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Sport: Popstars im Pott

Zeitenwende: Eine neue Spielergeneration übernimmt die Macht auf Schalke

Grimmig schreitet Ailton über den Trainingsplatz. Grimmig hockt er sich nieder zum Foto-Shooting eines Sponsors. Der Fotograf fordert mehr Enthusiasmus, „ich will Orgasmus-Gesichter sehen“, schreit er die Schalker Profis an – Ailton schaut grimmig. Schon am Vortag, ein Tag, der trainingsfrei war und damit Ailtons Arbeitsauffassung sehr entgegenkam, hatte der brasilianische Stürmer übelst gelaunt die Geschäftsstelle des Fußball-Bundesligisten FC Schalke 04 verlassen. Manager Rudi Assauer hatte ihn einvernommen und, wie später zu hören war, mit ihm über das Missverhältnis von Leistung und Lohn disputiert. Anschließend war Ailton in der etwas gewagten Dress-Kombination aus grauem Anzug und grünen Schlangenlederstiefeln abgerauscht. Ein Foto mit zwei mittelalterlichen aufgeregten Damen, bei dem Ailton, na, was wohl, grimmig schaute, dann aber nichts wie weg im BMW 645 CI. Ganz offensichtlich hat der Mann nichts mehr zu lachen.

Eigentlich darf sich Ailton als Sieger fühlen. Der Trainer Jupp Heynckes, der ihn zum Abspecken trieb und ihm die Lustlosigkeit auszutreiben gedachte, ihn dabei quälte, bis Ailton im Spiel gegen Rostock durchdrehte und zwei Gegenspieler ohrfeigte, den gibt es nicht mehr auf Schalke. Aber statt das lustige Leben wieder einzieht, kujoniert ihn der Manager. Der neue Trainer, Ralf Rangnick, der heute im Bundesligaspiel gegen den VfL Bochum zum ersten Mal auf der Bank in der Arena Auf Schalke sitzen wird, gilt auch nicht als die Lässigkeit in Person. Und dann redet Landsmann Marcelo Bordon noch fortwährend antreibend auf ihn ein. Und Gerald Asamoah, der bullige Sturmkollege, knufft und stößt ihn, wann immer er ihn trifft – etwas zu heftig und zu oft, als dass der Körperkontakt als freundschaftlich durchgehen könnte. Die Disziplinierung Ailtons haben andere übernommen.

Aber kommt das nichts längst zu spät? Wurde nicht gerade auf Schalke mit der Entlassung von Heynckes die Macht der Mannschaft manifestiert? Eine Macht, in der die Spieler ihre Neigungen ausleben können, je nach Laune und Einstellung kommen die, wie etwa bei Bordon, dem Verein zu Gute – oder eben nicht, wie bei Ailton oder Jörg Böhme, einem anderen höchst umstrittenen Kandidaten im Schalker Kreisel. Feixend trabt Böhme über den Trainingsplatz. „Bei Heynckes hätten wir jetzt schon wieder pumpen müssen“, sagt er sehr gut hörbar dem Kollegenkreis. Die anderen lachen.

Die alte Schalker Welt scheint noch hier und da durch. Wenn Charly Neumann, das lang gediente Faktotum, mit Pilsken in der Hand für Fotos der Fans bereitsteht; wenn zum „Schalker“, der Vereinsgaststätte, die Gelsenkirchener strömen, weil der Mittagstisch für fünf Euro „ofenfrischen Nackenbraten mit Erbsen und Möhren und Püree“ anbietet; und wenn Olaf Thon Hof hält. Das heißt, er wähnt sich am Hofe, schreitet in den „Schalker“, begrüßt mit Gönnermiene den Wirt und überreicht zur Begrüßung erst einmal die Broschüre der Arena: „als Geschenk, so sind wir auf Schalke, immer freundlich, das sind auch viele schöne Bilder drin, hier zum Beispiel, ich mit meinem Vorbild Gerd Müller“. Es ist nur leider so, dass Thon, dem bekanntesten lebenden Schalker Fußballer, der Hof etwas abhanden gekommen ist. Auf dem Höhepunkt der Krise hatte er sich vor versammelter Journaille angedient, wahlweise als Manager und Trainer. Den Trainerschein macht er gerade, seine Ausbildung zum, nun ja, Manager währt im dritten Jahr, das er als Repräsentant des Vereins vollbringt. Für 500 000 Euro im Jahr. Aber die Journaille wand sich nur ab mit Häme, einer murmelte, dass der gute Olaf doch jetzt bald ins Heim müsse. Und Assauer sowie dessen Vorstandskollegen falteten Thon gewaltig zusammen. Jetzt ist er beleidigt, „kann sein, dass ich den Verein verlassen werde.“ Natürlich mit Erklärung, ein Olaf Thon kann Schalke nicht verlassen, ohne sich zu erklären. Allein, was gäbe es zu erklären? Dass auch den Hardcore-Fans, vertreten hier durch Bodo Berg vom Fanprojekt, der „Thöni“ mächtig auf den Nerv geht? „Dann soll er gehen. Der Thöni war ein wundervoller Fußballer. Punkt“, sagt Berg. Der „Thöni“ passt wohl nicht mehr in die neue Schalker Welt.

Über der neuen thront Assauer in seinem Büro, in dem der tresorgroße Humidor die Davidoffs auf Geschmacksklima hält und von wo aus Assauer einerseits auf das verfallende Parkstadion blicken kann. Und andererseits auf den Event-Tempel, die Arena. Er ist ein wenig ins Gerede gekommen, weil nach dem Experiment Frank Neubarth und dem mit Marc Wilmots nun auch das mit Jupp Heynckes gescheitert ist. Der Aufsichtsratsvorsitzende Clemens Tönnies hat ihm in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ mächtig eingeschenkt und ihm sozusagen die letzte Chance gewährt. Auch wenn Assauer sagt, dass man sich inzwischen ausgesprochen habe, wird er wissen, dass Rangnick nicht scheitern darf, dass die Uefa-Cup-Teilnahme her muss – oder er ist weg. „Ja, es ist eine andere Spielergeneration“, sagt Assauer, „da drüben in der Arena spielen Popstars.“ Und wie führt man Popstars, wie den unverbesserlichen Böhme, der trotz Mahnungen immer wieder zwischen den Trainingseinheiten auf der Autobahn zu seinem Wohnort Bielefeld rast und wieder zurück? Wie führt man Popstars, die am Abend vor einem Spiel noch fix ins Holländische düsen und dort in irgendeiner Disco den dicken Maxe machen? „Auf jeden Fall führt man solche Leute nicht wie Heynckes, in dem man den Spielern im Mannschaftshotel die Minibars leer räumt und nur noch stilles Wasser duldet“, sagt Assauer. „Und ihnen auch nicht ständig sagt, was sie nicht können.“ So sei es nun mal, die Spieler verwöhnt, von den Medien, von der Arena, vom Ruhm. Und das hört sich dann ein wenig so an, als ob man sich den Geistern, die man rief, ergibt. Ob Ralf Rangnick weiß, was für ein Gebilde er auf Schalke an die Kandare nehmen soll?

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