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Psychotricks: Plötzlich ist die Hürde weg

Posen, finstere Blicke und absichtliche Fehlstarts: Fairness hat auch in der Leichtathletik ihre Grenzen. Die Athleten arbeiten gerne mit Psychotricks – manche sind erlaubt, andere grenzwertig.

Die Latte wackelte ganz gewaltig. Giuseppe Gibilisco war eigentlich schon schon drüber, aber dann streifte er sie mit dem Oberkörper. Sie hüpfte leicht, blieb aber liegen. Es gab vermutlich den einen oder anderen Stabhochspringer, der nicht traurig gewesen wäre, wenn der Italiener, Weltmeister von 2003, bei der Qualifikation bei 5,55 Metern hängen geblieben wäre. Das hat wenig mit sportlicher Rivalität zu tun, aber viel mit Gibilicos Ruf in der Szene. Der Italiener gilt als Trickser und Rüpel. Er wird verdächtigt, dass er immer wieder mal die Anlaufmarken seiner Konkurrenten verschiebt, damit die beim Anlauf aus dem Rhythmus kommen. Der deutsche Routinier Tim Lobinger hatte Gibilisco deshalb sogar öffentlich angeklagt.

Fairplay hat auch in der Leichtathletik seine Grenzen. Stattdessen arbeitet man gerne mit Psychotricks, erlaubten und grenzwertigen.

Beim Einstoßen im Kugelstoßen treiben die US-Amerikaner gerne ein beliebtes Spielchen. Vor dem WM-Finale wuchteten die US-Hünen und die Deutschen Ralf Bartels, Peter Sack und David Storl auf derselben Anlage die Kugel in den Rasen. Und sehr bald registrierte Gerald Bergmann, der Trainer von Bartels, dass die Kugeln der US-Konkurrenz beeindruckend weit flogen. Serienweise landeten sie im Bereich von 22 Metern. Das macht eigentlich mächtig Eindruck, und genau das ist ja auch der Sinn des Ganzen.

Allerdings gibt es eine Feinheit. Die Amerikaner stoßen sich gerne mit der Sechs-Kilogramm-Kugel ein. Die Wettkampfkugel wiegt aber 7,26 Kilogramm. „Diese Weiten beeindrucken einen unerfahrenen Athleten natürlich schon“, sagt Bergmann. „Die denken: Mensch, gegen die musst du gar nicht antreten.“ Bartels aber blieb cool. Er kannte das alles schon. Im Finale gewann er Bronze.

Carolin Nytra, die Hürdensprinterin aus Bremen, erlebt die Psychotricks auch immer wieder. „Es gibt Konkurrentinnen, die provozieren bewusst einen Fehlstart. Dadurch sollen die anderen verunsichert werden.“ In Deutschland lässt sie sich davon nicht mehr beeindrucken. „Aber international ist das noch viel ausgeprägter.“ Und da ist jemand wie sie, die noch beeindruckt ist, wenn neben ihr Weltklassesprinterinnen laufen, durchaus anfällig. „Ich mache so etwas nicht, ich lehne solche Spielchen ab“, sagt sie.

Im Vorlauf hatte Nytra selbst einen Fehlstart verursacht. Doch da hatte sie erkennbar nur kurz gezuckt, sie war nicht aus den Blöcken gekommen. Es war wohl mehr die Aufregung als Kalkül. Um aber inszenierte Fehlstarts zu verhindern, hat der Weltverband die Null-Fehlstart-Regel eingeführt, die ab 2010 gilt.

Beliebt ist bei Hürdensprintern auch, dem Gegner die Hürden beim Warmmachen einfach wegzustellen. Vor allem wenn es zu wenige gibt, stellen jüngere Athleten immer wieder fest, dass die Hürden, die sie für sich aufgestellt haben, verschwunden sind. Die hat dann der Trainer eines Stars auf eine andere Bahn platziert. Die Sprinter betreiben gern das Spiel der Alphamännchen. Da wird mit freiem Oberkörper gepost, der Gegner entweder mit finsterstem Blick fixiert oder völlig ignoriert.

Auch Steffi Nerius, die Weltmeisterin im Speerwerfen, mischte bei den Psychospielchen schon kräftig mit. Bei der EM 2002 war die Griechin Mirela Manjani die Favoritin. Und die hasste eins gewaltig: wenn Aufkleber, egal, welcher Art, auf ihrem Speer klebten. Ein Spleen nur, aber ihre mentale Schwachstelle. Nerius wusste das. Also pappte sie auf jeden Wettkampfspeer, der zur Verfügung stand, einen weißen Aufkleber. Das würde die Griechin so nervös machen, dass sie nicht mehr optimal würde werfen können. So war der Plan. Manjani war sowieso schon hochnervös, weil sie in Griechenland Nationalheldin war und jeder mit ihrem Sieg rechnete. Der Plan ging nur nicht auf. Die Griechin holte Gold. Nerius landete auf Rang zwei.

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