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Porträt: Eine Geschichte, die Mut macht

"Ich bezeichne mich selbst immer als die Kanalarbeiterin, denn was ich mache, sieht sowieso keiner.", sagt Beate Klempahn lachend. Dann erzählt sie aus ihrem Leben und vom Vorsitz im örtlichen Behindertensportverein.

Wir haben es uns an dem großen Eichenholztisch in der Küche bequem gemacht, die fließend in das gemütliche Wohnzimmer des Einfamilienhauses übergeht. Hinter der Häuserreihe auf der gegenüberliegenden Straßenseite erstreckt sich ein weites Feld, ganz typisch für Brandenburg, obwohl wir uns dicht am nördlichen Stadtrand Berlins befinden. Man sieht Beate Klempahn an, dass sie ihr Leben genießt. Die Falten um ihre Augen stammen zweifelsohne vom Lachen, und als ich sie nach ihrem Alter frage, sagt sie nur schmunzelnd: „So um die sechzig.“

Aufgeschlossen und warmherzig tritt sie auf, vor allem aber beeindruckt ihre große Selbstsicherheit. Denn Frau Klempahn schafft, was in ihrer Situation vermutlich die Wenigsten können: Sie akzeptiert einen Umstand, der sie schon seit ihrer Jugend an einen Rollstuhl fesselt und ihr all die Selbstverständlichkeiten verwährt, die jeder körperlich Gesunde genießen kann. Als Kind bekam sie Knochentuberkulose, ihre Bewegungsfähigkeit schränkte sich immer stärker ein. "Im Endeffekt war es mehr oder weniger eine bewusste Entscheidung, zu sagen: Ich setze mich in den Rollstuhl.", erzählt Frau Klempahn.

Selbstverständlicher Umgang mit der Situation

Über ihre Behinderung zu sprechen, scheint ihr nicht schwer zu fallen. Ganz selbstverständlich geht sie mit ihrer Situation um und beantwortet all meine Fragen, die ich vor Verlegenheit wohl etwas unbeholfen stelle. Ob sie sich manchmal wünscht, dass es anders wäre, möchte ich wissen. "Natürlich. Aber den Gedanken hat man seltener, je älter man wird. Das ist doch ganz normal.“ Gerade jungen Menschen fiele es oft schwer, mit ihrer Behinderung umzugehen. Diese „hinter dem Ofen hervor zu bekommen“, sei schwierig. "Das geht erst, wenn sie die eigene Behinderung angenommen haben."

Frau Klempahn beobachtet dieses Phänomen vor allem beim Behindertensport. Seit 25 Jahren ist sie die Vorsitzende des „Behindertensportvereins Oberhavel e.V." und wacht über 47 Mitglieder (oder „Sportfreunde“, wie sie liebevoll sagt), die sich größtenteils im Rentenalter befinden. Jeden Mittwoch trifft man sich in der Sporthalle in Hennigsdorf. Neben der Freude an der Bewegung- die Disziplinen reichen von Kegeln über Schwimmen bis hin zur Leichtathletik- leistet der Verein vor allem einen integrativen Beitrag. Nicht nur finden die Mitglieder untereinander Verständnis für ihre Probleme. „Es ist auch in den Köpfen der Nichtbehinderten: Ach, guck mal einer an, was die können!“

Als Vorsitzende obliegt Beate Klempahn vor allem der organisatorische und bürokratische Teil der Vereinsarbeit. Damit muss man leben, so als „Kanalarbeiterin“. Den Stolz und die Leidenschaft in ihrer Stimme kann man jedenfalls nicht überhören, wenn sie von dem Verein spricht. „Wenn ich mir vorstelle, den Verein gäbe es nicht, dann würde mir was fehlen.", stellt sie fest. Und so berichtet Frau Klempahn eifrig von Weihnachtsfeiern, Ausflügen und Sportfesten.

"Es war ein Haufen Arbeit"

Sie selbst kam nur zufällig zum Sport. 1984 stieß sie auf einen Zeitungsartikel, der Behinderte zur gemeinsamen körperlichen Ertüchtigung einlud. Nach der Wende verkomplizierte sich die Organisation zusehends, Turn- und Schwimmhalle wollten bezahlt werden. "Es war ein Haufen Arbeit“, merkt Beate Klempahn an, den "Behindertensportverein Oberhavel" in seiner jetzigen Form ins Leben zu berufen.

Sogar eine Stimme im Sportverband der Stadt Hennigsdorf besitzt der Verein, auch, wenn es manchmal schwer fällt, sich Gehör zu erkämpfen. „Aber ich bin ja nun nicht auf den Mund gefallen“, sagt Frau Klempahn von sich und muss wieder einmal lachen. "Ich kann quasseln wie ein Wasserfall, aber das haben Sie ja schon bemerkt." In der Tat. Und in allem, was sie sagt, schwingt eine Botschaft mit, die mich zutiefst beeindruckt - "Ich bin behindert. Na und?"

Jeder hat sich wohl schon einmal vorgestellt, wie es sich anfühlt, behindert zu sein. Sich nicht mehr frei bewegen zu können, von allen angestarrt zu werden- Situationen, an die man mit Furcht denkt. Beate Klempahn jedoch zeigt, dass eine körperliche Einschränkung nicht bedeuten muss, seine Lebensfreude zu verlieren. "Es gehört schon ein eiserner Wille dazu, damit fertig zu werden.", gesteht sie ein. "Es baut sich aber irgendwann eine gewisse Selbstverständlichkeit auf."

Und mit dieser Selbstverständlichkeit genießt Beate Klempahn ihre Arbeit im Verein und den Kontakt zu ihren "Sportfreunden" ebenso wie die Sonne und die frische Luft auf dem Feld, das sich hinter der Häuserreihe auf der gegenüberliegenden Straßenseite erstreckt.

Eine "Kanalarbeiterin", deren Geschichte Mut macht, sich selbst so anzunehmen, wie man ist.

Franziska Ehlert

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