedrückende Nachrichten hinaus fanden.

Josef Hickersberger kommt aus Amstetten, worauf er wahrscheinlich nicht so gern angesprochen wird, denn welcher Österreicher wird in diesen Tagen schon gern auf Amstetten angesprochen. Der Bundestrainer ist ein ruhiger, bedächtiger Mann. Er spricht so langsam, dass man sich in Österreich oft darüber lustig gemacht hat. Das erste Mal vor 17 Jahren, als er schon mal Bundestrainer war, bei der Niederlage gegen die Färöer, von deren Existenz viele Österreicher damals gar nicht wussten. Auch in seiner zweiten Amtsperiode spielte die Nationalmannschaft lange Zeit auf dem Niveau eines Fußballentwicklungslandes und veranstaltete ein Freundschaftsspiel gegen Kuba vorsichtshalber unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das ist erst ein paar Wochen her, und der bedächtige Herr Hickersberger verweist gern auf die damalige Stimmung, wenn ihm jetzt zu viel über Enttäuschung geredet wird.

Die Österreicher sind daran gescheitert, dass sie in drei Spielen nur ein Tor geschossen haben, es war ein noch dazu unberechtigter Elfmeter in der Nachspielzeit gegen Polen. Hickersberger hält dem entgegen, „dass unsere beiden Niederlagen gegen Kroatien und Deutschland durch einen Elfmeter und einen Freistoß zustande kamen“. Aber das erklärte Ziel, die Qualifikation für das Viertelfinale, sei nun mal verfehlt worden, „und dafür ist natürlich der Teamchef verantwortlich“. Sagt Hickersberger. Der Teamchef. Sein Vertrag läuft zum Jahresende aus. Österreich scheint in diesen Tagen zu befürchten, er werde ihn vielleicht nicht verlängern.

Gestern nun hat Hickersberger das erste Mal laut und deutlich gesagt: „Ich will weitermachen.“ Sven Goldmann

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