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Smith

© dpa

Olympia-Proteste: "Das Siegerpodest ist mächtig"

Tommie Smith über seine Demonstration bei Olympia 1968 und die moralische Verpflichtung der Sportler.

Mister Smith, was halten Sie davon, dass die Olympischen Spiele dieses Jahr in China ausgetragen werden?

Ich habe kein Problem damit, dass die Athleten in Peking antreten. Ich hoffe es sogar, weil sie sehr hart dafür gearbeitet haben. Jeder, der dabei ist, kann stolz darauf sein.

Viele Sportler denken über Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen in China nach.

Der wichtigste Teil jedes Wettkampfs ist doch, dass man Entscheidungen treffen muss. Entscheidungen darüber, was einem wirklich wichtig ist. Der Sport ist der Grund, warum die Athleten in Peking sind. Wenn jemand die Spiele als politische Plattform nutzt, wird er dafür ein Opfer bringen müssen. Da führt kein Weg dran vorbei. Ich habe dieses Opfer gebracht, weil in meinem Land Rassismus und Ungerechtigkeit herrschten. Und dabei stand ich auf einer weltweiten Bühne, im Trainingsanzug der USA.

Sie wollten 1968 auf die Diskriminierung in den USA aufmerksam machen. Hatten Sie Angst vor den Konsequenzen?

Das können Sie glauben. Das olympische Siegerpodest ist mächtig. Wer als Sieger oben steht, muss sich entscheiden, was er tut. Das ist seine eigene Verantwortung. Ob ein Athlet auf dem Podest seine Hand auf sein Herz legt oder die Faust in die Luft streckt: In irgendeiner Form wird er dafür bezahlen müssen.

Sie wurden 1968 nach Hause geschickt.

Allerdings. Ich wurde auch von allen internationalen Wettbewerben ausgeschlossen – dabei war ich gerade 24 Jahre alt. Ich wurde auch aus dem Nachwuchsprogramm der Armee an meiner Uni geworfen und konnte lange keinen Job finden. Ich habe unzählige Morddrohungen erhalten. Aber das war es alles wert. Denn ich hatte mit der ganzen Welt kommuniziert, ohne ein Wort zu sagen. Weil ich Olympiasieger war und an Menschenrechte glaubte, sah ich es als meine moralische Verpflichtung, diesen Moment zu nutzen und mich an die Welt zu wenden. Obwohl ich die USA repräsentierte, protestierte ich gegen ihre Ungerechtigkeiten. Seit 40 Jahren hat sich meine Einstellung dazu nicht geändert und wird auch in Zukunft so bleiben.

Sie sprechen von einer moralischen Verpflichtung. Sehen Sie die auch bei den Athleten, die nach Peking fahren?

Alle Menschen haben eine Verpflichtung: Sie müssen Teil ihrer Umwelt sein und mit ihr kommunizieren. Und wenn jemand an Menschenrechte glaubt, ist es Teil seiner moralischen Verpflichtung, den Gedanken zu verbreiten, dass jeder an Menschenrechten teilhaben muss.

Wie könnte das in Peking aussehen?

Falls in China etwas passiert, hoffe ich, dass es gewaltlos und still geschieht. Ein Symbol wie eine Faust kann in allen Sprachen verstanden werden. Wäre es nicht großartig, wenn bei der Schlussfeier alle Sportler gemeinsam marschieren, Hand in Hand, lächelnd? Vermischt anstatt nach Nationen geordnet?

Was halten Sie davon, dass die Charta der Spiele alle politischen Äußerungen verbietet?

Was soll denn da sonst drin stehen? „Okay, Leute. Macht einfach, was ihr wollt auf dem Podest. Wir fliegen Euch da rüber, verhätscheln Euch und dann zieht einfach Euer Ding durch“? Auf keinen Fall! Ich respektiere, dass das IOC sagt: Fahrt zu den Spielen, repräsentiert Euer Land, fahrt wieder nach Hause. Aber die Athleten haben ein eigenes Leben und persönliche Überzeugungen.

Was ist der olympische Gedanke für Sie?

Der Geist der Spiele liegt darin, die Nationen zusammenzubringen – im Wettkampf! Sie wissen schon: Legt die Bomben weg, kommuniziert nicht durch Blutvergießen miteinander, sondern mit Liebe und Respekt. Die Athleten werden in Peking die Farben ihrer Länder tragen und sie unter deren Flaggen repräsentieren – das allein macht die Veranstaltung politisch. Natürlich sagen viele, die Spiele sollten nicht als politische Plattform benutzt werden. Aber die Plattform ist schon da, und sie ist bereits politisch.

Was sind Ihre Hoffnungen für die Spiele im Peking?

Ich hoffe zunächst einmal des Beste für alle Sportler. Wenn die Athleten hinfahren, antreten, Medaillen gewinnen, sich vor ihren Flaggen verbeugen und nach Hause fahren: So sei es. Ich respektiere das. Aber ich bin einen Schritt weitergegangen. Ich konnte mir 1968 in meinem eigenen Land kein Gehör verschaffen, aber ich musste einfach auf die Menschenrechtslage in den USA hinweisen. Ich wollte mit meinem Protest nicht die ganze Welt heilen – aber die Spiele waren eine Bühne, die die ganze Welt sehen musste.

Was raten Sie Sportlern, die gegen die Menschenrechtsverletzungen in China protestieren wollen?

Ich hoffe, die Athleten sind extrem vorsichtig. Man muss wissen, was man tut, bevor man aufs Podium steigt und irgendetwas macht, das gerade en vogue ist. Ich bin mir sicher: Wenn ein Sportler bei Olympischen Spielen – besonders bei den kommenden in Peking – seine Meinung verbal oder lautlos äußert, wird das nicht vergessen sein, wenn er nach Hause kommt. Er muss sich darauf einstellen, dass ihn das verfolgen wird. Für den Rest seines Lebens.

Das Gespräch führte Lars Spannagel.

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