zum Hauptinhalt

Sport: Ohne Ambitionen

Die Mannschaft von Bayer Leverkusen verlässt der Mut – und Trainer Klaus Toppmöller verliert seine Aura

Leverkusen. Nicht wenige soziologisch interessierte Beobachter des Fußballs haben immer wieder die Bayarena in Leverkusen als Beispiel dafür hingestellt, um zu zeigen, wie sehr sich doch die soziale Zusammensetzung der Anhängerschaft in diesen Zeiten wandeln würde. „Plastik-Fans“ schalten die anderen die Bayer-Anhänger, virtuelles Publikum. Und alle verhöhnten jenen vom Verein gesteuerten „Arbeitskreis Stimmung“. Andere wiederum wagten die amüsante These, Leverkusens Anhänger würden das, was da unten auf dem Rasen passiert, lediglich als eine Vergrößerung der Fernseher- Diagonale betrachten, so sehr erinnere die beschauliche Stimmung im Stadion an eine Wohnzimmeratmosphäre.

Nun, all diese Beobachter werden ihre Urteile seit Samstag, 17.15 Uhr, nach dieser im Wortsinn fantastischen 2:3-Heimniederlage gegen den Hamburger SV zumindest in Teilen zu revidieren haben. Da hatte sich in der Bayarena der Zorn des Volkes, das angeblich gar nicht vorhanden sein sollte, wütend Bahn gebrochen, und die Spieler sahen sich in der Mixedzone wüsten Beschimpfungen ausgesetzt, die bisher so nur im benachbarten Köln beobachtet wurden.

Die bezeichnendste Situation des ganzen Spiels – und irgendwie beschrieb diese die ganze Saison der Leverkusener – hatte bereits in der atemberaubenden Szene zum 0:1 in der dritten Minute stattgefunden. Da nämlich kam HSV-Stürmer Romeo an den Ball, obwohl drei Leverkusener Abwehrspieler um ihn herum standen, und dann kam Leverkusens Keeper Jörg Butt viel zu spät aus seinem Kasten, traf indes nicht den Ball, sondern grätschte seinen Abwehrkollegen Lucio mit solcher Wucht um, dass der in der Pause verletzt ausgewechselt werden musste – und nun am Fuß operiert werden muss und zur Winterpause ausfällt. Es war wahrlich ein Bild mit Symbolcharakter: nicht den Ball, nicht den Gegner, sondern einfach nur sich selbst getroffen.

Fehler, Fehler, Fehler

„Da ist jedes Mal ein anderer, der den Fehler macht, das ist ja das Schlimme“, sagte sich Klaus Toppmöller hinterher, ohne indes den schweren Lapsus des eigentlich wiedererstarkten Torhüters zu erwähnen. Leverkusens Coach war unbegreiflich, wie seine Mannschaft das Spiel, das sie in den ersten 45 Minuten doch „beherrscht und kontrolliert“ hatte, noch aus der Hand geben konnte. Wie seine Mannschaft dem HSV, der bis zur Pause das Abwehrverhalten eines besseren Oberligisten an den Tag gelegt hatte, in der zweiten Halbzeit kaum eine Chance mehr abringen konnte. Und wie sich dieser HSV nach der zweiten Halbzeit eigentlich noch vorwerfen musste, nicht noch mehr Tore geschossen zu haben, so desolat agierte am Ende der Leverkusener Abwehrverbund.

Hanno Balitsch, noch einer der Besten bei Leverkusen, indes gab seinem Trainer hinterher ungewollt Nachhilfe. „Wir haben nach der Pause nicht sofort die Zuteilung hinbekommen“, sagte der 21-Jährige. Da hatte der Gegner eingewechselt. Die Aussage deutet darauf hin, dass die Mannschaft völlig unvorbereitet war auf die neuen Offensivspieler der Hamburger, Raphael Wicky und Collin Benjamin.

Mit anderen Worten: Es war wie beim Spiel gegen Barcelona, als die Angriffe des Gegner nach dem Seitenwechsel wie Überfälle wirkten. Und dazu sprach Balitsch mit erfreulich ungeschönten Worten über das Grundproblem der Mannschaft in dieser Saison: „Wir sind nicht in der Lage, zwei Halbzeiten am Stück kompakt und organisiert zu stehen.“ Und deswegen, und dies ist aus sportpsychologischer Sicht ein interessantes Detail, „müssen wir, weil wir hinten so unsicher stehen, ständig versuchen, vorne nachzulegen“. Also selbst bei einer Führung.

Taktisch gesehen ist das, noch vorsichtig formuliert, ziemlich katastrophal.

Kämpfende Künstler

Und was ist mit Klaus Toppmöller? Der Trainer, der sich im vergangenen Jahr, als sein unterschätztes Team Europa überrannte, noch als Supermotivator und Meisterpsychologe feiern ließ, er beging in den letzten Monaten ganz offenbar schwerwiegende, ja grundsätzliche Fehler. Wie oft hat er nicht gesagt, dass seine Mannschaft erst wieder in der Rückrunde voll angreifen werde, aufgrund der vielen Verletzungen, die er stets gebetsmühlenartig aufzählte. Aber damit, das wird ihm nun vorgeworfen, lieferte er seinen Schützlingen nur einen Vorwand für weitere schlechte Leistungen in der Bundesliga. Vor drei Wochen noch hatte Jens Nowotny prophezeit, am Ende der Saison werde die Mannschaft auf Platz zwei der Tabelle stehen, sich also erneut für die Champions League qualifizieren. „Wer diese Ambitionen heute noch hat“, kommentierte Balitsch lakonisch, „dem ist einfach nicht mehr zu helfen, wir stehen jetzt tief im Abstiegskampf.“

Abstiegskampf. Das war in Leverkusen, diesem einst so erfolgreichen Retortenklub, lange Zeit ein Fremdwort. Nun müssen sich die verwöhnten Bayer-Ballsportler an dieses Wort gewöhnen. Und zwar schnell.

Was heißt Abstiegskampf in Leverkusen? Derzeit ist es ein Kampf, den Toppmöller bestreiten muss mit fragil wirkenden Spielern wie Jan Simak und Franca, deren Transfer nur er zu verantworten hat und die insgesamt immerhin 15 Millionen Euro gekostet haben. Der Kredit, über den Toppmöller bislang verfügte, ist offensichtlich aufgebraucht. Die Zuschauer sind am Wochenende zum ersten Mal erwacht. Aber das, so ahnt es sicherlich auch Klaus Toppmöller, war wohl erst der Anfang.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false