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Türkiyemspor vs. TuS Makkabi: Rabbi Alter zu Gast beim Kick für Toleranz

Der Rabbiner Daniel Alter wurde vor wenigen Wochen in Berlin verprügelt. Er ist nun stadtbekannt, seine Kippa trägt er noch immer, demonstrativ – und wirbt für Toleranz. Zum Beispiel bei einem Fußballspiel in Kreuzberg. Ein Ortstermin.

Um halb drei muss Daniel Alter gehen. Die Tochter wartet am Bahnhof, dann geht’s kurz nach Hause und abends in die Synagoge. Rosch ha-Schana steht an, das jüdische Neujahrsfest. Also drückt er Özcan Mutlu die Hand und sagt: "Wäre doch schön, wenn wir uns mal ein Fußballspiel ohne diesen Schatten anschauen könnten. Ganz in Ruhe mit einer Tüte gerösteter Kürbiskerne." In diesem Moment fällt das Tor. 1:0 für Türkiyemspor, es wird ein bisschen lauter unterm Kreuzberg und Özcan Mutlu sagt: "Wenn du jetzt gehst, denken alle, du bist ein schlechter Verlierer." Allgemeines Gelächter. Daniel Alter hängt noch ein paar Minuten dran.

Sonntagnachmittag in Kreuzberg. Siebter Spieltag der sechstklassigen Berlin-Liga. Türkiyemspor gegen TuS Makkabi. Muslime gegen Juden. Die Sonne steht hoch über dem Stadion an der Katzbachstraße, aber der Schatten, von dem Daniel Alter spricht, er ist allgegenwärtig. Seit diesem 28. August, als der Berliner Rabbiner mit seiner Tochter an der Hand und der Kippa auf dem Kopf durch Friedenau spazierte und von vier Jugendlichen angesprochen wurde. "Bist du Jude?" – "Ja". Und schon landete eine Faust in Alters Gesicht.

Der Jochbeinbruch ist nach drei Wochen gut verheilt, und die Kippa trägt der Rabbi immer noch und demonstrativ in der Öffentlichkeit. Auch an diesem Sonntag in Kreuzberg liegt die für den Fall der Fälle mitgebrachte Baseballkappe ungenutzt zwischen seinen Füßen. "Es gibt schon ein paar Orte in Berlin, da gehe ich nur mit dieser Kappe hin", sagt Alter. "Aber dieses Stadion gehört nicht dazu." Und: "Ich habe nicht den Eindruck, dass ich hier unter Antisemiten bin." Özcan Mutlu nickt und bufft ihm zustimmend in die Seite.

Bildergalerie: Mit einem Kippa-Flashmob gegen Antisemitismus

Beim Spiel in Kreuzberg ist er seit 30 Jahren erstmals wieder auf dem Fußballplatz

Der Politiker Mutlu sitzt für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus und ehrenamtlich im Aufsichtsrat des BFC Türkiyemspor. Am Samstag, beim Frühstück mit Trainer Bülent Gündogdu, ist ihm die Idee gekommen, aus dem Spiel gegen Makkabi eine Demonstration für religiöse Toleranz zu machen. Bisschen kurzfristig das Ganze und dann auch noch unmittelbar vor den jüdischen Feiertagen, aber Daniel Alter hat sofort zugesagt. Kurz vor dem Anpfiff begrüßt er Makkabis Trainer Claudio Offenberg. Die beiden wechseln ein paar Worte auf Hebräisch, und dann geht es schon los. Alter, Mutlu und die Mannschaften laufen in den Mittelkreis, alle zusammen zeigen sie ein Transparent mit der Aufschrift: „Menschenrechte gelten auch auf Fußballplätzen“. Gut hundert Zuschauer applaudieren brav. Mutlu erzählt, dass eigentlich alle Spieler beim Auflaufen eine Kippa tragen sollten, "aber damit hätten wir vielleicht zu dick aufgetragen".

Daniel Alter hat in seiner Jugend für Makkabi Frankfurt gespielt und als Fan ist er lange zur Eintracht ins Waldstadion gegangen. Bis es irgendwann zu Beginn der Achtziger damit losging, dass ein kleiner, aber lauter Teil der Fans den Schiedsrichter als "Jude!" beschimpfte. (Was im Frankfurter Fall von erhöhter Geistlosigkeit zeugte, weil die Eintracht in den tausend Jahren zwischen 1933 und 1945 ihren Ruf als "Juddebube" weg hatte.) "Damals ist mir der Spaß am Fußball vergangen", sagt Alter. Beim Spiel zwischen Türkiyemspor und Makkabi ist er zum ersten Mal seit knapp dreißig Jahren wieder als Zuschauer auf einem Fußballplatz.

Die Frau vom Fernsehen will ein Interview und wissen, ob sie auch eine Frage über die Rechtspopulisten von "Pro Deutschland" stellen dürfe. Lieber nicht, sagt Daniel Alter und dass dieses Thema nicht ganz zum Fußball und zu Özcan Mutlus Einladung passen würde. Es folgen ein paar staatstragende Sätze: "Die ganze Gesellschaft ist gefragt." – "Niemand wird als Antisemit geboren." – "Dieses Spiel heute gibt mir ein Stück Liebe zum Fußball zurück." Und wer soll gewinnen? "Da halte ich es mit Sepp Herberger: Die Wahrheit is’ aufm Platz."

Diese Weisheit stammt zwar nicht von Herberger, aber sie gilt immer, auch an diesem Nachmittag im Stadion an der Katzbachstraße. Türkiyemspor ist besser und schießt folgerichtig das erste Tor. Es wird das einzige bleiben an diesem Nachmittag unterm Kreuzberg, aber das weiß Daniel Alter noch nicht, als er sich um kurz nach halb drei verabschiedet. Die Tochter wartet am Bahnhof, dann geht’s kurz nach Hause und abends in die Synagoge. Pflichtprogramm für den Rabbiner Daniel Alter.

Der Fußballfan Daniel Alter könnte sich einen Abend auch ganz gut vor dem Fernseher vorstellen. Zum Spiel seiner Eintracht gegen den Hamburger SV, in irgendeiner Fußballkneipe mit einer Tüte gerösteter Kürbiskerne auf dem Schoß.

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