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Sport: Oliver Bierhoff im Interview: "Ich passe wohl nicht ins Bild"

Oliver Bierhoff (33) ist als Nationalspieler ein Spätentwickler. Zwischen 1985 und 1990 spielte er in Deutschland für Uerdingen, den HSV und Mönchengladbach, ohne groß auf sich aufmerksam zu machen.

Oliver Bierhoff (33) ist als Nationalspieler ein Spätentwickler. Zwischen 1985 und 1990 spielte er in Deutschland für Uerdingen, den HSV und Mönchengladbach, ohne groß auf sich aufmerksam zu machen. Nachdem er über Salzburg nach Italien gewechselt war, wurde das anders. Bierhoff empfahl sich bei Udinese und Milan für die Nationalelf und wurde deren Kapitän. Jetzt ging der gebürtige Essener zum AS Monaco.

Herr Bierhoff, welche Hymne gefällt Ihnen besser, die deutsche oder die englische?

Im Zusammenhang mit der Stimmung der Zuschauer und der Atmosphäre im Stadion die englische. Ich erinnere mich an das Hinspiel gegen England im Herbst des vergangenen Jahres. Da haben 70 000 in Wembley mitgesungen. Wir Deutsche haben ja auf Grund der Geschichte zu unserer Hymne eher ein gespaltenes Verhältnis.

Singen Sie mit oder nicht?

Ich singe mit, ja.

Ist das mehr ein mechanisches Mitsingen?

Nein, den Akt als solchen bekommt man auf dem Platz bewusst mit. Die Hymne hört man mal mehr und mal weniger. Das hängt von der Stimmung im Stadion ab, und davon, wie laut die Kapelle spielt. Im Unterbewusstsein spielt dann auch noch eine Rolle, ob es ein wichtiges Spiel ist oder nicht. In einem WM-Qualifikationsspiel wie morgen gegen England geht es um viel und man vertritt sein Land. Da spielt die Hymne schon eine Rolle.

Sie haben zuletzt die Nationalhymne nur noch am Spielfeldrand mitbekommen. Rechnen Sie damit, dass Sie am Sonnabend in der ersten Elf stehen?

Rechnen tue ich damit nicht. Ich glaube, trotz meines Wechsels nach Monaco hat sich ja meine Situation vor dem Spiel nicht geändert. Das sehe ich ganz realistisch.

Beschreiben Sie uns doch mal Ihre Situation.

Mir fehlt die Spielpraxis, und die Spiele, in denen ich nicht von Beginn an dabei war, sind erfolgreich gelaufen. Ich denke also nicht, dass der Trainer viel probieren wird und die Formation durcheinander wirbelt.

Vielleicht hören Sie momentan sogar die italienische Hymne lieber als die deutsche?

Ich kenne sie, aber ich kann sie nicht vollständig singen.

Sie leben in Italien. Haben Sie zuletzt bewusst einen Bogen um Deutschland gemacht?

Ich bin eher gezwungenermaßen ins Ausland gegangen. Das würde ich aber jedem Fußballer, nein, halt, jedem Menschen empfehlen, mal ins Ausland zu gehen. Neben dem sportlichen Aspekt kann man, wenn man eine Karriere abgeschlossen hat, sehen, was man menschlich mitgenommen hat. Ich glaube, man nimmt an Persönlichkeit mehr mit, wenn man mal im Ausland tätig war. Und was den Fußballer anbelangt, ist das auf jeden Fall mehr, als wenn er zehn Jahre nur in Deutschland gespielt hat.

Gehen italienische Fußballer anders miteinander um?

Obwohl sich das wegen der vielen Ausländer, die jetzt in Italien spielen, etwas verschoben hat - generell ist der Umgang sehr positiv. Man hört nie aus Italien, dass sich über die Presse zwei Spieler streiten. So, wie das in Deutschland oft der Fall ist. Der Umgang ist stets sehr respektvoll, sowohl der der Spieler untereinander als auch der des Spielers mit dem Trainer und umgekehrt.

Was glauben Sie, woran das liegt?

In Italien werden Fußballer auch mal als dumm bezeichnet. Es ist aber trotzdem so, dass Fußball dort ein Traumjob ist. Ich weiß nicht, ob sich das jetzt in Deutschland verändert hat. Für die meisten Eltern ist es dort ein Traum, dass ihre Söhne Fußballer werden. In Deutschland ist das nicht so, denke ich. In Italien sehen die Eltern ein, ihre Kinder mit 13, 14 abzugeben und in Fußballinternate zu stecken. In Italien ist dieser Beruf angesehen.

Wie war das bei Ihren Eltern, als sich abzeichnete, dass Sie Fußballprofi werden? Haben sie sich nichts anderes vorgestellt?

Ich passe wohl nicht ins Bild. Ich bin nie als Kind dagestanden und habe gesagt, dass ich Profi werden will. Es war nie mein Traum. Und - ganz ehrlich gesagt - ich habe nie so richtig daran gedacht. Im Gegenteil, für mich war klar, dass ich Abitur mache und anschließend ein Studium ablege. Dann war immer so der Gedanke, na ja, dann kannst du nebenbei vielleicht Oberliga spielen, und so dein eigenes Geld neben dem Studium verdienen. Du machst einfach dein eigenes Ding. Und mein Elternhaus hat ebenfalls so gedacht. Für sie war klar, der Junge studiert.

Und wie haben Ihre Eltern reagiert, als Sie ihnen sagten, dass Sie erst mal Profi werden?

Bei mir hat sich das nicht mit 14 abgezeichnet, sondern erst mit 16, 17. Mein Elternhaus ist damit sehr behutsam umgegangen.

Sie verdienten Ihr erstes eigenes Geld.

Ja, aber im Nachwuchs gab es Unterschiede. Da waren Vereine, die haben ihren Spieler eine Achtziger zur Verfügung gestellt.

Was, bitteschön, ist eine Achtziger?

Das ist eine Karre, ein Motorrad mit 80 Kubik Hubraum. Ich weiß noch, in Düsseldorf und Leverkusen haben die Jungnationalspieler so etwas bekommen, und ich habe da bei Schwarz-Weiß Essen noch für 30 Mark Fahrgeld gespielt. Und da hat mein Vater zu mir gesagt, dass das nicht so schlimm ist.

Sie brauchten sich keine Gedanken um Ihr Taschengeld machen.

Ja, meiner Familie ging es glücklicherweise ganz gut. Mein Vater sagte: Behalte lieber die Freiheit. Andererseits haben sie mich auch gefördert. Sie sagten, wir bringen dich auch zum Training, wir unterstützen dich. Aber wie auch immer: Nebenbei musst du auf jeden Fall noch etwas anderes machen. Und deswegen habe ich mit 18, noch bevor ich Profi wurde, noch mein Abitur gemacht.

Das erwähnen Sie besonders...

Ich kenne viele, die, um Profi zu werden, in der 12. Klasse abgegangen sind. Das ist unverantwortlich von Seiten des Vereins.

Sie haben später eine Fernstudium aufgenommen, dass Sie erst kürzlich mit Erfolg abgeschlossen haben. Trauten Sie nie Ihren fußballerischen Fähigkeiten?

Das schon, nur mein Ziel war, während meiner Zeit als Profi, dieses Studium auch abzuschließen.

Hat Ihnen dieser Weg und diese Ihre Einstellung in Deutschland im Wege gestanden? Also nach dem Motto: Da ist der Bierhoff, der kommt von oben, die Eltern haben Geld, der Bursche ist intelligent.

Mein Werdegang ist nicht unbedingt typisch. Sicher, ich passe wohl nicht so recht ins Bild der Deutschen von einem Fußballprofi. Ich bin nach Italien gegangen, als andere weggingen. Ich bin nicht zu einem großen Verein, sondern einem kleinen gegangen. Ich habe dort schwierige Zeiten durchgemacht und bin erst dann hoch gekommen. Meine Laufbahn ist nicht glatt. Wenn man jetzt mal guckt und sieht: der Bierhoff hat 57 Länderspiele, ist Europameister, hat das Golden Goal geschossen. Da denkt man an eine glatte, langsam aufsteigende Karriere, wie sie vielleicht ein Ballack oder Deisler haben.

Ihr Weg hätte also in Deutschland keinen Erfolg gehabt?

Ich glaube schon. Ich ärgere mich immer über Vorurteile. Es hieß in Deutschland immer: Er ist Sohn von Beruf und er braucht das nicht. Mein Vater war zwar bis vor kurzem Vorstand gewesen und konnte mir gutes Taschengeld geben, aber mit Sicherheit nicht so viel, wie mir ein Verein gibt. Und wenn man einmal so eigenständig gelebt hat wie ich ab 18, dann möchte man nicht mehr zurückgehen. Es gab immer diese Vorurteile: Er ist nicht bissig genug, er schafft das nicht.

Und mit Ihrer Spielart überzeugen Sie die Zuschauer nicht gerade vom Gegenteil.

Das weiß ich. Wenn ich jetzt von der Spielart ein Jeremies-Typ wäre, dann würde darüber wahrscheinlich niemand diskutieren. Mit meiner Art reize ich viele Leute, dass wurde mit schon in der Jugend nachgesagt. Entweder sie haben mich gemocht, oder sie haben mich nicht gemocht. Mit diesen Dingen musste ich anfangs in Deutschland leben.

Sie werden jetzt nach Frankreich gehen. Können Sie sich noch einmal so emotional auf ein neues Land einlassen wie auf Italien?

Ich werde mir ein bisschen Zeit geben, alles zu verstehen. Land und Leute, die Fans, den Verein, die Presse. Frankreich ist für mich interessant. Allein die Sprache.

Hatten Sie es ausgeschlossen, in Deutschland zu spielen?

Der Reiz in einem anderen europäischen Land zu spielen, war immer größer.

Haben Sie Angst, in Deutschland zu spielen?

Nein. Aber mit mir hat auch kein deutscher Verein gesprochen.

Und noch immer sind Sie Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft. Woher nehmen Sie die Motivation, das immer noch zu machen, obwohl Sie zuletzt nicht besonders erfolgreich spielten?

Ich habe Stehvermögen. Und die Nationalmannschaft bringt mir nach wie vor sehr viel Spaß, auch wenn es in diesem Jahr nicht ganz leicht war für mich und ich sehr viel Kritik einstecken musste. Ich hätte auch sagen können, was juckt mich das? Die Nationalmannschaft macht finanziell den Braten bei mir nicht mehr fett. Mein Ziel ist die WM 2002.

In der Nationalmannschaft sind Sie kein Stammspieler mehr.

Das muss ich akzeptieren. Manche sagen mir, Mensch, dass ist doch beschämend, dass du da auf der Bank sitzt. Ich persönlich sehe das nicht so. Ich akzeptiere, was der Trainer entscheidet. Das habe ich in Italien gelernt.

Haben Sie das Kapitänsamt nicht verflucht?

Nehmen Sie bloß den Christian Ziege. Der hat drei Länderspiele mehr und spielt kaum noch. Das ist aber kaum ein Thema für die Presse. Andererseits empfinde ich es als Lob, wenn sich die Leute so mit einem beschäftigen, auch wenn es mal nicht so läuft.

Haben Sie daran gedacht, das Amt abzugeben?

Nach der EM 2000. Ich habe mich entschieden weiterzumachen und lasse mich nicht durch eine schwache Phase beirren.

Fühlen Sie sich noch als Kapitän?

Es ist die Frage: Was macht ein Kapitän? Die wenigsten Leute wissen eigentlich, was ein Kapitän macht. Wissen Sie es?

Dieses Amt ist - wenn man so will - das dritthöchste Amt in Deutschland. Nach Bundeskanzler und Bundestrainer kommt der Kapitän der Fußballnationalmannschaft.

Das ist arg übertrieben, aber Sie haben noch nicht meine Frage beantwortet.

Ein Kapitän ist Repräsentant der Mannschaft, einer, der für seine Mitspieler spricht.

Richtig, mehr ist es nicht. Das Amt wird überschätzt. Gerade in der Nationalmannschaft. Halt! Ich beteilige mich an der Spielwahl vor dem Anstoß. Oder vielleicht kommt der Trainer auf mich zu und fragt: Sollen wir heute mit der Mannschaft essen gehen? Außerdem gibt es unter Völler den Spielerrat von fünf Spielern, die für die Mannschaft sprechen.

Also ist der Kapitän der Nationalmannschaft ein überflüssiges Amt?

Na, irgendeiner muss die Binde halt tragen.

Herr Bierhoff[welche Hymne gefällt Ihnen bes]

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