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Das macht Spaß. Enya Wolf (l.) bei der Arbeit.

© Thilo Rückeis

Paralympics-Tagebuch (8): Bloß nicht nervös werden!

Der heutige Eintrag im Paralympics-Tagebuch gibt einen Einblick in den Alltag von Schülerreporterin Enya Wolf, die sich weder von Regenwetter, noch von ihrer eigenen Tollpatschigkeit die Freude an der Arbeit nehmen lässt.

Diktiergerät, Handy, Oystercard, Schlüssel, Block, Kugelschreiber. Pedantisch hake ich in meinem Kopf alles ab, was ich als Journalistin brauche - und bin geradezu begeistert, dass ich an alles gedacht habe. Dazu muss ich erklären, dass ich seit meiner Geburt an einer starken Schusseligkeit leide. Schon befinde ich mich am Ende meiner mentalen Liste: die Akkreditierung. Ohne Presse-Akkreditierung bin ich aufgeschmissen und komme nicht einmal in den Olympischen Park. Geschweige denn in die Mixed Zone, wo Journalisten den Sportlern nach den Spielen Fragen stellen dürfen. Ende ich womöglich so wie Prinz Felipe von Spanien, der bei den Olympischen Spielen vergeblich Einlass in die Mixed Zone forderte? Was wird dann aus meinen Artikeln? Noch während ich von dieser Horrorvision geplagt werde, stelle ich erleichtert fest, dass die Akkreditierung an ihrem grellen Band um meinen Hals hängt. Obwohl ich mich über mich selbst ärgere, ist die Freude über meine Entdeckung stärker als die Scham.

Sicherheitshalber mache ich im Zimmer noch eine 360-Grad-Drehung. Mein letzter prüfender Blick fällt auf den Regenschirm, der mich die letzten fünf Tage unnötigerweise auf Schritt und Tritt begleitet hat. Voller Optimismus beschließe ich, dass es heute nicht regnen wird und lasse den armen Schirm allein im Studentenwohnheim.

Bester Laune marschiere ich zur Kings Cross Station und nehme die Schnellverbindung nach Stratford, wo die Paralympics ausgetragen werden. Bevor ich in den Media Shuttle einsteigen kann, der mich bequem zum Media Entrance des eindrucksvollen Basketball-Stadions bringen wird, muss ich aber noch durch die Sicherheitskontrolle. Dort passiert schon das Nächste: die Maschine gibt ein lautes „Beep“ von sich. Sofort weiß ich, dass es an meiner Wasserflasche liegt. Die nette Dame von der Sicherheitskontrolle macht mir einen Vorschlag: bevor die Flasche in den Mülleimer muss, darf ich noch ein paar Schlucke nehmen. Da ich von meinem Elternhaus gelernt habe, alles stets auszutrinken und Wasserverschwendung mir in Anbetracht unserer ökologischen Weltsituation als gewissenlos erscheint, mache ich die ganze Flasche in einem Zug leer.

Schon werde ich von umstehenden Security-Leuten angefeuert: „Down it, down it, down it!“ Wir sind aber nicht auf Mallorca, sondern in England und ich trinke nicht Sangria, sondern Leitungswasser. Weil mir die ganze Situation ziemlich ironisch erscheint, kann ich nicht anders, als zu lachen. Dies stellt sich schon bald als fataler Fehler heraus, denn dabei geht auch ein bisschen Wasser auf mein hellblaues „Paralympics Zeitung“-T-Shirt. Zumindest trocknet Wasser schnell, tröste ich mich. Schokopudding wäre da viel problematischer. Glücklicherweise hat auch die Akkreditierung dank ihrer Laminierung keinen Schaden genommen. Da lobe ich mir die Designer der Akkreditierung, die sogar an die Tollpatsche unter uns Journalisten gedacht haben! Ich gehöre ja offensichtlich zu dieser Minderheit, die leider viel zu oft von geschickten Menschen diskriminiert wird.

Alles spielt mit, doch dann fängt es plötzlich an zu regnen

Auf der Medientribüne grüßen mich die freundlichen Paralympics-Mitarbeiter, mit denen ich bisher bei allen Rollstuhlbasketball-Spielen in einer Reihe saß. Einem von ihnen schenke ich einen roten Kugelschreiber. Gestern hatte ich nämlich vergeblich in meinem Rucksack nach meinem Stift gesucht. Er hatte wohl Mitleid, denn er gab mir einfach einen von sich. Überhaupt sind hier alle Leute - ob Paralympioniken, Zuschauer oder Putzfrauen - sehr höflich und zuvorkommend.

Selbstverständlich geht es bei den Spielen in erster Linie um die herausragenden Leistungen der Sportler. Doch diese allgemeine Freundlichkeit trägt mit Sicherheit zu der lockeren, positiven Stimmung bei. So können alle Beteiligten die unvergesslichen Sportwettkämpfe erst recht genießen.

Auch heute ist es ein spannendes Spiel. Lange Zeit fallen die Körbe mal hier und mal da, letztendlich geht Deutschland als Gewinner gegen Japan hervor. Damit ist es für das deutsche Männer-Team der dritte Sieg in Folge! In der Mixed Zone nehme ich wieder die Interviews verschiedener Spieler auf.  Heute fühle ich mich dabei wohl, beim ersten Interview war ich dagegen sehr nervös. Wo sollte ich stehen? Durfte ich junge Spieler duzen oder musste ich sie siezen? In der Theorie hatte ich gelernt, wie ein Interview ablaufen sollte. Doch in der Praxis war ich auf einmal verunsichert. Heute aber macht die Arbeit riesigen Spaß. Einige der Sportler kenne ich schon von den vorherigen Spielen. Sie erkennen mich, lächeln, kommen auf mich zu. Ich habe Fragen vorbereitet, reagiere aber flexibel und spontan. Nach und nach taue ich immer mehr auf und bemerke, dass auch die Spieler offener und ausführlicher antworten.

Zufrieden verlasse ich mit meinem vollen Diktiergerät das Stadion. Da spüre ich den ersten Tropfen auf meiner Schulter, dann noch einen. Beim Blick nach oben bestätigt sich meine Vermutung: ich habe mich wohl in meiner Wettervorhersage getäuscht. Statt Sonnenschein hängen dicke Wolken am Himmel, die sich mit pausbäckigem Grinsen nur allzu sehr darüber freuen, dass ich meinen Regenschirm zuhause liegen gelassen habe. Ein bisschen nass werden? Alles halb so wild.

Solange die Akkreditierung um meinen Hals baumelt, darf ich den weltbesten Behindertensportlern in allen Disziplinen nicht nur zusehen, sondern sie sogar interviewen. So schnell kann mir da nichts die Laune verderben. Auch du nicht, englisches Wetter! Lass deinen Regen ruhig auf mich niederprasseln, meine Akkreditierung ist ja zum Glück laminiert.

Enya Wolf

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