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Sport: Ottmar Hitzfeld: Ist Hitzfeld ein großer Trainer?

Wer zweifelt, hat eine drängende Frage, deren Antwort er noch nicht kennt. Solch eine Situation ist selten angenehm, weshalb die Vernünftigen unter uns sich aufmachen, ihre Zweifel zu stillen.

Wer zweifelt, hat eine drängende Frage, deren Antwort er noch nicht kennt. Solch eine Situation ist selten angenehm, weshalb die Vernünftigen unter uns sich aufmachen, ihre Zweifel zu stillen. Jeder hat seine Methoden, aber am Ende wird man auf das Urteil von Freunden, Bekannten und Zeitgenossen zurückgeworfen. Menschen, auf die man etwas gibt. Von ihrer Einschätzung hängt es entscheidend ab, ob eine Antwort befriedigen kann. So auch in Fragen des Fußballs. Manchmal allerdings, und dann wird es interessant, teilt das Umfeld die Unsicherheit. Wie ein erster Orientierungsversuch im Bekanntenkreis ergab, ist die Frage, ob Ottmar Hitzfeld ein großer Trainer genannt zu werden verdient, solch ein Fall. Jeder der Angerufenen - durchaus nicht nur Fans - hatte sich die Frage in den letzten Wochen gestellt. Doch auch nach langen, schmerzhaften Erörterungen harrt sie einer Klärung.

Der Zeitpunkt des kollektiven Zweifelns überrascht nicht. Schließlich holten Hitzfelds Bayern den lang ersehnten Champions-Titel nach München und stehen offiziell an Europas Fußballspitze. Wohl gemerkt, gefragt ist nicht, ob Hitzfeld ein sehr guter und ungeheuer erfolgreicher Trainer ist, denn das ist er ohne Zweifel, sondern ob er ein großer Trainer ist; also in dem Sinn, in dem Oliver Kahn ein großer Torwart ist. Auch bei der Frage nach der Größe eines Fußballers kommt es vor allem auf die Perspektive an. Insbesondere darf man sich nicht von einzelnen Erfolgsfällen beirren lassen.

Was, wenn nicht Erfolge, machen einen großen Fußballschaffenden aber aus? Ich wage eine These, die vielen als ästhetisierender Unsinn erscheinen wird: Er muss dem Spiel etwas geben, was es zuvor nicht besaß. Ein Philosoph würde sagen, solch ein Großer hat eine neue Spiel- und damit Sichtweise in die Fußballwelt zu setzen. Er lässt das Spiel auf neue Weise sehen. Ich will diese These verdeutlichen. Zunächst für Spieler. Da gibt es welche, wie Franz Beckenbauer, die sich eine eigene Position neu erspielen. Beckenbauer hat die Position des Libero auf dem Platz erfunden (ich sage nicht, entdeckt) und bestechend ausgefüllt. Ein zeitgenössischer, leider zu wenig beachteter Großer ist der Argentinier Fernando Redondo, der die Position des "medio punto" für den lateinischen Spielkreis entwarf. Grob gesagt besteht sie darin, sowohl Staubsauger als auch Spielmacher zu sein, also Jeremies und Effenberg in einer Person.

Jetzt zu den Trainern. Für sie käme man zu folgendem Kriterium: Ein großer Trainer hat eine neue Vision des Spiels erfolgreich umzusetzen. Große Trainer sind seltener als große Spieler. Ihre Meßlatte liegt höher, denn sie müssen das Spiel als Ganzes auf neue Art zu gestalten verstehen. Jede Dekade hat ihren großen Trainer, die Siebziger Weisweiler , die Achtziger Happel, die frühen neunziger Cruyff - alle nikotinabhängig. Und nun, im neuen Jahrtausend, der Asket Hitzfeld, Herr der Augenringe?

Was hat der Trainer Hitzfeld dem Fußball als Spiel gegeben? Eine eigene Vision im Sinne einer systematischen Erneuerung der Spielweise lässt sich nicht erkennen. Eigentlich wäre die Frage damit beantwortet; Hitzfeld kein Großer. Allein, diese Folgerung wäre zu hastig gezogen und verfehlte seine eigentliche Trainerkunst. Denn Hitzfeld ist vor allem auch eines: der Meister des Vorhandenen. Da er die mentalen und physischen Grenzen seiner Spieler genau einschätzt - wie viele sind daran gescheitert, aus Scholl einen Spielgestalter zu machen - treibt er sie als Kollektiv mit atemberaubender Konstanz an die Grenzen ihrer Möglichkeiten.

Als präziser Analytiker schenkt Hitzfeld den Schwächen des Gegners ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit. Anwaltssohn Hitzfeld ist ein reaktiver Trainer, der die Stärken des Gegners achtet und sich nach dessen Schwächen richtet. So zog er im Finale von Mailand Salihamidzic auf die linke Seite Lizarazus, wo beide dann mit Angloma ihren Lazi trieben. Auf eine taktische Reaktion von Valencias Trainer Cuper, selbst bekennender Systematiker, wartete man 120 Minuten vergebenes. Schon deswegen hatte Bayern den Sieg verdient. Mit dieser taktischen Versatilität, in der Hitzfelds Meisterschaft besteht, unterläuft er allerdings das zunächst vorgeschlagene Kriterium. Ja, er scheint mein ästhetisches Systemideal geradewegs ad absurdum zu führen. Das System Hitzfeld gibt es nämlich nicht, Visionen verkneift er sich - und gerade darin liegt seine Stärke. Hier öffnet sich ein Abgrund. Sollten die Zeiten der erfolgversprechender Entwürfe auch im Fußball vorbei sein? Sollte unsere Kreativität nur darin bestehen, uns den Gegebenheiten anzupassen? Zeigt sich in Hitzfelds präzisem Pragmatismus die Größe dieser Dekade? Wie gesagt, es handelt sich bei dieser Frage nicht um irgendein philosophisches Problem, das man hinter sich lässt, sobald die neue Saison beginnt. Mein Bekanntenkreis weiß nicht weiter. Der Zweifel quält.

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