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Sport: Pirouetten für den guten Zweck

Katarina Witt hat eine Stiftung gegründet, mit der sie sich unter anderem für den Behindertensport einsetzt

Diese Figur hat Katarina Witt in ihrer Karriere wohl noch nie gezeigt. Die Eiskunstläuferin rückt die rosa Mütze zurecht, läuft auf die Bande der Eisbahn zu und drückt demonstrativ heftig dagegen, als wolle sie die Begrenzung wegschieben, um mehr Platz für sich herauszuschlagen. Zehn Meter mal dreißig Meter misst die Mini-Eisfläche auf dem Marktplatz, ein Sechstel des üblichen Maßes. Und doch zieht der 40 Jahre alte Weltstar an diesem Winterabend in dem Fachwerkstädtchen Duderstadt in Südniedersachsen die Zuschauer mit seiner Showproduktion „Christmas on Ice“ zum Finale der „Winterzauber“-Tour in den Bann.

Dass Katarina Witt die großen Hallen in den Metropolen dieser Welt kurz verlassen hat und nun auf einer Miniaturbahn in der 10 000-Einwohner-Stadt in der Nähe der Landesgrenze zu Thüringen Pirouetten zeigt, hat etwas mit ihrem neuen Engagement zu tun. Die zweimalige Olympiasiegerin, viermalige Weltmeisterin und sechsmalige Europameisterin im Eiskunstlauf hat die Katarina-Witt-Stiftung gegründet, mit der sie junge, behinderte Menschen unterstützen will. Als Hans Georg Näder sie zur Eiskunstlauf-Show in der Provinz eingeladen hat, kam sie deshalb gerne. Denn Näder ist Inhaber des Unternehmens Otto Bock in Duderstadt, das unter anderem High-Tech-Prothesen und Rollstühle herstellt und langjähriger Förderer der Paralympischen Spiele ist, dem Olympia für behinderte Sportler.

„Ich werde ja sehr oft angesprochen, Charity hier, Charity dort, und ich habe da vieles gern unterstützt“, sagt Katarina Witt, die ihre Mütze inzwischen abgesetzt hat. „Aber jetzt will ich auch etwas Eigenes machen.“ Bei einer Tagung des Deutschen Behindertensportverbandes in Duderstadt stellte sie jetzt erstmals vor, was sie damit meint: die Katarina-Witt-Stiftung. Das sei „eine Herzensangelegenheit“. Witt will den Menschen „ein Stück Mobilität zurückgeben“. Wenn der Terminkalender es erlaubt, kommt sie vielleicht sogar zu den Winter-Paralympics in Turin im März 2006.

Die gebürtige Staakenerin kümmert sich nun etwa um einen Jungen aus Thailand, der durch den Tsunami einen Arm verloren hat. „Er hat jetzt eine Prothese bekommen“, erzählt Katarina Witt. Solch teure Technik können sich in Südasien nur die wenigsten leisten. Außerdem hilft die Witt-Stiftung Erdbebenopfern in Pakistan – und in Deutschland jungen Sportlern mit Behinderungen. „Da will ich aber nichts überstürzt starten, sondern mir Zeit lassen, um für die Zukunft besondere Projekte zu entwickeln.“

So, wie sie es auch beim Zwischenstopp ihrer „Winterzauber“-Tour im Kleinformat in Duderstadt tut. Vor der Show probt Witt mit ihren Kollegen Kati Winkler und René Lohse, Jozef Sabovcik, Margarita Drobiazko und Povilas Vanagas, dem Olympiasieger Alexej Urmanow sowie Talenten vom SC Berlin die Choreografie, gibt gut gelaunt Fernsehinterviews – und immer wieder Autogramme. Überall bitten Menschen um ihre Unterschrift und zücken Fotohandy und Digicam. „Ich sehe das als Kompliment, dass mich die Leute überall erkennen, selbst in Mexiko und Südafrika“, sagt Katarina Witt. „Nur wenn jemand am Flughafen oder im Restaurant beim Essen einfach so mit seiner Kamera draufhält, ohne zu fragen – das stört mich. Manch einer hält mich dann wohl für ein Plüschtier aus Disneyland.“

Künftig wird Katarina Witt zumindest auf Flughäfen nicht mehr ganz so häufig zu fotografieren sein. Zuletzt war sie in Beverly Hills und Berlin zu Hause, dann wohnte sie abwechselnd an der Spree und in New York. Die USA sind ihre zweite Heimat geworden, auch wegen der erfolgreichen Show-Tourneen, bei denen sie pro Jahr teilweise in 60 Städten auftritt. Sogar ein englischsprachiges Buch hat sie herausgebracht: „Only with Passion“ – nur mit Leidenschaft. Und dann wären noch TV-Moderationen, Schauspielerei, Schmuckkollektionen, TV-Produktionen, Projekte ihrer Produktionsfirma „With Witt“. „Künftig soll mein Lebensmittelpunkt aber Berlin-Mitte sein, wo auch meine Eltern leben.“ Mit ihnen feiert sie in Mitte auch Weihnachten und den Abschluss ihrer Tournee. Eine Aufzeichnung der „Winterzauber“-Show aus Riesa zeigt die ARD am 8. Januar (16 Uhr).

Anfang Januar fliegt Witt wieder in die USA, wo sie für den Fernsehsender ABC die amerikanischen Eiskunstlauf-Meisterschaften kommentiert. In den Staaten ist sie gerade als zweite Deutsche überhaupt in die „International Women’s Sports Foundation Hall of Fame“ aufgenommen worden, eine Institution, die Mädchen motivieren soll, sich im Sport zu engagieren. Aber auch in Deutschland erfreut sich Katarina Witt noch immer großer Popularität. Im Februar wird sie für die ARD die Olympischen Winterspiele kommentieren; im März dann für das kanadische Fernsehen die Eiskunstlauf-WM in Calgary. Und vielleicht kommt sie auch mal wieder nach Duderstadt.

„Das ist schon total abgefahren, hier so einen Event mitgemacht zu haben“, sagt Witt nach dem Finale von „Christmas on Ice“. „Obwohl es schon schade ist, dass ich gerade das, was ich an meinem Sport liebe – die Schnelligkeit, die Dynamik – auf so einer kleinen Fläche nicht richtig ausleben kann.“ Nur die Eisfläche im Friedrichstadtpalast, auf der sie in den Achtzigerjahren mal gelaufen ist, war kleiner. Dreifache Sprünge zeigt sie längst nicht mehr, sie wirbelt aber noch immer so, dass ihr durch die Fliehkräfte die rosa Mütze vom Kopf gerissen wird. Noch bis zu vier Stunden trainiert Katarina Witt täglich, zum Saisonauftakt auch mit ihrer langjährigen Trainerin Jutta Müller.

Über die Zeit nach dem Leben auf dem Eis denkt sie öffentlich nicht nach. „Wenn ihr mich mit 50 noch Eislaufen seht, dann tragt mich bitte runter“, hat sie ihren amerikanischen Fans einmal lächelnd geraten. „Ich lebe im Hier und Jetzt“, sagt sie im Hotel Zum Löwen in Duderstadt, in der Nähe der ehemaligen Grenzkontrollstelle Duderstadt-Worbis.

Birgit Stöber ist schon lange Fan von Katarina Witt und extra aus Thüringen zur Show gekommen. „Mich hat sie schon früher zu DDR-Zeiten als Frau fasziniert, allein diese schönen Kostüme“, schwärmt die 48-Jährige, welche die Veranstaltung als Rot-Kreuz-Helferin begleitet. Damals habe es nur wenige Eisbahnen im Land gegeben, erinnert sich Stöber.

Katarina Witt gelang es, die Banden des Sozialismus dank ihres herausragenden sportlichen Talents zu überwinden. Bald stieg sie zum Weltstar auf. Gleichwohl hat die Stasi die Vorzeige-Bürgerin der DDR ausspioniert. Andererseits wurden ihr auch Westwagen und Wohnung besorgt, um einer potenziellen Abwanderung Richtung Westen vorzubeugen.

Von der Grenze sind heute nur noch ein paar marode Mauerteile übrig. Die Bande um das Eis in Duderstadt dagegen steht, starr und fest, da kann Katarina Witt schieben, so viel sie will. Doch auf dem Eis lässt sich Katarina Witt von nichts begrenzen, da glänzt sie wie immer. Und die Duderstädter machen dem Weltstar in der Provinz auf einem Plakat, das aus dem Fenster hängt, ein ganz besonderes Kompliment: „Kati, du Königin der Stadt.“

Annette Kögel[Duderstadt]

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