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Leichtathletik-WM - Kugelstoßen Männer Finale

© dpa

Ralf Bartels: Bronze als Sieg gegen Schmerz und Zweifel

Ralf Bartels hat mit seiner Bronzemedaille bewiesen, dass er zu den besten Kugelstoßern der Welt gehört. Doch seine WM-Medaille bedeutet ihm noch viel mehr.

Jennifer Oeser stakste ein paar Sekunden lang über die Bahn. Für ein paar Augenblicke hatte sie kaum noch Kraft in den Beinen. Dann schossen ihr Tränen in die Augen. Es war einfach zu viel, was sie hier gerade erlebte, die Gefühle übermannten sie. Tosender Applaus kam von den Rängen, tosender Beifall für die Frau, die hier gerade überraschend Silber im Siebenkampf gewonnen hatte. Zwei Minuten zuvor hatte es noch so ausgesehen, als würde Jennifer Oeser aus einem ganz anderen Grund weinen: weil sie Opfer eines sportlichen Unglücks sein würde.

Die 800 Meter standen an, die letzte Disziplin im Siebenkampf. Jennifer Oeser aus Leverkusen, die EM-Vierte, hatte die Chance auf Silber. Sie war Dritte, sie musste wenigstens drei Sekunden schneller als die Zweitplatzierte, die Polin Kamila Chudzik laufen. Eigentlich war das kein Problem, Oesers Bestzeit liegt um sechs Sekunden unter der von Chudzik. Aber bei 300 Meter geriet Oeser ins Stolpern, sie strauchelte, fiel zu Boden. „Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich wollte an der Französin vor mir vorbei zu den Schnelleren, da wurde von hinten gedrängelt“, sagte Oeser. Sie rappelte sich wieder auf hatte wertvolle Zeit verloren, die Polin war weg. „Es war ein Raunen im Stadion, und als ich gehört habe, wie alle jubelten als ich aufstand, kam die schnellste Runde, die ich je erlebt habe.“

Jennifer Oeser kämpfte sich heran, holte Meter um Meter auf, überholte Chudzik, schleppte sich mit letzter Kraft durchs Ziel. Aber würde es reichen? Drei Sekunden? Die Polin pumpte ihre letzten Kraftreserven in ihren Körper. Vergeblich. Silber war weg, Silber ging an Jennifer Oeser. 6493 Punkte, neue persönliche Bestleistung. Julia Mächtig aus Neubrandenburg wurde Neunte (6265). Gold gewann die Favoritin Jessica Ennis (Großbritannien) mit 6731 Punkten. Jennifer Oeser feierte ihren Erfolg mit einer Ehrenrunde, in dieser grandiosen Atmosphäre, in der zugleich auch das Silber von Nadine Kleinert gefeiert wurde. „Der geilste Wettkampf, den ich je gemacht habe", schrie Oeser ein paar Minuten später ins Stadionmikrofon. Der Tag der Deutschen.

Sie hatte gewusst, dass sie um eine Medaille kämpfen könnte. Um Bronze, aber nicht um Silber. Ratingen hat es ihr gezeigt. In Ratingen, im Juni, gewann die 25-Jährige mit neuer persönlicher Bestleistung, 6442 Punkte.

Doch ihre Freude hielt sich nach der ersten Disziplin, den 100 Meter Hürden, leicht in Grenzen. Die 25-Jährige streifte die fünfte Hürde, kam etwas aus dem Rhythmus und lief nach 13,62 Sekunden durchs Ziel. Damit blieb sie zwölf Hundertstelsekunden über ihrer persönlichen Bestleistung. Nicht ganz an ihre persönliche Bestleistung kam sie auch beim Hochsprung heran. 1,86 Meter hatte Oeser bereits überquert, in Berlin kam sie auf 1,83 Meter. Nach der zweiten Disziplin lag die Leverkusenerin auf Rang fünf.

Dafür holte Oeser im Kugelstoßen, der dritten Disziplin, enorm auf. Mit 14,29 Metern stellte sie eine persönliche Bestleistung auf. Sie schob sich auf den dritten Rang, hinter Ennis und die Ukrainerin Natalia Dobrynska, die 70 Punkte Vorsprung hatte. Dieser Vorsprung schrumpfte allerdings nach dem 200-Meter-Lauf auf drei Punkte. Denn Jennifer Oeser lief 24,30 Sekunden, damit hatte sie erneut eine persönliche Bestleistung aufgestellt. Olympiasiegerin Dobrynska kam lediglich auf 25,02 Sekunden.

Nach vier Disziplinen und dem ersten Tag lag Jennifer Oeser damit im Zwischenergebnis zwölf Punkte über ihrer persönlichen Bestleistung. Für die EM-Dritte Lilly Schwarzkopf war dagegen nach dem ersten Tag Schluss. Eine Fußverletzung plagte sie.

Die erste Schlüsselstelle für Jennifer Oeser war der Weitsprung, die erste Disziplin am zweiten Wettkampftag. Hier musste sie möglichst nahe an ihre Leistung von Ratingen kommen, besser noch. Sie musste neue persönliche Bestleistung springen. Es gelang nicht ganz, mit 6,42 Metern blieb sie knapp unter ihrem Rekord. Egal, sie registrierte es mit einem zufriedenen Lächeln. Denn sie lag plötzlich auf Rang zwei. Das hatte sie Dobrynska zu verdanken. Die Ukrainerin ist eine gute Weitspringerin, eigentlich. Aber nicht in Berlin. Im Olympiastadion kam sie nicht weiter als 6,41 Meter. Nun lag sie punktgleich mit Oeser auf Rang zwei. Damit bekam das Speerwerfen noch mehr Bedeutung als schon zuvor. 48,52 Meter hatte sie schon einmal erreicht. Im zweiten Durchgang schleuderte sie den Speer 46,70 Meter weit. Ein guter Versuch, aber Oeser quittierte ihn mit zusammengekniffenen Lippen. Denn inzwischen hatte die Polin Chudzik 48,72 Meter erreicht und sich auf Platz zwei geschoben.

Nun wurde es spannend. Oeser oder die Polin. Auf dem Papier sprach alles für die Deutsche. Aber dann hatten die Läuferinnen erst 300 Meter absolviert, das Drama begann. „Ich habe alles erreicht, was ich erreichen wollte“, sagte Jennifer Oeser, als es zu Ende war.

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