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Sport: Räuber, Ali und der Teppichhändler

Im Keller eines Haselhorster Einfamilienhauses betreibt Said Mehravar eine eigene Fernsehstation: "TV Rangarang"Martin Kaluza Wenn Said Mehravar nach einem zehnstündigen Arbeitstag als Teppichverkäufer nach Hause kommt, denkt er nicht daran, den Abend vor dem Fernseher zu verbringen. Er macht sein Fernsehen lieber selbst.

Im Keller eines Haselhorster Einfamilienhauses betreibt Said Mehravar eine eigene Fernsehstation: "TV Rangarang"Martin Kaluza

Wenn Said Mehravar nach einem zehnstündigen Arbeitstag als Teppichverkäufer nach Hause kommt, denkt er nicht daran, den Abend vor dem Fernseher zu verbringen. Er macht sein Fernsehen lieber selbst. Der 45-jährige Iraner produziert mit einem ehrenamtlichen Team "TV Rangarang". Jeden Sonntag läuft die 90-minütige Sendung im Spreekanal, auf Farsi, der Sprache der Iraner. Mehravar ist der Kameramann, er montiert Musikclips, schreibt Beiträge. Und er ist der größte Fan von Ali Daei, zumindest in Berlin.

Wer sich mit Mehravar im Studio von "TV Rangarang" treffen möchte, muss sich auf den weiten Weg nach Haselhorst machen - vorbei an der Siemensstadt, dem Glühbirnenwerk - und steht dann inmitten einer Siedlung von Reihenhäusern. Nichts deutet darauf hin, dass hier ein Fernsehstudio befinden könnte. Der Besucher wird ins Wohnzimmer der Mehravars gebeten. Das Studio liegt im Keller darunter und ist nicht größer als eine Hobbywerkstatt. Um es betreten zu können, räumt der TV-Macher erst einmal einen Wäscheständer aus dem Weg. "Rangarang" heißt so viel wie "ein Kessel Buntes". Das Programm versorgt die gut 12 000 in Berlin lebenden Iraner mit Folklore, iranischer Popmusik made in USA und Features über ein gesundes Familienleben. Und Fußball. An eigene Berichte aus dem Stadion ist zwar nicht zu denken. Aber seit Ali Daei für Hertha BSC spielt, gibt es schon mal ein Exklusivinterview auf Farsi, und der Verein spendiert Freikarten zum Verlosen.

Said Mehravar steht bei jedem Heimspiel am Spielfeldrand. "Ali Daei ist mein Freund, er kommt oft hierher", sagt Mehravar und kramt ein paar Alben mit Fotos hervor. Daei auf der Pressekonferenz, Daei auf dem Fußballplatz, Daei mit Mehravar. Dass der Teppichverkäufer den Stürmer nun schon ein paar Jahre kennt, heißt nicht, dass er sich viel über ihn entlocken ließe. Wie er so lebe? "Er arbeitet sehr konzentriert." Ob die deutsche Mentalität, zumal die der Berliner, nicht ganz etwas anderes sei als die iranische? "Daei ist schlau. Er versteht seine Umwelt und gewöhnt sich schnell ein." Ende der Durchsage.

Gesprächiger wird Mehravar, als es um sportliche Dinge geht: "Röber!", setzt er an und rückt sich auf dem Stuhl zurecht. Nun gibt es den Buchstaben "Ö" in Farsi nicht, und immer, wenn Mehravar den Trainer erwähnt, klingt es ein bisschen wie "Räuber!" Röber, also, "hat gute Spieler, aber er sollte seine Taktik ändern. Roy zum Beispiel macht guten Flanken, von denen müssten kopfballstarke Spieler wie Aracic, Daei und Preetz viel mehr bekommen. Mehravar wirft den Videorekorder an und betrachtet Herthas Siegtor aus dem Spiel in Freiburg, Mitte Dezember. Für Hertha bitter nötige Punkte, für Daei das erste Bundesligator nach langer Flaute. Er hat es nicht verlernt. Dass Daei manchmal 70 Minuten auf der Bank schmoren muss, gefällt seinem Landsmann nicht. Schließlich ist Daei in seiner Heimat über jeden Zweifel erhaben. Als sich der Iran vor zwei Jahren mit einem 2:2 gegen Australien in die WM schoss, war es Daei, der beide Tore vorbereitete. Für Irans Fußball begann eine neue Zeitrechnung. "Wir waren schon immer das beste Team in Asien, aber seit der der WM ist das Land im Fußball-Fieber," erzählt Mehravar, und seine Miene hellt sich wieder auf. Er schwärmt von den vielen neu gegründeten Fußballschulen, die die Kinder von der schiefen Bahn weghalten, und ist überzeugt, dass die Kickerbegeisterung selbst notorische politische Konflikte in den Hintergrund gedrängt habe: "Der Fußball hat Menschen mit verschiedenen Asichten zusammengebracht."

Und dann die ganzen Spielertransfers nach dem Turnier. Mittlerweile spielen sechs iranische Profis in der Ersten Bundesliga, in der Zweiten sind es nochmal fünf. In der Heimat steigt die Begeisterung für deutsche Klubs: Sat.1 bekommt man über Satellit in Teheran problemlos rein, viele Spiele werden von dortigen Sendern gleich komplett übertragen, und der Markt mit Berliner, Hamburger oder Kölner Trikots boomt. Mehravar fliegt selbst noch regelmäßig im Urlaub in den Iran, und vor jeder Reise muss er sich mit den richtigen Mitbringseln eindecken: "Das beste Geschenk, das man Kindern mitbringen kann, sind Autogrammkarten, Sportzeitschriften und Fanartikel."

Allein, die Hertha-Geschäftsführung mag in den vielen neuen Fans noch kein wirtschaftliches Potenzial sehen. Während Manchester United seine Profis in der Sommerpause auf Freundschaftskicks nach Südost-Asien schickt, um tonnenweise Schals, Mützen und Trikots loszuschlagen, gibt es in Teheran nicht einmal einen Hertha-Fanshop. Die Idee mit dem Freundschaftsspiel gefällt Mehravar: "Wir hätten sogar ein Stadion, in das 100 000 Leute passen."

Martin Kaluza

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