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Jens Voigt kippt sich Wasser aus einer Trinkflasche über den Nacken.

© afp

Radprofi Jens Voigt: Ein Leben auf der Flucht

16 Jahre auf und ab: Mit Jens Voigt verabschiedet sich ein Gesicht des Radsports von der Tour de France. Dabei nahm der Berliner auch mit 41 Jahren keine Rücksicht auf seinen Körper, denn er wollte sich "kämpferisch von der Tour verabschieden"

Jens Voigt kommt zwar aus einer Stadt, in der lediglich Endmoränenhügel wie der Karlsberg im Grunewald (78,5 Meter hoch) Rennradfahrern die Kraft aus den Beinen saugen. Doch trotz dieser topografischen Nachteile machte er auch in diesem Jahr in Frankreich aber vor allem auf Etappen mobil, in denen es in die Höhe ging. Der Toursenior flitzte mal im Duett aus dem Hauptfeld weg. Er versuchte es in 17-köpfiger Begleitung und sogar per Soloritt vor der Millionenkulisse in L’Alpe d’Huez.

Ebenfalls als Einzelkämpfer ging er auf der vorletzten Etappe den giftigen Anstieg hoch nach Annecy-Semnoz an. Ein Erfolg wie 2001 und 2006, als ihm ein Etappensieg glückte, war ihm allerdings nicht vergönnt. Auch nicht auf dem finalen Streckenabschnitt durch Paris, bei dem Marcel Kittel auf dem Champs Elysees seinen vierten Tageserfolg und Christopher Froome den Gesamtsieg feiern konnte.

„Es schmerzt, wenn du merkst, dass du nicht mehr der Fahrer bist, der du mal warst“, sagte der 41-Jährige Voigt nach der 14. Etappe, auf der er kurz vor Schluss von seinen Fluchtgefährten abgehängt worden war. „Am Ende blieben ich und David Millar übrig. Wir schauten uns an, es waren keine Worte nötig. Wir beide wussten, dass wir alt geworden sind“, bloggte er auf Bicycling.com.

Der 36-jährige Schotte Millar will noch mindestens eine Tour fahren – „nächstes Jahr beim Grand Départ in Yorkshire will ich definitiv mit dabei sein“, sagte der Garmin-Profi. Für Voigt geht die große Frankreichreise dagegen wohl endgültig zu Ende. „Das hier ist wahrscheinlich meine letzte Tour“, erzählte er am Wochenende. Und deshalb wollte er seine 16., seine letzte Große Schleife auf Voigtsche Weise absolvieren.

Die dritte Woche war daher auch seine Woche. Bei der ersten Auffahrt nach L’Alpe d’Huez hielt er sich mit einer knappen Minute hinter dem Spitzentrio einer zersplitterten Ausreißergruppe höchst achtbar. Bei der zweiten Kletterpartie hatte er sich sogar noch näher an sie herangebissen. Auf halber Höhe war aber der Ofen aus. „Dann habe ich auch noch zu viele kalte Getränke zu schnell in mich reingeschüttet“, erzählte Voigt später im Teamhotel. Und er gestand sogar, sich zwei Mal hinter Campingwagen versteckt und seinen Mageninhalt erbrochen zu haben.

Jens Voigt: „Ich wollte noch einmal ein Zeichen setzen und mich kämpferisch von der Tour verabschieden“

Selbst diese Erfahrung hielt ihn nicht von weiteren Versuchen ab. Auf der vergleichsweise kurzen, aber harten Etappe am Südufer des Lac d’Annecy entfloh er gar einer Ausreißergruppe. „Ich wollte noch einmal ein Zeichen setzen und mich kämpferisch von der Tour verabschieden“, meinte er. Bis in den Schlusseinstieg hinein verteidigte er seinen Vorsprung unter dem Jubel der Franzosen, die ihn schon länger ins Herz geschlossen haben. Dem Antritt der drei Topfahrer der Tour, Froome, Nairo Quintana und Joaquim Rodriguez, hatte er dann aber nichts mehr entgegenzusetzen.

Später verriet Voigt weitere Signale seines ausgelaugten Körpers. Er falle schon bei der Rückfahrt vom Etappenziel in den Schlaf und denke beim Aufwachen am Morgen, es sei 6 Uhr früh, während es bereits drei Stunden später sei. Am meisten leide er in den Abfahrten. „Mit 80 km/h da hinunterfahren, das ist einfach nichts mehr für mich“, sagte der sechsfache Familienvater. Mit seinen Attacken verabschiedete er sich aber auf einem Leistungsniveau, das noch kein Mitleid auslöste.

Zugleich überdeckte er die anderen Schlagzeilen, die mit seinem Namen bei dieser Tour verbunden gewesen waren. Voigt gehörte zu den Teilnehmern der Tour de France 1998. Die Namen der Profis, denen bei späteren Tests Epo nachgewiesen wurde, sollten ursprünglich während dieser Tour bekannt gegeben werden. Dann wurde die Veröffentlichung eines entsprechenden Berichts einer französischen Senatskommission auf diese Woche vertagt – auf Druck der Fahrerdelegation, der auch Voigt angehörte.

Darauf angesprochen, wollte Voigt lieber nichts sagen: „Mensch, das ist doch 15 Jahre her!“ Mittlerweile geht die Gegenwehr aus Radsportkreisen so weit, dass etwa die Fahrergewerkschaft CPA die Bekanntgabe insgesamt verhindern will. Voigt kann man nun nur wünschen, dass erstens der Bericht der Kommission mit den Namen aller Sünder im Anhang doch erscheint, und dass zweitens sein Name nicht darunter ist. Sonst müsste am Ende eine ganze Rennfahrerbiografie umgeschrieben werden.

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