zum Hauptinhalt

Sport: Patriotismus-Test mit Sternen und Streifen

Eric Heiden hätte auch dabei sein können. Aber er wollte nicht.

Eric Heiden hätte auch dabei sein können. Aber er wollte nicht. Vor einigen Tagen waren die Organisatoren der Eröffnungsfeier an den fünfmaligen Olympiasieger von Lake Placid 1980 herangetreten und hatten ihn gefragt, ob er die Flamme tragen wolle. Nur wenn er den besten Platz haben könne, antwortete Heiden. Als letzter Fackelträger, der das Olympische Feuer entzündet. Doch die Organisatoren hatten für diese Aufgabe schon eine andere Idee. Da sagte Heiden: "Gut, dann habe ich was anderes zu tun."

Salt Lake City 2002 Newsticker: Aktuelle Nachrichten von den XIX. Winterspielen sowie weitere Sportmeldungen Der 43-Jährige Heiden dürfte damit zu den wenigen US-Amerikanern zählen, die am Freitagabend die Eröffnungsfeier der 19. Olympischen Winterspiele in Salt Lake City verpasst haben. Auch der US-amerikanische Showmaster Jay Leno hatte seinen Fernseher eingeschaltet, und frotzelte später am Abend in seiner "Tonight Show": "Ich feiere ja auch gerne die Nation - aber muss das unbedingt drei Stunden lang sein?" In der Tat waren auf der Eröffnungsfeier vor über 50 000 Zuschauern im Rice-Eccles-Stadion drei Buchstaben sehr häufig zu sehen: U - S - A.

Etwa bei einem der Höhepunkte der Feier, als das Olympische Feuer entzündet wurde. Dazu hatte das Organisationskomitee erstmals eine ganze Mannschaft auserkoren. Erst stand Michael Eruzione alleine im US-Trikot mit der Flamme auf der Athletentribüne. Dann holte der Kapitän und entscheidende Torschütze der Eishockeymannschaft, die 1980 in Lake Placid im Halbfinale sensationell die hochfavorisierte Sowjetunion bezwungen hatte, seine Mannschaftskameraden hinzu. Gemeinsam entzündeten sie schließlich die Flamme über dem Rice-Eccles-Stadion.

Es war eine symbolische Geste. Das Land ist zusammengerückt nach den Anschlägen vom 11. September, die Vereinigten Staaten von Amerika sind eine Mannschaft. Das selbe Zeichen sendete auch der amerikanische Präsident George W. Bush, indem er sich für die Eröffnungsworte zu den amerikanischen Athleten auf die Tribüne stellte. Aber er ging noch weiter, indem er bei der offiziellen Eröffnung der Spiele von der vorgeschriebenen Formel abwich: "Im Namen einer stolzen, entschlossenen und dankbaren Nation, erkläre ich die Olympischen Winterspiele von Salt Lake City für eröffnet", sagte Bush. Eigentlich hätte er weder sein Land noch den Veranstaltungsort erwähnen dürfen. Veranstalter der Spiele sind nämlich nicht die USA. Dieses Exklusivrecht reklamiert das Internationale Olympische Komitee für sich. Und so hörten auch nicht alle Herren vom IOC Bushs Worte gern.

Doch auch Jacques Rogge, der erstmals nach seiner Wahl zum IOC-Chef die Begrüßungsworte bei Olympischen Spielen sprach, hob die Verbindung dieser Spiele zu den Terroranschlägen im vergangenen Jahr hervor. "Ihre Nation muss eine schreckliche Tragödie verarbeiten", sagte Rogge zu den Amerikanern. "Wir stehen vereint mit Ihnen bei der Verwirklichung gemeinsamer Ideale und der Hoffnung auf den Weltfrieden."

Als Zeichen dieser Verbundenheit hatte der Belgier Rogge zwei Tage zuvor zugelassen, dass die US-Amerikaner bei der Eröffnungsfeier die Fahne präsentieren dürfen, die drei Tage nach den Anschlägen auf das World Trade Center in den Trümmern gefunden wurde. Längst schreibt die amerikanische Nation diesem durchlöcherten Stoff eine mythische Bedeutung zu. Sie gilt nun als Symbol dafür, dass die USA auch aus Trümmern wieder aufstehen.

Doch die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), die Fahne von acht amerikanischen Athleten ins Stadion tragen zu lassen, war umstritten. Erstmals öffnete das IOC seine traditionelle Feier für nationales Interesse. "Bei allem Respekt", schreibt die Kolumnistin Christine Brennan in "USA Today", "die Angriffe am 11. September sind nicht die einzigen schlechten Dinge, die in der Welt passieren". Noch nie zum Beispiel hätte das IOC angemessen der elf getöteten israelischen Athleten bei den Olympischen Spielen von München gedacht. Auch im IOC gab es Widerstand, doch am Dienstag hatten sich die Lobbyisten des Organisationskomitees von Salt Lake City durchgesetzt.

Damit offenbarte sich schon vor der Eröffnungsfeier das Problem dieser Spiele: Die richtige Balance zwischen Patriotismus und Gastgeber zu finden. IOC-Generaldirektor Francois Carrard sagt: "Ich denke, dass das der absolut beste Weg ist, um Opfer und Helden zu ehren." Amerika hatte auf die Fahne gewartet, und es bekam seine Fahne. Als das zerrissene Stück fünf Minuten nach Zeremoniebeginn in das kühle Stadion getragen wurde, verstummten die Zuschauer ergriffen. Für die Amerikaner war dies der Höhepunkt der Feier, "USA Today" druckte dieses Foto sofort als Titelbild.

Trotz der Fahne und trotz des singenden Polizeibeamten aus New York oder des in einen Bademantel in US-Farben eingehüllten Sängers R. Kelly hielt sich der Patriotismus insgesamt aber in Grenzen. Als die Eishockeymannschaft das Feuer entzündete, erschallten erste "Ju-ess-ey"-Rufe, die schnell wieder verstummten. Beim 40-minütigen Einmarsch der Nationen bedachten die Zuschauer alle Nationen mit ehrlichem Applaus. Exoten wie Jamaika oder die Bahamas bekamen besonders viel Beifall, und auch die deutsche Mannschaft, sportlich der größte Konkurrent der Amerikaner, wurde freundlich begrüßt. "Es war ein unheimlich gutes Gefühl, der deutschen Mannschaft vorausgehen zu dürfen", sagte Skirennfahrerin Hilde Gerg, die die deutsche Fahne trug. "Leider war der Einmarsch so kurz, ich hätte die Fahne gerne noch länger getragen." Showmaster Leno sah das anders. "Wenn das alles so tolle Athleten sind - warum gehen sie dann so langsam?", witzelte er. "Die müssten doch joggen oder sprinten."

Diese Feier hätte es nicht verdient gehabt, in einem Sterne-und-Streifen-Taumel unterzugehen. Der Produzent der Eröffnungsfeier, Don Mischer, hatte neben R. Kelly auch noch Sting aufgeboten, der mit dem chinesischen Cellisten Yo Yo Ma seinen anrührenden Song "Fragile" darbot. Die fünf Indianerstämme des US-Bundesstaates Utah hießen die Athleten mit traditionellen Tänzen willkommen und tausende Helfer stellten in einem prächtigen Musik- und Farbenspiel die Siedlungsgeschichte Utahs nach. Der IOC-Präsident sagte: "Fantastisch, eine wundervolle Feier des amerikanischen Westens und der olympischen Werte." So perfekt war die Show, dass man am Ende nicht mehr sicher sein konnte, ob der Schnee, der zwischendurch vom Himmel fiel, nicht auch Teil des organisierten Spektakels war. Der Schneesturm, der vor der Feier das Trainings- und Wettkampfprogramm durcheinander gebracht hatte, war jedenfalls so nicht geplant.

Die 56 000 Zuschauer im Rice-Eccles-Stadion sind die ersten Gewinner der Spiele. Sie warteten lange, doch das Warten lohnte sich. Geduldig stellten sie sich bis zu eine Stunde in die Schlange, um die Sicherheitsschleusen zu passieren. Jeder Besucher musste sich von der Nationalgarde penibel durchsuchen lassen. Die Tapfersten passierten bereits drei Stunden vor Showbeginn die Eingangstore. Bei minus zehn Grad und eisigem Wind mussten sie sechs Stunden in der Kälte sitzend ausharren. Doch der Stimmung tat das miese Wetter keinen Abbruch. Schon am Mittwoch hatte Organisationschef Mitt Romney auf seiner Pressekonferenz Bekleidungsstücke hoch gehalten und gesagt: "Ich verspreche, dass es bei der Eröffnungsfeier keinen geben wird, der zuviel Kleidung trägt." So kam es.

Nicht nur der Tabernacle Choir der Mormonen war ein ständiger akustischer Begleiter der Show. Auch das Knattern der acht Hubschrauber, die den Luftraum über dem Stadion sicherten, erinnerte jeden daran, dass dies auch die Spiele der Sicherheit werden. 310 Millionen Dollar, so viel wie nie zuvor, gibt das Organisationskomitee von Salt Lake City (SLOC) für die Sicherheitsmaßnahmen aus. Nach dem 11. September ist der Luftraum über Salt Lake City für die Zeit während der Eröffnungs- und Schlussfeier geschlossen worden. Es galt die höchste Sicherheitsstufe, weil Präsident Bush anwesend war.

Den großen Patriotismus- und Sicherheitstest haben die Amerikaner bestanden. Doch das ist erst der Anfang. Nach dem abschließenden Feuerwerk leuchteten vier Worte auf der Anzeigentafel im Rice-Eccles-Stadion auf: Let the games begin. Lasst die Spiele beginnen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false