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Sport: Olympia 2000: Schneller, höher, weiter - gefräßiger

Am Frankfurter Flughafen, Terminal 1, Halle B, Empore, bekam Sören Lausberg einen ersten olympischen Höhepunkt gereicht. Vorab hatte eine Heather Small mit ebensolchen Stimmchen den Olympia-Song "Proud" zum Vortrag gebracht, gleich sollte Bundesinnenminister Otto Schily zur gefühligen Rede ("Go for gold ist nicht alles") anheben.

Am Frankfurter Flughafen, Terminal 1, Halle B, Empore, bekam Sören Lausberg einen ersten olympischen Höhepunkt gereicht. Vorab hatte eine Heather Small mit ebensolchen Stimmchen den Olympia-Song "Proud" zum Vortrag gebracht, gleich sollte Bundesinnenminister Otto Schily zur gefühligen Rede ("Go for gold ist nicht alles") anheben. Und weil dessen Thema die Verabschiedung etlicher deutscher Olympia-Teilnehmer war, sollten sich ein paar davon vor schwarz abgehangener Wand zur stimmigen Kulisse zu ihm gesellen. So kam Sören Lausberg, Berliner Radsportler, auf die Bühne. "Boh, geil", sagte er noch fix zu einem Kumpel, "mach ein Foto, ich darf hinter den Minister."

Lausberg ist kein Anfänger. Der Mann ist 31 Jahre alt, war 1996 in Atlanta schon bei Olympia, gewann 1995 die Weltmeisterschaft und 1999 in seiner Disziplin, dem Zeitfahren, auch den Gesamt-Weltcup. Nur, Rampenlicht, das kennt er nicht. Wie nahezu keiner der etwa 80 Athleten, die da in der vergangenen Woche in einem ersten Schub von der Regierung zum Ruhme Deutschlands nach Australien geschickt wurden, wie kaum einer der insgesamt 432 Sportler, die unter deutscher Flagge in Sydney an den Start gehen.

Und wie es üblich ist, wenn alle vier Jahre irgendeine Stadt, irgendein Land die Jugend der Welt zum sportlichen Streite ruft. Dann schlägt gemeinhin die große Stunde der Kanutinnen, der Bahnradfahrer, Bogenschützen, Segler, Schwimmer, Ruderer, all derjenigen Sportler, die sich ansonsten tagaus, tagein mühen und plagen, aber nicht reich werden mit ihrem Sport und nicht mal berühmt. Wenn es dann gut läuft, gewinnen sie Gold oder Silber oder Bronze, oder sie werden besiegt als tragische Helden. Wenigstens Helden.

Olympia, das war immer die Chance der Schattensportler, Lohn einzufahren, Popularität zu genießen und anschließend Sponsorengelder zu kassieren. Der Ruhm reichte eine Zeit lang und katapultierte die Olympioniken ein wenig näher heran an die Sonnensportler, die als Fußball-, Tennis- oder Motorsport-Stars im Promi-Status die Segnungen der Heiligenverehrung erfahren.

"Nur diesmal", sagt Michael Groß, der weltbeste Schwimmer der achtziger Jahre, "diesmal wird es anders sein. Auch ein Goldmedaillen-Gewinner wird nur ein Tages-Held sein." Ein paar Fernsehbilder seien ihm vergönnt, einige Schlagzeilen - und dann würde er vergessen sein in einer größeren Öffentlichkeit und Sponsoren würden sich auch nicht einstellen.

Eine gewagte These des Altmeisters, zumal er selbst Sydneys vollmundige Ankündigung teilt, schlicht die größte und beste ununterbrochene Party zu geben, die die Welt je gesehen hat.

Nun, noch sind nicht alle Gäste da, noch Anfang der vergangenen Woche trübte ein Defizit von 125 Millionen Mark aus dem Kartenverkauf die Festtagsstimmung. Noch tickern täglich Meldungen aus dem vorolympischen Chaos in die Restwelt: Da sollen Killerviren aufgerüstet haben, um Sportlern und Zuschauern den Garaus zu machen; dann toben Stürme über Land, zerreißen dort Stromleitungen und wühlen über Wasser Regattastrecken auf; das Transportsystem, mit dem Sportler und Zuschauer durch Sydney gekarrt werden sollen, so wird gemeldet, ist eher auf Kreisklasse- denn Weltniveau; auch haben die Aborigines, jene seit Jahrhunderten von den weißen Einwohnern unterdrückten und gemarterten Ureinwohner, noch nicht abschließend befunden, ob sie nun friedlich oder massiv auf ihre Probleme aufmerksam machen wollen.

Und innerhalb der olympischen Familie? Noch sind nicht alle Skandale und Skandälchen aufgedeckt, die das Internationale Olympische Komitee umwabern. Jene Vorfälle, die den Handelsausschuss des US-Senats, das FBI und diverse Staatsanwaltschaften veranlassten, gegen die mafiosen Strukturen des IOC zu ermitteln und die das amerikanische Nachrichtenmagazin "Newsweek" auf den Gedanken brachten, das olympische Motto zu erweitern: "Schneller, höher, weiter - warum nicht gefräßiger?"

Und schließlich wird der Sport selber mit seinen ureigenen Problemen das Weihefest des Sports stören. Denn bei weitem nicht alle Gäste werden mit reinem Gewissen und reinen Blutbahnen zur Fete anreisen. Die 27, die Chinas Sportführung in der vergangenen Woche nach internem Check noch schnell zurückpfiff, hatten es nicht. Der usbekische Ringertrainer, der mit Ampullen voller Wachstumshormone am Zoll abgefangen wurde, auch nicht.

Doping wird auch dieses Olympia beschäftigen und belasten und diesen Jahrhundertspielen, noch einmal "Newsweek", den Rekord mit den "meisten verdächtigen Wettkämpfern" verpassen. Don Talbot, Cheftrainer der vielfach favorisierten australischen Schwimmer, hat auf jeden Fall schon mal erkannt, dass es Athleten gebe, die "eigens für Sydney entwickelte Drogen nehmen, die nicht nachzuweisen sind". Trotz aller Urin- und Blutkontrollen, erstmals werden Sportler bei Olympia angezapft - Gewähr, dass ein Olympiasieg nicht doch ergaunert wurde, kann also nicht gegeben werden.

Schöne Aussichten für ein grandioses Fest.

Und doch, da ist sich Michael Groß, der Australien gut kennt und die dortige Sportbegeisterung, sicher, wird es genau das werden: "großartige Spiele." Es scheint nur auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein, wenn sich seine Vorfreude mischt mit seiner pessimistischen Überzeugung, dass ein Olympiasieg nichts mehr wert sein wird in der Heimat und über den Tag hinaus. Denn in der Tat haben Deutschlands Olympiafahrer beim Kampf um die Zuschauergunst harte Brocken aus dem Weg zu räumen - und ein unüberwindlicher wird ihnen ständig im Wege sein. Das ist die Zeitverschiebung, die die Fernsehbetrachtung von Finalläufen in die frühesten Morgenstunden verlegt.

"Es ist", sagt Groß, "eher nicht mehr anzunehmen, dass viele Menschen um drei, vier Uhr in der Früh aufstehen, um sich einen 100-Meter-Kraulendlauf anzusehen." Als er selbst 1984 in Los Angeles und 1988 in Seoul zum Gold butterflyte, da saß die Bundesrepublik noch nächtens vor den Bildschirmen und jubelte mit Harry Valerien: "Flieg, Albatros, flieg!" Warum also nicht auch heute? "Weil kaum ein Sportler einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist, weil kaum noch eine olympische Sportart im Fernsehen zwischen den Spielen zu sehen ist, weil die wenigen bekannten Stars im deutschen Team Makel haben: Die Schwimmerin Franziska van Almsick etwa ist mehr Popstar ist als Sportlerin, der Radfahrer Jan Ullrich ist aus dem Profi-Radsport importiert. Und vor allem, weil der Fußball in Deutschland alles verdrängt hat."

Auch das ist nicht neu, dass der Fußball in Deutschland in der Popularität weit über allem anderen rangiert. Neu jedoch ist, dass erstmals während der Spiele - und das ist der unüberwindliche Brocken - der Fußballbetrieb in der Heimat weiterläuft. Noch nie waren Olympische Spiele so spät im Jahr, noch nie kollidierten sie mit der Bundesliga und den Spielen des Europapokals und der Champions League. Es steht also der wackere Schütze, der möglicherweise mit seiner Luftpistole Gold abschießt und damit den sportlichen Höhepunkt seines Lebens erreicht, daheim auch noch alltäglichen Meldungen von Janckers Wade und Deislers Meniskus gegenüber. Vor diesem Hintergrund ist der Sportkultur-Pessimismus des Michael Groß als Betrachtung von außen durchaus nachzuvollziehen.

Von innen besehen dürfte dennoch das Gros der Olympioniken kaum Anstoß daran nehmen, dass sie nicht ankommen gegen die Macht des Fußballs. Denn sie haben den Fußballern immer noch eins voraus: Sie nehmen teil am größten Ereignis der Welt, mehr noch, sie sind Teil dieses Spektakels. Als Sören Lausberg da hinter Innenminister Schily auf dem Podium im Frankfurter Flughafen stand, neben ihm zwei junge, ebenfalls unbekannte Seglerinnen, vor ihm die Kollegenschar, da war seinem stolzen Gesicht und allen anderen stolzen Gesichtern anzusehen, dass sie sich dessen durchaus bewusst sind.

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