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V wie Victory. Was für Simon Ammann in der vergangenen Saison bei fast jedem Springen gegolten hat, stimmt in diesem Winter bisher nicht mehr so ganz. Foto: Reuters

© REUTERS

Sport: Pilates am Schanzentisch

Doppel-Olympiasieger Simon Ammann genießt in Engelberg seine Rolle als Schweizer Nationalheld. Sportlich aber läuft es für den Skispringer in dieser Saison noch nicht

Auf den Rängen ist jeder Platz besetzt, 8000 Zuschauer schauen gespannt hinauf zur Titlisschanze. Ein Meer von roten Fahnen mit weißem Kreuz flattert im Wind, dumpf dröhnen mächtige Kuhglocken. Plötzlich aber bimmeln die Glocken, als stürmte eine riesige Kuhherde vom Berg hinunter. Stattdessen löst sich eine kleine Figur im gelb-schwarzen Anzug und weißem Helm vom Schanzentisch.

In Engelberg herrscht der Ausnahmezustand. Schuld daran ist der 29 Jahre alte Schweizer Skispringer Simon Ammann. Im Februar bei den Olympischen Spielen in Vancouver hat er zum zweiten Mal zwei Goldmedaillen im Einzelspringen gewonnen. Und wurde anschließend noch Skiflug-Weltmeister. Und gewann den Gesamtweltcup. Seitdem hat die Schweiz einen neuen Nationalhelden. Einen zum Anfassen, der lächelnd die Zuschauer begrüßt, freudig Hände abklatscht und so viele Fotowünsche erfüllt wie möglich. Allerdings auch einen, für den es in der neuen Saison noch nicht richtig läuft.

Am Freitag beendete Simon Ammann sein Heimspringen in Engelberg auf Platz sechs, am Samstag landete er nach Flügen auf 131 und 134 Meter lediglich auf Rang neun. Beide Male gewann der Österreicher Thomas Morgenstern, als bester deutscher Springer landete Stephan Hocke am Samstag auf Rang 16, Severin Freund folgte auf Rang 18. Bei Simon Ammann aber ist das Flugsystem noch nicht so eingestellt, wie er sich das wünscht. „Es passt zeitlich noch nicht hundertprozentig“, analysiert er, „es ist wichtig, dass die einzelnen Bewegungen harmonisch zueinander passen.“ Weil sie das nicht tun, ist der Absprung nicht explosiv genug. Etwa ein halber Meter an Flughöhe fehlt im Vergleich zu seinen Konkurrenten Thomas Morgenstern, Andreas Kofler und Wolfgang Loitzl aus Österreich. Dass er trotzdem einigermaßen mithalten kann, ist seinem ausgeprägten Fluggefühl zuzuschreiben. Daran hat er auch im Sommer gearbeitet, im Windkanal.

Auch begegnete er nun der gesteigerten Aufmerksamkeit um seine Person mit einem größeren Betreuerstab. Nebst der Stammequipe mit Teamchef Berni Schödler, Coach Martin Künzle, Servicemann und Physiotherapeutin gehören dazu die Mannschaftsärztin sowie ein Sportpsychologe. Auch seine Frau Yana, die er im Sommer geheiratet hat, steht in Engelberg mit an der Schanze.

Dort genießt Simon Ammann das Bad in der Menge. Vor einer Woche wurde er zum „Sportler des Jahres“ gewählt. Erst auf Platz vier konnte sich Riesenslalom-Olympiasieger Carlo Janka platzieren. Doch aus der Alpin-Nation Schweiz ist noch keine Skisprung-Nation geworden. „Die Alpinen haben sich die erste Position über viele Jahre hinweg erarbeitet“, sagt Ammann. Der Hype um das Skispringen werde schlagartig nachlassen, sobald er nicht mehr so erfolgreich sei.

Schon jetzt wird er gefragt, wann er wieder ganz vorne landen werde. Ammann kann die Frage nicht beantworten. Geduld ist gefragt. Hat er die? „Mir fällt es leichter als den Medien“, sagt er und lacht. Allzu viel Zeit hat er jedoch nicht, denn nach Weihnachten startet in der Vierschanzentournee das erste Highlight der Saison. Ein Triumph beim Klassiker fehlt noch in seiner Erfolgsliste. „Der Mythos wird immer stärker, auch weil ich immer weniger Chancen habe“, sagt er. Fast trotzig fügt er an: „Ich habe eine gute und erfolgreiche Karriere – mit oder ohne Tourneesieg.“

Nicht nur die Zeit auf den Tourneesieg läuft Ammann langsam davon, auch gesundheitlich hinterlässt der Leistungssport Spuren. Speziell im Rücken. „Es ist nicht direkt ein Schmerz, es ist ein komisches Gefühl, das meine Aufmerksamkeit erregt“, sagt er. Als Gegenmaßnahme mache er jetzt „mehrmals täglich Altersturnen“. Was man sich darunter vorstellen muss? „Wenn man plötzlich freiwillig Gymnastikübungen macht, über die man früher nur müde gelächelt hat. Zum Beispiel Pilates.“

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