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Manasi Joshi wusste sofort, dass sie Teil der Kampagne sein möchte.

© Mattel India

Barbies langer Weg zur Inklusion: Puppe mit Prothese

Manasi Joshi ist die erste paralympische Athletin, der Mattel eine Sheroes-Barbie widmete. Nicht der erste Versuch der Spielzeugfirma, inklusiver zu sein.

Von Delia Kornelsen

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook.

Kaum eine Marke schafft es, allein mit ihrem Namen so eine eindeutige Assoziation zu wecken, wie die Barbie. Wer an die Plastikpuppe denkt, dem schießt vermutlich direkt und unbewusst ein ganz bestimmtes Bild durch den Kopf: Eine blonde, dünne, weiße, weibliche Puppe, lange Beine, schlanke Taille. Und: nicht-behindert ist sie.

Jahrzehntelang vermarktet Mattel vor allem dieses eine Schönheitsideal und erntet dafür Kritik. Der Spielzeughersteller möchte das ändern – denn: „Barbie ist ein Spiegel der Zeit“, sagt Anne Polsak, Pressesprecherin von Mattel. Für das Unternehmen bedeutet das zum Beispiel, diverseres Aussehen in die Puppen-Kollektionen zu bringen sowie die Barbie mit Leidenschaften und Berufen auszustatten, die mit Stereotypen brechen. Seit 2015 gibt es die Sheroes-Kampagne. Jährlich ehrt Mattel reale „Heldinnen“ aus aller Welt mit einer Barbie-Puppe nach ihrem Ebenbild. „Das sind Frauen, die Grenzen überschreiten und Vorbilder sind, weil sie zum Beispiel in untypischen Berufen Fuß gefasst haben“, erklärt Polsak.

Zu diesen Idolen zählen Tennisspielerin Naomi Osaka, Kosmonautin Anna Kikina – und Manasi Joshi. Die 32-Jährige ist Badminton-Weltmeisterin und Ingenieurin. Joshi gehört zu den ersten Para-Athletinnen überhaupt, die eine der 30 Zentimeter großen Puppe designet bekommen hat. „Ich habe über meine Schwester davon erfahren, sie ist meine Managerin und erzählte mir, dass Mattel mir eine Barbie widmen möchte. Es war eine Ehre“, erzählt sie über die Bekanntgabe. Joshi spielt Badminton, seitdem sie ein Kind ist. Nach einer Beinamputation als junge Erwachsene wurde sie im Para-Badminton aktiv, heute spielt sie auf Weltklasseniveau, liegt aktuell auf Platz eins der Weltrangliste in der Startklasse SL3 singles. Das Time Magazine zeichnete sie zur Next Generation Leader 2020 aus und zeigte sie auf dem Asien-Cover. Im gleichen Jahr erhielt sie eine Miniaturausgabe ihrer selbst, ein Geschenk der besonderen Art: „Als Kind besaß ich keine Barbie-Puppe. Ich spielte mit denen meiner Freundinnen, jedes Kind wünscht sich aber eine eigene. Keine Barbie zu haben und dann zum Gesicht einer zu werden - ich fand das ziemlich cool“. Joshis Doppelgängerin trägt ein schwarzes Badminton-Outfit, ist ausgestattet mit Schläger und Federball: „Jedes kleine Detail ist genau richtig – von meinem Pferdeschwanz hin zu meinen Schuhen und der Prothese.“

(Para-)Sportlerinnen erhalten eigene Puppen

Gerade im vergangenen Jahr widmete sich die Sheroes-Kollektion anlässlich der Olympischen und Paralympischen Spiele Sportlerinnen aus aller Welt. „Der Sport kann das Selbstvertrauen von Mädchen stärken. In Deutschland bekommt vor allem der Männerfußball dieses Maß an Aufmerksamkeit, deswegen wollen wir gerade dieses Thema nach vorne bringen“, erklärt Anne Polsak von Mattel. Auch für Joshi ist das Thema Repräsentation ein wichtiger Punkt: „Puppen, die Personen aus unterschiedlichen Bereichen des Lebens nachempfunden werden, helfen Kindern zu Vorbildern aufzuschauen. Sie können sich darin wiederfinden und glauben, dass auch sie alles sein können, was sie sein wollen – auf, aber auch abseits des Spielfelds.”

Joshi wusste sofort, dass sie Teil der Kampagne sein möchte. Ihre Puppe kommt mit einem klaren Appell: „Gib nicht auf, egal wie schwierig es für dich wird. Mach deine Leidenschaft zu deiner Priorität. Dann kann dich nichts stoppen.”

Auch die australische Rennrollstuhlfahrerin Madison de Rozario bekam ihre eigene Barbie.
Auch die australische Rennrollstuhlfahrerin Madison de Rozario bekam ihre eigene Barbie.

© Mattel

Joshi-Barbies mit selbstsicherer Message für alle also? Zahlreiche Leute kamen auf die Sportlerin zu, fragten, wo sie die Puppe kaufen könnten. Doch: Ihre Barbie ist ein Unikat, Sheroes-Exemplare werden fast ausschließlich exklusiv für die realen Heldinnen gefertigt.

Die vergessene Becky  

Wie sieht es aber auf dem regulären Barbie-Markt aus? Nun, Barbie musste 57 Jahre warten, bis sie 2016 großflächig und im Rahmen einer neuen Kollektion sieben Hautfarben sowie neue Haarstrukturen hatte und auch „curvy“ sein durfte, klein und groß. 2016 wurden die „Fashionistas“ gefeiert als eine neue Ära des Spielzeugs, als der neue Look. Bereits 1997 hatte Mattel den Versuch mit einer Barbie mit Behinderungtgewagt. „Becky“ war die strahlende, rothaarige Freundin von Barbie, eine Puppe mit blauen Sneakern und pinkem Rollstuhl. 6000 Exemplare wurden in den ersten beiden Wochen verkauft, Fernseherberichte und Zeitungsartikel berichteten über den Erfolg. „Wir denken, dass es richtig ist, über den Reichtum und die Vielfalt in der realen Welt nachzudenken. Es war an der Zeit, dass Barbie eine Freundin mit Behinderung bekommt“, sagte Nancy Zwiers damals feierlich in die Kamera, Vizepräsidentin des Barbie-Marketing. Eine Freundinnenschaft auf Zeit, wie sich herausstellen musste.

Diversität ohne Inklusion

Becky wurde nämlich kurze Zeit nach der Veröffentlichung vom Markt genommen – im Nachhinein sagte Mattel, es sei nur ein temporäres Projekt gewesen. Was Besitzer der Becky-Puppe jedoch bemerkten: Mit ihrem Rollstuhl passte sie weder durch die Tür der Barbie-Traumvilla noch in den Aufzug. Wer der Barbie nachsagte, keine Realitäten abzubilden, schien zumindest hier auf das Gegenteil zu stoßen. Ein Weiterleben von Becky hätte eine Umgestaltung von Häusern, Autos und weiteren Produkten heißen müssen. Die Traumvilla blieb – der Traum von Inklusion musste weichen. Becky schaffte es hinterher in limitierten Editionen als Schulfotografin und 1999 sogar als paralympische Athletin mit Rennrad auf den Markt. Ein langfristiges Revival wäre vorstellbar, sagte das Spielzeugunternehmen im Nachgang – irgendwann.

Irgendwann heißt etwa 20 Jahre später. In der Fashionistas-Kollektion aus dem Jahr 2019 sind es nicht länger „bloß“ Nebenfiguren, die von der jahrzehntealten Barbie-Norm abweichen, sondern (die immer noch normschönen) Barbie und Ken höchstpersönlich. Sie nutzen einen Rollstuhl oder tragen eine abnehmbare Beinprothese. Mattel entwickelte die neuen Hilfsmittel für die Puppen gemeinsam mit einem Team der University of California und der Jugendlichen Jordan Reeves, einer Aktivistin mit Amputation. Selbst die Traumvilla erfuhr eine Restauration. Figuren mit Behinderungen scheinen in der Mattel-Welt angekommen zu sein, endlich.

Was dennoch auffällt: Während die meisten Fashionista-Puppen im US-amerikanischen Online-Shop rund zehn Dollar kosten, müssen Kinder für die Barbie im Rollstuhl das doppelte zahlen. „Puppen, die mehr Accessoires oder eine größere Verpackung haben, sind meistens teurer“, erklärt Anne Polsak von Mattel.

Wichtiges Spielzeug für alle

Wenn lebensnotwendige Hilfsmittel wie ein Rollstuhl und eine Rampe als „Accessoire“ angesehen werden und genauso viel mehr kosten wie andere Barbies mit Accessoires à la Einhorn-Zubehör, dann ist fraglich, wie weit Mattel Inklusion strukturell, abseits vom Design wirklich versteht. Es mag sich „nur“ um ein Spielzeug handeln, es mag „nur“ ein marktlogisches Argument sein - gleichzeitig reiht sich diese Beobachtung ein in sehr „reale“ Diskurse um Sichtbarkeit von Behinderungen und Zugänglichkeit zu Hilfsmitteln.

Der Weg der Barbie mit physischer Behinderung war ein langer, ihre Präsenz im Spielzeugregal ein längst überfälliger. Seit wenigen Monaten gibt es eine braunhaarige Barbie mit Monoski anlässlich der Wintermeisterschaften und der Paralympics. Nicht „nur“ für Kinder mit Behinderung sind diese Puppen eine Bereicherung. „Ich bin der Meinung, dass Erziehung zum Thema Vielfalt schon im Kindesalter beginnen sollte“, davon ist Badminton-Spielerin Manasi Joshi fest überzeugt: „Je früher wir anfangen, über Diversität und Inklusion zu sprechen, desto besser, desto weniger werden Menschen mit Behinderung fremdbestimmt. Wenn Behinderungen in Spielzeug und Puppen abgebildet ist, lehrt das Kinder Empathie und wird das Denken der nachfolgenden Generationen prägen.“

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