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Anke Molkenthin liebt große Herausforderungen.

© Binh Truong/DBS

Paralympics in Rio de Janeiro: Anke Molkenthin ist doppelt auf dem Wasser unterwegs

Die gebürtige Berlinerin Anke Molkenthin startet bei den Paralympics in Rio als einzige deutsche Athletin gleich in zwei Disziplinen.

Die Cristo-Statue, die vom Berg in Rio de Janeiro auf die Lagune blickt und eine fantastische Kulisse für die Ruder- und Kanu-Wettbewerbe der Paralympics bietet, ist von einer grauen Wolke bedeckt. Der deutsche Ruder-Mixed-Vierer registriert das beim Training beiläufig, die erste Einheit des Tages ist beendet, gleich geht es zum zweiten Frühstück. „Cristo könnte sich ruhig auch mal blicken lassen“, sagt Anke Molkenthin und zeigt auf den Corcovado, den 710 Meter hohen Berg, auf dem das Wahrzeichen Rios thront.

Außer dem trüben Wasser in der Lagune, ihrem Zimmer im Paralympischen Dorf und dem viel zu stark klimatisierten Bus, der sie zwischen diesen Orten transportiert, hat Molkenthin kaum etwas von Rio gesehen, obwohl sie schon einige Tage vor Beginn der Paralympics angereist ist. Denn als die zweite Einheit mit dem Mixed-Vierer um 11 Uhr zu Ende ist, steigt sie um 13 Uhr ins Kanu und hängt noch eine Trainingseinheit dran, dieses Mal in Vorwärtsrichtung.

Molkenthin hat in der deutschen Mannschaft – möglicherweise sogar bei den Paralympics – eine Sonderstellung: Als einzige Athletin wird sie in zwei Disziplinen starten: Im Ruder-Vierer mit Steuerfrau und im Kanu, das erstmals paralympisch ist. 2012 bei den Paralympics in London – Molkenthins ersten Spielen – gewann sie im Ruder-Vierer mit Steuermann Silber. Nach der Weltmeisterschaft 2014 hörte sie vorübergehend auf und fuhr fortan Kanu. Das gestaltet sich schwierig, weil Molkenthin mittlerweile im Berchtesgadener Land lebt und mit öffentlichen Verkehrsmitteln dreieinhalb Stunden zur nächsten Trainingsgelegenheit auf dem Wasser in Oberschleißheim bei München braucht, nicht selten kam daher das Ergometer zum Einsatz.

Molkenthin absolvierte vorher Ultra-Läufe

Molkenthin wurde immer schneller, verpasste aber Mitte Mai bei der WM in Duisburg mit Platz elf die Qualifikation für Rio um einen Platz. „Das war rundum okay, als 54-Jährige in einer für mich neuen Sportart hatte ich das Ziel, einen Quotenplatz zu erpaddeln, aber andere waren eben schneller.“ Doch zwei Tage nach dem WM-Lauf klingelte schon das Telefon. Am anderen Ende: Die Ruderer, die Molkenthin zur Rückkehr bewegen wollten. „Ich hatte eineinhalb Jahre kein Ruder mehr in der Hand, aber dieses Risiko wollten sie wohl eingehen“, sagt sie und schmunzelt dabei.

Durch die kurze Vorbereitung blieben ihr nur eine Regatta, zwei Trainingswochenenden und die unmittelbare Wettkampfvorbereitung mit dem Vierer, Kanu fuhr sie weiter, weil die Paddelbewegung ihrem Rücken gut tut, der durch abgebrochene Dornfortsätze im oberen Teil labil und in der Kopfhebung und Rotation eingeschränkt ist.

Sechs Tage vor dem Abflug zu den Paralympics kam dann die Meldung, dass aufgrund des Ausschlusses der russischen Nationalmannschaft ein Nachrücker-Platz für Deutschland im Kanu frei wird – den bekam Molkenthin. Weil die Kanuten erst nach den Ruderern dran sind, beeinflusst sie das in ihrem Hauptwettkampf nicht. „Und überlegen musste ich nicht lange, weil ich im Kanu ja nichts zu verlieren habe, da rechnet ja niemand mit mir als Nachrückerin.“

Die Strecken in Rio sind ihr eigentlich zu kurz

Zu Molkenthin, die bis zu ihrer Dystonie als Spätfolge einer erblich bedingten Lähmung, Ultraläufe, Bergläufe und Triathlons machte und in der Szene eine weltweit bekannte Extremsportlerin war, passt die Doppelbelastung. 2013 stellte sie mit 261,06 Kilometern den Frauen-Weltrekord im 24-Stunden-Ergometerrudern auf, 2014 in 6 Tagen, 7 Stunden, 51 Minuten und 10 Sekunden den im 1000-Kilometer-Ergometerrudern. Was andere als verrückt bezeichnen, macht Molkenthin Spaß. Die Strecken im Rudern und Kanu sind ihr eigentlich zu kurz, „aber kurz und heftig“, wie sie sagt: „Und das macht es wieder so spannend, weil es so komplett anders ist, als das, was ich vorher gewohnt war.“

Während sie im Kanu befreit fahren kann, ist es im Ruder-Vierer ihr Ziel, ins A-Finale zu kommen. Immerhin: Am Donnerstag sollen planmäßig auch die Kanuten mit ihren Wettbewerben fertig sein. Dann hat Molkenthin noch einen Tag Zeit, mehr von Rio zu sehen – und möglicherweise selbst vom Corcovado auf die Lagune zu blicken, bevor es zurück nach Deutschland geht.

Leon Bucher

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