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Will Grigg erlebte einen "verrückten" Sommer in Frankreich. Aber das war einmal.

© AFP

Nordirlands vielbesungener EM-Held: Will Grigg ist nicht mehr "on fire"

Bei der EM erlangte Nordirlands Ersatzstürmer Will Grigg Kultstatus. Nun wechselt er lieber Windeln als gegen Deutschland zu spielen.

Das mit Hannover passt jetzt gerade nicht. Will Grigg hat zu tun, Windeln wechseln und Fläschchen geben und so. Da muss der Fußball mal zurückstehen, auch wenn es um die Nation geht und die Green White Army gegen den Weltmeister antritt. Sollen sie doch mal ohne ihn zurechtkommen, ging ja vor ein paar Monaten bei der Europameisterschaft auch.

In der vergangenen Woche hat Will Grigg noch mal ein Tor geschossen. In der Zweiten Liga in England, kurz vor Schluss, es steht 1:1 zwischen Wigan Athletic und den Wolverhampton Wanderers. Lang und typisch britisch fliegt der Ball nach vorn, Will Grigg läuft gegen zwei Verteidiger, sie sind in der besseren Position als der Stürmer, aber der fährt den Arm aus und drückt sich irgendwie vorbei, er umkurvt den Torwart und grätscht den Ball im Fallen ins Tor. Mit gesetzten Schritten stolziert Grigg zur Eckfahne und nimmt die Glückwünsche seiner Kollegen in Empfang. Keine einstudierte Jubelchoreografie, mit der sich Torschützen zwischen Island und Istanbul interessant machen für das Fernsehpublikum. Auch keine Babywippe, obwohl er doch gerade erst Vater geworden ist. Will Grigg hebt nicht mal den Arm zum Jubel.

Der Mann hat es nicht mehr nötig, auf sich aufmerksam zu machen. Will Grigg ist gerade 25 Jahre alt und berühmter, als ihm lieb ist. Das liegt nicht nur an den vielen Toren, die er für Wigan Athletic schießt. Seit der Europameisterschaft in Frankreich ist der Nordire aus dem englischen Birmingham das bekannteste Phantom der Fußball-Welt. Einer, den jeder kennt und doch kaum einer gesehen hat, jedenfalls nicht auf der großen Bühne, und wer interessiert sich südlich von Brighton schon für die zweite englische Liga?

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Nordirland tritt in der WM-Qualifikation am Dienstag in Hannover gegen die deutsche Nationalmannschaft an. Keine große Sache, wer zweifelt schon am Sieg des Weltmeisters gegen eine Mannschaft, deren Spieler hier kaum einer fehlerfrei aussprechen kann. Mal abgesehen von Will Grigg. Bei der Vorauswahl zu Europas Fußballer des Jahres ist er auf Platz 25 gelandet, punktgleich mit dem Franzosen Paul Pogba und vor dem Belgier Kevin De Bruyne. Als Deutschland und Nordirland bei der EM in Paris aufeinandertrafen, hatte Mats Hummels zuvor ein wenig gönnerhaft verkündet, er wolle auf jeden Fall das Trikot tauschen mit diesem Volkshelden, dessen Namen sie alle sangen, in den Stadien und Bistros und Boulevards. „Will Grigg’s on fire, your defence is terrified!“ Zwei Zeilen, an denen keiner vorbeikam in den vier Wochen zwischen Lille und Nizza. So richtig erschrocken war keine Defensive vom nordirischen Angriff, aber gerade diese unüberhörbar feine Selbstironie macht das akustische Erlebnis so schön.

„Will Grigg’s on fire, your defence is terrified!“ Zwei Zeilen, an denen bei der EM niemand vorbei kam

Will Grigg hatte gerade Wigan Athletic mit 25 Toren in die Zweite Liga geschossen und einen Fan dazu inspiriert, die knapp zwanzig Jahre alte Disconummer „Freed from Desire“ der Italienerin Gala auf ihn umzudichten. Die Dinge gingen den Weg, den sie im Youtube-Zeitalter nun mal gehen, und auf einmal war Will Grigg ein Star und der Song über ihn die offizielle Hymne der nordirischen Nationalmannschaft. Und weil ihn die Fans der Green White Army in Frankreich so schön und laut sangen, kannte ihn bald darauf die ganze Welt. Obwohl er doch nie Fußball spielen durfte bei dieser EM, die noch heute viele mit seinem Namen verknüpfen. Will Grigg stand in den vier nordirischen EM-Spielen keine einzige Minute auf dem Platz, und wahrscheinlich lag das auch ein bisschen an dem schönen Lied aus der Kurve.

Hört, hört! Wo immer Nordirland spielt, singen die Fans das Lied von Will Grigg. Auch wenn er, wie am Dienstag in Hannover, gar nicht dabei ist.
Hört, hört! Wo immer Nordirland spielt, singen die Fans das Lied von Will Grigg. Auch wenn er, wie am Dienstag in Hannover, gar nicht dabei ist.

© Imago/Ulmer, AFP/Faith

„Der Song ist großartig, und unsere Fans sind es auch“, sagte Nordirlands Trainer Michael O’Neill. „Aber ich lasse mir von ihnen nicht vorschreiben, wen ich aufstelle, und Will ist nun mal als Stürmer nur unsere vierte Wahl.“ Als es im Achtelfinale gegen Wales um alles oder nichts geht und Nordirland 0:1 zurückliegt, wechselte O’Neill kurz vor Schluss nicht den Torjäger Will Grigg ein, sondern Joshua Magennis, einen kräftigen Burschen, den Cardiff City mal als Torhüter unter Vertrag genommen und dann zum Stürmer umgeschult hat.

Im Rückblick sagt Will Grigg über diesen französischen Sommer, es sei „verrückt“ gewesen, „eine unglaubliche Erfahrung“, aber er hätte auch ganz gern ein bisschen Fußball gespielt. War ja nicht so, dass im nordirischen Angriff begnadete Konkurrenz den Weg versperrte. In vier Spielen reichte es in Frankreich zu gerade einem Tor, aber der Trainer wollte sich wohl nicht nachsagen lassen, er folge dem Ruf aus der Kurve.

Grigg hatte die konsequente Ignoranz konsequent ignoriert und sich zu keiner Kritik in den dafür traditionell sehr aufgeschlossenen Boulevardblättern in der Heimat hinreißen lassen. Er hat sich auch nicht als Popstar auf die Tribüne eines von Ölscheichs subventionierten Klubs transferieren lassen, obwohl es von denen in England doch jede Menge gibt. Will Grigg ist Wigan treu geblieben und hat in bisher elf Spielen fünf Tore geschossen, das letzte vor zehn Tagen gegen die Wolverhampton Wanderers, kurz vor Schluss zum 2:1-Sieg. Aber zur Nationalmannschaft mochte er nicht reisen. Nicht nach Prag zum ersten WM-Qualifikationsspiel gegen Tschechien, weil seine Freundin gerade vor der Entbindung stand. Und auch nicht am Dienstag nach Hannover, weil jetzt nun mal Windeln gewechselt und Fläschchen gegeben werden wollen.

Michael O’Neill nennt Will Grigg längst nicht mehr einen Stürmer vierter Wahl. Er hätte ihn wohl aufgestellt, denn „keiner unserer Stürmer schießt so viele Tore wie Will“. Er könne nun mal keinen Spieler zwingen, die Absage sei jedenfalls ein schwerer Schlag. Vielleicht hätte Will Grigg es am Dienstag in Hannover mit Mats Hummels zu tun bekommen, dem deutschen Verteidiger, der vor vier Monaten mit so viel Verve und so wenig Respekt das Trikot des Nordiren für sich reklamiert hatte. Hummels hat es nicht bekommen an jenem 21. Juni in Paris. Will Grigg hat seinen Stolz.

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