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© dpa

Paralympics: Die perfekte Reise

Bei ihren fünften Paralympics gewinnt die 55-jährige Marianne Buggenhagen ihren letzten großen Wettkampf.

Am Morgen steht sie auf, „und gleich habe ich das Gefühl, das wird heute was“. Die Pekinger Luft ist sauber, es hat geregnet. Dann fährt sie ins Nationalstadion von Peking. Ihr letzter Wettkampf in so einem großen Stadion steht an, dort warten 60 000 Leute auf sie, „so eine große Kulisse“, schwärmt sie. Sie ist früh dran, es ist neun Uhr morgens, mit der Hand wiegt sie den Diskus ab. Dann holt Marianne Buggenhagen aus und wirft – ein Mal, ein zweites Mal, ein letztes Mal. Jeder einzelne Wurf reicht für Gold. Und einer sogar zum Weltrekord. Einen würdigeren, schöneren Abschluss hätte es nicht geben können für die Grande Dame des deutschen paralympischen Sports. Mit einer Goldmedaille in ihrer Kerndisziplin Diskuswerfen tritt die 55-Jährige von der internationalen Bühne ab.

Diese letzte große Reise, diese fünften Paralympics, wird die Rollstuhlfahrerin, die in Bernau wohnt und für den SC Berlin startet, nie vergessen. „Seit meiner Kindheit ist Sport eine Herausforderung für mich“, sagt Buggenhagen. Und er ist es erst recht beim allerletzten großen Wettkampfwurf ihrer Karriere. Am Montag hatte sie Bronze im Kugelstoßen geholt – und am Sonntag tritt sie noch einmal im Speerwurf an. „Das nehme ich nochmal so mit.“ Zum Abschied wird sich die Mannschaft sicher noch etwas einfallen lassen. Aber der letzte Wettkampf, der perfekte für sie, der war gestern.

Buggenhagen musste gleich als Zweite an den Start. „Da habe ich die Chinesinnen gesehen, die sind jung und schnell, da musst du dich ganz schön strecken“, erzählt sie. Sie habe alles hineingelegt in ihre Würfe, „ich muss das schaffen“, hat sie sich gedacht. Und geworfen: 27,80 Meter weit – Weltrekord! Die Konkurrenz brachte es gerade mal auf 17 Meter. Buggenhagen gewann, trotz der unterschiedlichen Starterklassen, die für die Sportlerinnen mit unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen bei den Paralympics eine Vergleichbarkeit gewährleisten sollen. So bekam Buggenhagen zum letzten Mal die Goldmedaille umgehängt, so ging bei der Siegerehrung der Blick zum letzten Mal nach oben auf den Bildschirm, auf dem sie sich noch einmal ganz groß sieht.

Der Weg nach oben dauerte nicht lang, aber er hielt lange an. 1969 beginnt sie mit Volleyball, beim SC Dynamo Berlin. „Über die dritte Mannschaft kam ich aber leistungsmäßig nicht hinaus“, erzählt sie. Eine Querschnittslähmung nach einem Rückenleiden ändert 1976 ihr Leben, nun treibt sie aus dem Rollstuhl heraus Sport. Schon ein Jahr später bekommt der Behindertensport eine große Bedeutung für sie – bei der Reha, als neuer Lebensmittelpunkt. Im Wendejahr 1989 fängt Buggenhagen an mit dem Leistungssport. In den Disziplinen Diskuswerfen, Kugelstoßen, Speerwerfen und Mehrkampf gewinnt die gelernte Krankenschwester eine Medaille nach der anderen. Allein bei den Paralympics sind es neun goldene, eine silberne, zwei bronzene. Insgesamt kommen 44 zusammen – bis zu den Spielen in Peking.

„Das ist der Höhepunkt, in jeder Beziehung“, sagt Buggenhagen. In Peking gebe es keine Pannen wie noch 2004 in Athen, als der Aufzug in ihrem Haus versagte und sie über die Handläufe an den Treppen nach unten rutschen musste. Ob sie sich noch an die ersten Paralympics erinnere? „Natürlich, 1992, Barcelona, das war wunderschön.“ Zwei Jahre später wurde sie zur Sportlerin des Jahres gewählt, neben Franziska van Almsick. Sie schreibt gerade ein weiteres Buch über ihr Leben, zwei Schulen sind bereits nach ihr benannt. Sie werde noch etwas trainieren, erzählt ihr Trainer Bernd Mädler, mit dem sie seit zehn Jahre zusammenarbeitet. Sie werde mehr Zeit mit ihrem Mann und Freunden verbringen, sagt sie.

Einer, der sie ganz gut kennt, erzählt, die Marianne sei eine, zu der könne man immer gehen, sie sei immer für einen da. Sie selbst sagt: „Ich will eben leben.“

Annette Kögel[Peking]

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