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Nick Heidfeld: ''Man fühlt sich wie ein Raubtier''

Wie fährt man eigentlich einen Rennwagen? Hier erklärt BMW-Pilot Nick Heidfeld die Grenzen und Gefahren in der Formel 1 - und warum man nicht schneller ist, wenn man pinkeln muss.

VOR DEM START

Ich bereite mich mental auf das Rennen vor, indem ich mich noch mal hinlege und innerlich schon einmal den Start ablaufen lasse. Ich überlege mir, wer was machen könnte, auch wenn das natürlich bei 20 Autos fast unmöglich ist. Auch körperlich übe ich noch einmal vorher alle Bewegungen, die ich dann machen muss.

START

Das ist die spannendste Phase des Rennens. Wenn die rote Ampel ausgeht, probiere ich möglichst schnell zu reagieren. Dann muss man in Bruchteilen von Sekunden entscheiden: Fahre ich geradeaus, nach links oder rechts, attackiere ich, verteidige ich meine Position nach hinten? Wenn ich merke, ich komme schlecht weg, schaue ich sofort in die Rückspiegel und verteidige – obwohl man in Formel-1-Spiegeln kaum was sieht. Bei einem guten Start gucke ich nur nach vorne. Dann die richtige Lücke zu finden, ist eine Mischung aus Intuition und Erfahrung.

KOMFORT

Ein Vorteil ist es, wenn man kleiner und leichter ist. Das Cockpit ist ja ziemlich eng, und ich kann darin bequemer sitzen als etwa mein Teamkollege Robert Kubica. Der ist größer und muss die Beine immer anwinkeln. Zum anderen kann ich durch mein geringeres Gewicht mehr mit der Gewichtsverteilung am Auto spielen und die Balance freier einstellen.

KURVE

Um erfolgreich im Motorsport zu sein, muss man die Veranlagung haben, den Grenzbereich des Autos zu spüren. Zum Beispiel, wenn es sich in der Kurve leicht bewegt, kurz bevor es mit dem Heck ausbrechen würde. Das spürst du mit deinem Hintern und deinem ganzen Körper und kannst entsprechend darauf reagieren. Durch die Fliehkräfte wird die Nackenmuskulatur extrem beansprucht. Weil der Großteil der Kurse im Uhrzeigersinn verläuft, haben wir Piloten auf der rechten Nackenseite stärkere Muskeln. Schwierig wird es auf Strecken, die in die andere Richtung gehen wie in Brasilien. Aber die Kräfte wirken auch auf den Rest des Körpers. Da muss man muskulär fit sein und auch Ausdauer haben, weil die Rennen lang sind. Selbst die Gesäßmuskeln werden stark beansprucht, denn die Beine dürfen ja nicht ständig hin- und herschleudern.

UNFALL

Ein Crash kann im Zweikampf passieren, im Normalfall ist es aber ein Dreher oder ein technischer Defekt. Wenn du dich drehst, hoffst du, dass es noch gut geht, und versuchst, irgendwelche Gegenaktionen am Lenkrad zu machen – das läuft rein intuitiv ab, hilft aber meist nichts mehr. Dann bleibt nur, so hart wie möglich zu bremsen. Irgendwann nimmst du die Hände vom Lenkrad und kreuzt sie vor der Brust, um den Einschlag abzudämpfen. Und dann wartest du und hoffst, dass es nicht so schlimm wird. Danach merkst du sofort, ob etwas weh tut oder nicht. Wenn es ein bisschen heftiger war, habe ich meistens Kopfschmerzen. Der Rest ist recht gut geschützt, aber der Kopf kann sich trotz der nahen Cockpitwände und des Hans-Systems noch ziemlich frei bewegen. Den Nacken spürt man dann einen Tag später. Das Bewusstsein verloren habe ich bei einem Unfall noch nie.

REGEN

Das ist eine der gefährlichsten Situationen überhaupt. Als Fahrer sieht man noch weniger als auf den Onboard-Aufnahmen – die Kamera ist ja höher montiert. Je mehr Wasser auf der Strecke ist, je schneller man fährt und je mehr Autos vor einem sind, desto mehr Gischt wird hochgesprüht. Da fährt man dann ein bisschen versetzt zum Vordermann, aber das hilft nicht viel. Ich probiere dann, dicht am Streckenrand zu fahren, um die Meterzeichen oder andere markante Streckenpunkte zu sehen, denn die Kurve erkennt man ja nicht. Wenn es zu regnen beginnt, merke ich mir sofort solche Markierungen, um die Brems- und Lenkpunkte zu finden. Zusätzlich helfen mir noch das Zeitgefühl und das Geräusch der anderen Motoren. Man muss auch auf Pfützen achten und dann langsam durch. Außerdem muss man in den Kurven eine andere Linie fahren, weil die Ideallinie durch den Gummiabrieb der Reifen besonders rutschig ist. Teilweise kann man im Regen nicht einmal auf der Geraden Vollgas geben – beim letzten Rennen in Silverstone haben sich Autos auf gerader Strecke gedreht.

GERADE

Auf langen Geraden denke ich an nichts Bestimmtes. Ich nutze diese Verschnaufpause eher, um mich kurz zu entspannen, einfach mal tief durchzuatmen und den Körper zu entspannen. Rechtzeitig vor der Kurve muss man aber die Konzentration wieder finden. Den viel zitierten Geschwindigkeitsrausch gibt es übrigens nicht. Es ist egal, ob man 200 oder 350 fährt.

ÜBERHOLEN

Man kann schon sagen, dass man sich da ein bisschen wie ein Raubtier fühlt. Du bist dahinter in Lauerposition, spürst, dass du schneller bist und wartest auf diese eine Chance. Wenn sie da ist, musst du innerhalb von Sekundenbruchteilen abwägen, ob du jetzt da reinfliegst oder nicht. Es kann gut gehen, aber auch zum Crash führen.

BEDÜRFNISSE

Wenn man im Auto mal muss, dann muss man einfach laufen lassen. So ein Rennen dauert ja bis zu zwei Stunden, und da kann das schon mal vorkommen. Ich glaube, mein Teamchef würde mir schon was erzählen, wenn ich einfach anhalten und aufs Klo gehen würde. Man fährt übrigens nicht schneller, wenn man dringend pinkeln muss.

ZIEL

Vorbei ist der Tag damit für einen Piloten nicht. Nach einem Rennen gibt es noch Teambesprechungen und Interviews. Da vergeht so viel Zeit, dass man anschließend auch locker wieder im normalen Straßenverkehr fahren kann. Da kann ich dann gut umswitchen und fühle mich nicht etwa noch wie auf der Rennstrecke.

BMW-Fahrer Nick Heidfeld ist am Sonntag einer der Favoriten beim Rennen auf dem Hockenheimring. Mit ihm sprach Christian Hönicke.

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