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Sport: Noch weniger Kontrolle

In dem schwerverletzten Hans Grugger fordert die Streif in Kitzbühel ihr nächstes Opfer

Eigentlich vergeht kaum ein Jahr, in dem es bei der Abfahrt auf der Streif in Kitzbühel keinen schweren Sturz gibt. Am Donnerstag hat es Hans Grugger erwischt. Der Österreicher nahm beim Training den Sprung in die Mausefalle nicht richtig und schlug danach mit dem Hinterkopf auf die Eispiste. Umgehend wurde der 29-jährige Abfahrtsspezialist in die Innsbrucker Uniklinik geflogen. Die Diagnose: Schädelhirntrauma und Verletzungen im Brustbereich. Der vierfache Weltcupsieger wurde sofort notoperiert. Bei diesem mehrstündigen Eingriff wurde erfolgreich ein Blutgerinnsel entfernt. Anschließend ist der Patient auf die Intensivstation verlegt worden.

Grugger hatte eine Links-rechts-Kombination falsch eingeschätzt. Und deswegen den richtigen Moment zum Absprung verpasst. Noch in der Luft wollte er seine Körperstellung korrigieren – ohne Erfolg. „Die Vorbereitungszeit auf den Sprung ist kürzer als im vergangenen Jahr, der Kurs dreht in der Passage etwas mehr“, erklärte der ehemalige Skirennläufer Hans Knauss, der mit einer Kamera zuvor über die Piste gefahren war.

„Ich bin über meinen Luftstand auch erschrocken“, sagte der Schweizer Tobias Grünenfelder, der vor Grugger gefahren war. „Ich habe Tempo rausgenommen, weil ich mich nicht getraut habe, voll durchzuziehen“, gab Mario Scheiber zu. Für den Österreicher sei es gestern entscheidender gewesen, nach dem Training heil ins Hotel zu kommen. Klaus Kröll, am Samstag Sieger in Wengen, sagte über die Streif: „Man hat noch ein wenig weniger Kontrolle über die Ski.“ Günter Hujara wollte das nicht bestätigen. „An der Vorbereitung der Strecke oder zu diesem Sprung hat es sicher nicht gelegen“, sagte der Renndirektor des Internationalen Skiverbandes. Die Mausefalle sei in diesem Jahr nicht gefährlicher und die Strecke nicht schneller als sonst. Dass der Helm die Kopfverletzung nicht verhinderte, erklärte der Renndirektor so: „Wenn einAufprall bei so einer Wucht passiert wie zum Beispiel heute, dann ist auch die Dämpfungskraft eines Helmes begrenzt.“

Vor zwei Jahren hieß das Opfer Daniel Albrecht. Der Schweizer war beim Zielsprung 70 Meter weit geflogen und ebenfalls mit dem Kopf auf der Piste aufgeschlagen. Die Diagnose damals war die gleiche wie bei Grugger: Schädelhirntrauma und Lungenquetschung. Zur Sicherheit versetzten die Ärzte ihn drei Wochen in ein Koma. Vor einem Jahr war Albrecht für eine Pressekonferenz nach Kitzbühel zurückgekehrt, in diesem Jahr rutschte er die 3312 Meter lange Streif auf Ski ab. „Nachdem ich im Sommer zu Fuß die Strecke abgelaufen bin, mochte ich sie jetzt wieder auf Ski befahren, um ein Gefühl für sie zu bekommen“, sagte der 27-Jährige. Starten aber wollte er nicht.

Die Liste der Opfer lässt sich fast beliebig erweitern. 2008 war der US-Amerikaner Scott McCartney wie Albrecht beim Zielsprung abgehoben und mit einem Schädelhirntrauma ins Koma gestürzt. 1999 wurde die Karriere von Patrick Ortlieb schmerzvoll beendet. Zehn Jahre davor wurde Brian Stemmle bei der Steilhangausfahrt ins Fangnetz geschleudert. Der Prototyp der „Crazy Canucks“ schwebte mit Beckenbruch und inneren Verletzungen lange in Lebensgefahr.

Nicht immer ist klar, wer gnadenloser ist: die Streif oder die Piloten. Wie die Abfahrer gestrickt sind, dafür lieferte Michael Walchhofer ein gutes Beispiel. Am Mittwoch hatte der Österreicher beim Super-G-Training eingefädelt und die Plastikstange mit voller Wucht gegen das Knie und den Hals bekommen. „Auf Empfehlung der HNO-Ärzte werden wir vor dem Training einen Atemtest machen“, sagte Herbert Resch, der Teamarzt der Österreicher. Die letzte Entscheidung sollte der Rennläufer treffen. Und der entschied sich, die Abfahrt zu absolvieren.

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