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Hier pocht das Herz der Spiele.

© REUTERS

Sport: Party an der Downing Street

London bekommt gar nicht genug von Olympia. Eine Reportage über die STIMMUNG dieser Spiele drinnen und draußen.

Um 10.36 Uhr setzt sich die erste Polonaise in Gang. Angeführt von einem etwa vierjährigen Jungen in einem roten T-Shirt. Sein Vater hebt ihn hoch, damit er die ausgestreckten Hände aus der Reihe obendrüber abklatschen kann. Die Polonaise wächst auf 40 Feiernde an, eine Runde laufen sie auf der Plattform vor dem Oberring, während unten zwei Chinesinnen und zwei Schweizerinnen Beachvolleyball spielen.

Das sportliche London ist an diesem Montagmorgen schnell aufgewacht und gleich in Form gekommen. Fast 15 000 Menschen feiern Beachvolleyball auf dem Gelände der Horse Guards Parade. „Wer ist für die Schweiz?“, fragt der Stadionsprecher. Lautes Gejohle. „Und wer ist für China?“ Genauso lautes Gejohle. Alle haben einfach zweimal gejubelt.

Beachvolleyball ist ohnehin die Partymeile der Olympischen Spiele, diesmal fängt das schon bei der Sicherheitskontrolle an. „Schau mal, unser magischer Besen“, sagt einer der Soldaten und freut sich, dass der Besen steht, ohne umzufallen. Ein anderer Soldat hat einen Gummihandschuh aufgepustet und formt aus den Fingern eine Puppe. „Ich glaube, es ist eine Turnerin.“

Der Bondi Beach von Sydney 2000 war die natürlichste Kulisse für Beachvolleyball, die Horse Guards Parade ist die bisher skurrilste, hier findet jährlich die Parade zum Geburtstag der Queen statt. Das Beachvolleyballturnier hierhin zu legen ist wie ein Konzert von DJ Ötzi in der Spanischen Hofreitschule von Wien. Das Gebäude der Horse Guards Parade wirkt hinter dem Stadion aus Stahlrohren wie eine riesige Sandburg. Über eine Tribüne guckt noch Big Ben, ob hier alles mit rechten Dingen zugeht. Und der unmittelbare Nachbar des Beachvolleyballs ist der britische Premierminister. Wenn er ein Fenster in Downing Street Nr. 10 aufmacht, hört er jeden Satz des Stadionsprechers, der schon heiser ist. Oder noch heiser. Oder schon wieder.

Das Publikum ist bunt gemischt, im Schnitt etwas über 30, manche knistern in Chipstüten, andere wedeln mit Fahnen. Zwischendurch stürmt eine Tanzgruppe aufs Feld, die Frauen sind in ihren Badeanzügen nicht so knapp bekleidet wie die Sportlerinnen. Ein Tänzer hat seinen ganzen linken Arm und seinen halben Rücken tätowieren lassen und hüpft wie wild durch den Sand.

Von Olympia können die Briten gerade nicht genug bekommen, auch deshalb sind sie so sauer, dass viele Plätze in den Stadien und Hallen leer geblieben sind (siehe Artikel rechts). Die Gelegenheit, Olympia kostenlos zu sehen, haben sie daher am Wochenende genutzt. Mehr als eine Million Menschen standen am Streckenrand bei den Straßenradrennen – obwohl es zeitweise regnete. „Mit diesen Massen kann die Tour nicht mithalten. Es gab keinen Punkt an der Strecke, wo man in Ruhe pinkeln konnte“, sagte der deutsche Radprofi Andre Greipel.

Im Südosten der Stadt trifft sich Fachpublikum. Dafür haben die Organisatoren das Kongress- und Messezentrum Excel in den Docklands ausgesucht. Boxer kämpfen hier neben Gewichthebern, Tischtennisspieler neben Fechtern und Judoka – alles unter einem riesigen Dach. 7000 Zuschauer passen auf die Tribünen der Fechthalle, vor ihnen leuchten die vier Planchen rot, blau, gelb und grün.

Weil Fechten doch etwas spezieller ist, haben sich die Organisatoren etwas ausgedacht: „Funky referee“. Einen Videoclip, in dem ein Mädchen die Anweisungen des Schiedsrichters nachtanzt. Nicht nur, damit das Publikum die Regeln lernt. Sondern sich gleich noch mitbewegt, als Pausengymnastik. Erklären muss man hier ohnehin nicht viel, die Halle ist gefüllt mit Fechtfans, sie trampeln so begeistert mit den Füßen, dass man glauben könnte, es rausche ein Zug durch die Halle. Der Hallensprecher findet einen Jungen, der einen Schlachtruf für das Team Großbritannien ins Mikrofon rufen darf: „Three, two, one – GB!“

Im Eingangsbereich haben sich 100 Leute auf den Boden gesetzt und schauen auf einer Leinwand einer chinesischen Turnerin auf dem Schwebebalken zu. Hinter der nächsten Wand spielen sich gerade die Tischtennisspieler Richtung Achtelfinale. Zwischendurch darf das Publikum mitraten. Ballwechsel werden eingeblendet und mittendrin unterbrochen – wo landet der Ball, im Netz, im Aus, oder doch auf dem Tisch?

In einem Clip zum Abschluss verabschieden Prominente die Zuschauer, Sebastian Coe ist darunter, Daley Thompson und Mark Spitz: „Wir sehen uns morgen wieder. Und schauen Sie beim Überqueren der Straße auf die richtige Seite – das ist England.“

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