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Sport: Rallye: Mit Gebetbuch in den Graben

Risto Mannisenmäki hat jetzt eine Metallplatte im Rücken. Aber er ist noch einmal davon gekommen.

Risto Mannisenmäki hat jetzt eine Metallplatte im Rücken. Aber er ist noch einmal davon gekommen. Denn querschnittsgelähmt ist er nicht. Das hat Kaj Lindström von Mannisenmäki selber gehört. Vor kurzem, als er ihn im Krankenhaus besuchte. Sie haben dabei noch mal über den Unfall gesprochen. Mannisenmäkis Auto flog aus der Kurve, es war zu schnell, damals im Sommer 2001 bei der Rallye Korsika, der Finne war Beifahrer, und im Krankenhaus stellten die Ärzte dann fest, dass er schwere Verletzungen am Rückgrat hatte. "Es war ein Fehler der Fahrers", sagt Kaj Lindström. Er kann so etwas einschätzen. Er ist selber Beifahrer bei Rallyes. Im Krankenhaus hat der 32-Jährige seinen Landsmann mitfühlend angeschaut, Mannisenmäki ist ein Kumpel von ihm, aber richtig getroffen hat ihn der Anblick vermutlich nicht. Denn Lindström sagt: "Wenn man als Ralleyfahrer noch nicht rausgeflogen ist, war man immer zu langsam." Und: "Wer noch nie einen richtigen Unfall gebaut hat, ging nicht ans Limit."

Als das Auto in Korsika aus der Kurve flog, saß Tommi Mäkinen am Steuer. Mäkinen geht immer ans Limit, deshalb ist er im Rallye-Sport auch eine Legende. Der Finne ist der erste Pilot, der viermal die Weltmeisterschaft in Folge gewann. Er ist mit seinem Subaru Impressa, angetrieben von 300 PS, auch der Favorit bei der legendären Rallye Monte Carlo, die am Freitag beginnt. Die Monte ist ein Mythos, für Fahrer und für Fans. Sie findet im Winter statt, bei Eis und Schnee, und es gibt faszinierende Bilder von den Autos, deren Schweinwerferkegel die Nacht durchbohren. Und Mäkinen ist der Superstar bei der Monte. "Aber bei dem Unfall auf Korsika war Tommi zu schnell", sagt Lindström. Er sagt das teilnahmslos. Er erlaubt sich keine Gefühle, wenn es um den Weltmeister geht. Das ist Selbstschutz. Denn Lindström ist jetzt Mäkinens Beifahrer.

Angst, sagt Lindström, Angst darfst du dir nicht erlauben. Außerdem sitzt ein Kopilot in einem Rallye-Auto nicht einfach hilflos in seinem Sitz und ballt verkrampft die Hände, wenn der Wagen aus der Kurve fliegt. "Der Beifahrer ist das Gehirn des Wagens", hatten sie früher behauptet. Das war auch so ein Spruch. Aber so stimmt er nicht. Christian Geistdörfer, der Kopilot des zweimaligen Weltmeisters Walter Röhrl, der berühmteste deutsche Rallye-Beifahrer also, sagte: "Der Beifahrer macht nur 20 oder 30 Prozent aus, aber ohne diese 30 Prozent kann der Fahrer nicht optimal fahren."

Der Fahrer ist der Chef im Wagen, sagt auch Lindström. Schon wahr, aber der Chef muss dem Kopiloten blind vertrauen. Denn der Beifahrer hat das Gebetbuch. Gebetbuch ist Szene-Jargon. Das Gebetbuch ist eine lange Liste mit Aufzeichnungen. Vielleicht sagen sie Gebetbuch, weil der Beifahrer alles, was er darin liest, runterleiert. Pausenlos. Lauter Kommandos: Spitzkehre, 90-Grad-Kurve, leichte Kurve, die eine hohe Geschwindigkeit erlaubt, solche Sachen. Natürlich sagt der Beifahrer nicht wörtlich "Spitzkehre". Oder "90-Grad-Kurve". Der Beifahrer sagt zum Beispiel: "Rechts zwei drei minus." Das heißt: Da vorne kommt eine Rechtskurve, die zwar nicht besonders eng ist, aber keine hohen Geschwindigkeiten erlaubt. Der Fahrer bestimmt nur noch Tempo und jeweiligen Gang. Er hat die ganzen Angaben allerdings zuvor festgelegt. Zweimal dürfen Pilot und Copilot eine Prüfungsstrecke abfahren, beim ersten Mal diktiert der Fahrer den Kurvenverlauf, der Beifahrer schreibt mit. Beim zweiten Test liest er vor.

Er prüft auch den Reifendruck vor dem Start. Und redet mit den Serviceleuten. Und kontrolliert, ob es Schäden am Fahrzeug gibt. Und natürlich redet er mit den Spionen. Die haben die Rennstrecke eine Stunde vor dem Start nochmal abgefahren. Kann ja sein, dass irgendwo Schnee gefallen ist. Und natürlich muss er den Fahrer beruhigen, wenn es unterwegs zum Beispiel technische Probleme gibt. Als Geistdörfer noch fuhr, sagte er: "Ein guter Beifahrer kann bei Wüsten-Rallyes zur Not auch noch eine Kuh notschlachten, die man angefahren hat. Und er hat immer Kleingeld in der richtigen Währung dabei. Damit die Leute einem helfen." Die Zuschauer dürfen schieben, wenn ein Auto im Schnee oder im Sand steckt, mehr aber auch nicht.

Aber das war eine andere Zeit. "Heute ist alles viel härter, viel professioneller geworden", sagt Lindström. Früher konnte man eine Rennstrecke notfalls zehnmal testen, heute nur zweimal. Da wird jeder Fehler gnadenlos bestraft. Tommi Mäkinen, der viermalige Weltmeister, hat Mannisenmäkis direkten Nachfolger rausgeworfen. Nicht gut genug für mich, sagte er. Deshalb sprach er im November 2001 Lindström an. Lindström fuhr damals auch mit einem Spitzenfahrer, er war Finnischer Meister und Fünfter bei der Rallye Australien 2000. Als sich Mäkinnen meldete, stand noch ein WM-Lauf aus. Drei Fahrer hatten die Chance, Weltmeister zu werden, darunter auch Mäkinnen. Der Topstar wollte unbedingt wieder den Titel, mit Lindström als Kopilot rechnete er sich die größten Chancen aus. Doch sie schafften es nicht. Lindström durfte trotzdem bleiben.

Und Lindström hat jetzt den begehrtesten Job der Welt, den Beifahrer haben können. Obwohl er erst 1998 Profi wurde, ein Jahr, nachdem er seinen Job bei einer Papierfabrik aufgab. Eigentlich ist er ja Maschinenbau-Ingenieur. Und sieben Jahre, nachdem er seine erste Rallye gefahren hatte. Sie mussten sich in zwei Testfahrten aneinander gewöhnen, Mäkinen und er, mehr Zeit blieb nicht. "Ich war fürchterlich aufgeregt", sagt Lindström. Jeder Fahrer hat seine Eigenheiten, "der eine möchte die Kommandos vor der Kurve, der andere in der Kurve". Mäkinen möchte sie in der Kurve.

Lindström darf auch bei der Rallye Monte Carlo neben dem Weltmeister sitzen, weil "ich im Auto völlig anders bin als privat". Absolut beherrscht, ruhig, konzentriert. Er hört keinen Moment auf zu reden, wenn Zuschauer fast auf der Fahrbahn stehen, während das Auto mit 150 km/h durch eine Kurve schlittert. "Wenn ich aufhöre, gibt es ein Chaos", sagt Lindström. Der Fahrer muss das Problem lösen. Er musste auch noch nie niesen oder husten während der Fahrt. Oder nur auf langen Geraden, aber dann "nur ganz kurz". Der Beifahrer muss sich auf das Gebetbuch konzentrieren. Deshalb sind Unfälle für ihn auch gefährlicher, weil sie ihn unvorbereitet treffen. Der Fahrer sieht, was kommt, und kann schneller reagieren.

Manchmal, wenn er erzählt, erinnert Lindström an eine Maschine. Eine, die funktioniert, wenn man einen Schalter umlegt. Als er im Krankenhaus war, bei seinem verunglückten Kumpel, da ging es ihm eigentlich weniger um den Patienten. "Ich wollte die Aufzeichnungen von Risto abholen. Er sollte mir auch Tipps geben, wie Tommi gern die Kommandos hat." Das wirkt kaltblütig, ist aber nur profihaft. Das Risiko ist Teil des Geschäfts.

Lindström ist ja selber schon mal aus der Kurve geflogen, 1998 bei der Rallye San Remo. Er erlitt einen Haarriss in einem Rückenknochen, "mein bisher schlimmstes Erlebnis". Aber er fuhr weiter, "bis heute", sagt er, "habe ich nie schwere Unfälle erlebt".

Mäkinen ist seine größte Chance, natürlich. Sein Vertrag läuft erstmal nur für die Rallye Monte Carlo und die Rallye Schweden. Aber Mäkinens Popularität ist auch seine. Rallye ist fast Volkssport in Finnland, vor Mäkinnen waren schon vier andere Finnen Weltmeister. Seitdem Lindström neben der Legende sitzt, wollen sie alle etwas von ihm wissen. BBC, finnisches Fernsehen, englische Fachzeitschriften. Lindström darf in Mäkinens Privatjet fliegen, er kassiert ein gutes Gehalt. Das Geld kommt vom Fahrer.

Aber Lindström kennt auch seine Grenzen. Er ist nie selber gefahren, er will es auch nicht. "Ich kann das hohe Tempo nicht halten", sagt er. Schon als er mit zehn Jahren in alten Fiats über schneebedeckte Straßen raste, saß er nur daneben. Das genügte ihm.

Beeinflussen kann er nur, neben wem er sitzen darf. Alles eine Frage seiner Qualität. "Ich bleibe bei Tommi, so lange er mich will." Letztlich hängt aber alles von Risto Mannisenmäki ab. Lindström muss aussteigen, wenn sein Kumpel wieder fit ist. Doch das kann noch dauern. Und wahrscheinlich hat Mannisenmäki sowieso gerade andere Sorgen. Er ist nicht querschnittsgelähmt. Das dürfte als Erfolgserlebnis erstmal reichen.

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