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Sport: Ratlos am Ring

Die jungen deutschen Diskuswerferinnen offenbaren hinter Franka Dietzsch eine große Leistungslücke

Nadine Müller beugte sich nach vorne. Sie ist einen Kopf größer als Gerhard Böttcher, anders konnte sie ihren Trainer nicht umarmen. Böttcher, der Bundestrainer der Diskuswerferinnen, sagte: „Das war ja noch ein versöhnlicher Abschluss.“ Dann kam auch noch Ulrike Giesa, die nächste Umarmung. Giesa ist in Ulm gerade Zweite bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften geworden, mit 59,61 Metern. Müller landete auf Rang drei (58,22), vor Jana Tucholke (Leipzig/58,02 m.). Böttcher trainiert Giesa und Müller in Halle an der Saale.

Gewonnen hat natürlich Franka Dietzsch. Sie ist zweimalige Weltmeisterin, sie lag Welten vor den anderen (66,29 m), das war nicht überraschend. Dietzsch war nicht das große Thema, es war eher, dass, laut Böttcher, das „Grundproblem“ bleibt. Ein Problem, „das ich in 37 Jahren als Trainer noch nie hatte“.

Das Problem ist, dass die 20-jährige Müller, die 21-jährige Giesa und die 24-jährige Tucholke zwischen Einwerfen und Wettkampf rapide ihre Leistungsfähigkeiten einbüßen. „In den wenigen Minuten dazwischen passiert im Kopf irgendwas“, sagt Böttcher. Er weiß nur nicht was. Er kennt nur die Zahlen. Beim Einwerfen schleudern die Drei oft genug den Diskus 60 oder 61 Meter weit, im Wettkampf, ein paar Minuten später, fliegt die Scheibe 57 oder 58 Meter. So war dies, abgesehen von Ulm, immer wieder. In Ulm haben Einwurf- und Wettkampfweite einigermaßen übereingestimmt. Aber für Böttcher war das nur eine Ausnahme, nicht das Ende des Problems. „Wenn die Schwankungen größer als 1,5 Meter sind, ist etwas faul. Eigentlich müssten die im Wettkampf sowieso weiter kommen als beim Einwerfen“, sagt Böttcher. Seit dieser Saison beobachtet er das Mysterium. Dietzsch ist 38 Jahre alt, sie müsste eigentlich zumindest ein bisschen bedrängt werden von den Jungen. Aber die haben in dieser Saison nicht mal annähernd die EM-Norm von 61 Metern erreicht. „Ich habe gedacht, dass ich problemlos die drei Plätze für die EM besetzen kann“, sagt Böttcher.

Für Nadine Müller ist das alles eine Frage der Tagesform. Und die Leistungsschwankungen? „Ich nehme an, das ist eine vorübergehende Erscheinung.“ Und für Ulrike Giesa spielt die „Umstellung eine Rolle“. Sie kam im Dezember 2005 nach Halle an der Saale, zu Böttcher. Sechs Jahre lang war sie in München. Da leide die Technik.

Viel bessere Erklärungen erhält Böttcher auch nicht. „Die Frauen sagten mir, sie hätten im Wettkampf plötzlich schwere Beine.“ Sie arbeiten dann zu viel mit dem Oberkörper, sie machen technische Fehler, sie machen, seufzt Böttcher, „alles anders als sonst“. Vor allem Giesa und Müller kämen mit dem Druck nicht klar, sagt Böttcher. „Die scheitern an ihren eigenen Erwartungen.“ Auf einmal, nach Jahren mit klarem sportlichem Aufstieg.

Böttcher hat im Training Wettkampfstress simuliert. Nur ging das schief. Wenn er ankündigt, dass die Frauen mehrfach maximal auf Weite werfen sollen, landet der Diskus bei mäßigen Weiten, wo er tags zuvor 60 Meter oder noch weiter gesegelt war. Nervenschwäche ist Böttcher gewohnt. Er hatte mal Ilke Wyludda trainiert. Die hatte bis zu den Olympischen Spielen 1992 insgesamt 58 Mal in Serie gewonnen. Bei Olympia landete sie auf Platz neun. „Ich habe 18 Monate gebraucht, bis sie wieder normal war“, sagt Böttcher.

Der Trainer denkt auch, dass es vielleicht an den Bedingungen liegt. Dass sie einfach zu optimal sind für Giesa und Müller. Die eine ist bei der Bundeswehr, die andere bei der Bundespolizei, sie haben nichts als Sport. „Da fehlt der geistige Ausgleich“, sagt Böttcher. Also sorgt er dafür, ein bisschen wenigstens. Nadine Müller hat die Website der „Halleschen LA-Freunde“ betreut, beide mussten beim Werfertag des Klubs Bestenlisten ausarbeiten und dem Stadionsprecher zuarbeiten. Geholfen hat es lange nichts, bis gestern. „Das war endlich mal wieder ein guter Wettkampf“, sagte Nadine Müller.

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