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Sport: Prinzessinnenball

Der Kreuzberger Klub Seitenwechsel schafft mit seiner Basketball-Aktion, woran schon viele Sportvereine gescheitert sind: Mädchen mit Migrationshintergrund dauerhaft zum Sport zu bringen

Wie zwei kleine Königinnen stehen die beiden Mädchen in der Sporthalle, ihr Thron ist ein Turnkasten und ihr königliches Privileg, dass sie als Einzige auf den Basketballkorb werfen dürfen.

Damit der Weg zum Korb auch für siebenjährige Mädchen nicht zu weit ist, haben die Trainerinnen die Kästen aufgestellt. So viele Mädchen sind an diesem Tag in die Halle der E.-O.-Plauen-Grundschule in Kreuzberg gekommen, fast 30, dass spontan die Dreifelder-Wirtschaft eingeführt wurde. Auf drei Feldern nebeneinander rennen jetzt Mädchen hin und her; die aufprallenden Bälle erfüllen die Halle mit einem lauten Rhythmus.

Spielend leicht sieht hier beim Kreuzberger Klub Seitenwechsel aus, was sonst ganz schön schwer ist. Denn ein Großteil der Mädchen hat einen türkischen oder arabischen Migrationshintergrund. Sie zu integrieren, ist so etwas wie die Königsdisziplin der Mitgliedergewinnung. Nur jedes siebte Mädchen mit Migrationshintergrund ist Mitglied in einem Sportverein. Viele Klubs scheinen es aufgegeben zu haben, um sie zu werben. Für das Projekt MBA, Mädchen-Basketball-Aktion, ist der Kreuzberger Frauen- und Lesbensportverein Seitenwechsel jetzt auch gemeinsam mit seinen Partnern Alba Berlin, SV Pfefferwerl und Streetdance Connection usgezeichnet worden. Beim Innovationspreis des Berliner Sports, ausgeschrieben vom Landessportbund und dotiert von der Deutschen Klassenlotterie Berlin, gewann die MBA den ersten Preis.

Wenn die amerikanische NBA der Gipfel des Männerbasketballs ist, dann ist die MBA die Basis des Mädchenbasketballs. Sie holen schon die Jüngsten ab, regelmäßig veranstalten sie Aktionstage, um Mädchen für Basketball zu begeistern, in sieben Grundschulen bieten sie Sport-Arbeitsgemeinschaften an und jeden Mittwoch trifft sich eine Gruppe zum Basketballspielen, die Kreuzberger Kängurus.

Längst sind die Kreuzberger Kängurus zu einem Modellprojekt geworden. Sie lassen sich nicht von den enttäuschenden Erfahrungen beirren, die andere Vereine gemacht haben. Dass etwa Mädchen mit arabischem oder türkischem Hintergrund nur schwer für Sport zu begeistern sind, weil Mädchen- und Frauensport in ihrer Kultur eigentlich keine Tradition hat. Dass ihre Eltern sich gegen Sport sträuben. Dass die Mädchen mit dem Sport aufhören, wenn sie in die Pubertät kommen. Und dass kaum Aussprache mit den Mädchen und Eltern über diese Dinge möglich ist.

„Natürlich ist es leichter, Sport für Jungs anzubieten. Die kommen einfach und haben auch meist die Unterstützung der Eltern“, sagt Roswitha Ehrke, die Geschäftsführerin von Seitenwechsel. „Wir sind aber überzeugt, dass auch viele Mädchen Sport machen wollen. Nur müssen die Rahmenbedingungen stimmen.“ Zum Rahmen bei Seitenwechsel gehört der geschlechterspezifische Ansatz, dass also die Mädchen unter sich sind, weil Jungs eben anders spielen. Sie setzen ausschließlich Trainerinnen ein, manche von ihnen haben ebenfalls einen Migrationshintergrund. „Interkulturelle Kompetenz“ sei eben wichtig, sagt Tanja Djurdjev, die auch bei Alba als Jugendtrainerin arbeitet. „Wir haben auch nicht die Zeit, zu allen Eltern nach Hause zu gehen und Tee zu trinken“, sagt sie. Aber sie schaffen es dennoch, den Eltern das Gefühl zu geben, dass ihre Mädchen gut aufgehoben sind und die Schule nicht unter Basketball leidet. Wenn sie einmal unterwegs sind, holen sie die Mädchen zu Hause ab und bringen sie auch wieder zurück. Viele Eltern kommen mit in die Halle. Wenn es Schwierigkeiten gibt, lassen sie den Eltern schon mal einen Brief auf Türkisch schreiben. „Die Eltern sehen, dass es hier sehr nette Trainerinnen gibt, die alle mit Respekt behandeln, und dass ihre Kinder nach dem Training glücklich sind“, sagt Djurdjev.

Die Jüngsten sind sieben Jahre alt, die Ältesten schon 14, also in einem Alter, in dem gerade bei Mädchen andere Dinge den Sport verdrängen. „Die Drop-out-Quote bei uns ist bislang sehr gering“, sagt Djurdjev. Sie glauben bei Seitenwechsel, dass das auch an ihrer Sportart liegt, obwohl es sonst meistens Fußball und Kampfsport ist, mit denen Vereine Migrantinnen begeistern können. „Basketball ist ein bisschen komplexer als andere Sportarten, aber wenn die technische Grundlage stimmt, kann es schnell Herzenssache werden“, sagt Tanja Djurdjev. Basketball ist außerdem eine Sportart mit multikulturellem Image. Eine verspielte Sportart. Eine mit einer sozialen Ebene, „man muss kooperieren, die Spiellogik ist so“, sagt Tanja Djurdjev. Und eine Sportart, die noch aus einem anderen Grund zu Mädchen passen könnte. „Von einem bestimmten Alter an haben manche Mädchen Probleme mit dem Körperbild einer Boxerin oder Fußballerin“, sagt Roswitha Ehrke. Auf Basketball treffe dieser Vorbehalt nicht zu.

Der Anspruch der MBA unterscheidet sich deutlich von dem anderer Klubs. Es geht zuerst um Spaß am Spielen und einen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung. Nicht darum, den Nachwuchs für die erste Damenmannschaft auszubilden. Die Teilnahme am Spielbetrieb streben sie mit ihrer Aktion nicht an. „Warum sollen wir zum Beispiel nach Kladow fahren und da mit 80 Punkten Unterschied verlieren oder gewinnen?“, hat sich Roswitha Ehrke gefragt. Zumal gegen die Teilnahme am Spielbetrieb schon ein praktischer Grund spreche: „Die meisten Mädchen hier haben doch nichtmal eine Fahrkarte.“ Der Vereinsbeitrag liegt im Monat bei sechs Euro. Wer dennoch am Mannschaftsspielbetrieb teilnehmen möchte – kein Problem. Denn zu den Netzwerkpartnern von Seitenwechsel gehört auch Alba Berlin, und mit Tanja Djurdjev ist gleich die Trainerin mit dabei.

Brüche in der Sportbiografie – na und? „Wer von acht bis zwölf Sport getrieben hat, hört vielleicht mit 13 auf“, sagt Ehrke, „fängt aber mit 20 wieder an.“ Wenn sie ihre Aktionstage veranstalten, mit Buffet und Musik, oder Camps in den Schulferien, binden sie auch die Eltern ein. Vor allem haben sie sich überlegt, dass sie mit Sport allein die Mädchen nicht gewinnen können. Zu ihrem Netzwerk gehört daher neben dem Sportverein Pfefferwerk auch die Streetdance Connection, ein Stück jugendliche Alltagskultur also. Und wer gut tanzt, spielt bestimmt noch besser Basketball.

Infos: www.maedchenbasketballaktion.de

Ihr Ansatz: Trainerinnen

mit Migrationshintergrund,

mehr Spaß als Wettbewerb

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