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Deutsche Fußballerinnen: Ratlos nach dem Aus

Fassungslos, ratlos, torlos. Nach der O:1-Niederlage gegen Japan suchen die deutschen Fußballerinnen nach Erklärungen für das Unerklärliche. War der Druck zu groß? Ist die Euphorie im Vorfeld umgeschlagen in die Angst vor dem Versagen?

Auch als das Turnier für sie vorbei ist, erfüllen die deutschen Fußballnationalspielerinnen noch brav ihre Pflicht. Mit schweren Beinen trotten sie über den Rasen des Wolfsburger Stadions und entrollen mit hängenden Köpfen ein Banner. „Ein Team – Ein Traum – Millionen Fans – Danke!“ ist da zu lesen. Eigentlich sollte das Transparent bis zum Sonntag zusammengefaltet bleiben, bis zum WM-Finale. Aber jetzt muss sich die deutsche Mannschaft schon viel früher als geplant von ihren Fans verabschieden. Die Zuschauer feiern das Team, so gut es nach der 0:1-Niederlage im Viertelfinale gegen Japan eben geht. Die Stadionregie schaltet die Partymusik ein, keiner will klatschen oder schunkeln. Niemand kann begreifen, was gerade passiert ist. Silvia Neid steht in den Stadionkatakomben, die kleine blonde Frau hat in den vergangenen Woche täglich Interviews gegeben, so ratlos wie jetzt hat sie dabei noch nie gewirkt. „Wir hängen so ein bisschen in der Luft“, sagt die 47-Jährige. „Und keiner weiß so genau, was das jetzt eigentlich soll. Ich werde irgendwie auch noch gar nicht erwartet zu Hause.“

Es hat viel mit Erwartungen zu tun, dass das Scheitern von Neids Mannschaft so dramatisch wirkt. Die Bundestrainerin hat erwartet, dass ihre Mannschaft guten Fußball spielt. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat ein schwarz-rot-goldenes Spektakel erwartet. Die Spielerinnen den internationalen Durchbruch. Oder das perfekte Karriereende. Oder fette Werbeverträge. Und alle zusammen haben den WM-Titel erwartet, den dritten in Folge. Seit 1999 hatten die deutschen Frauen bis zu diesem Samstagabend bei einer WM nicht mehr verloren – und irgendwie waren alle davon ausgegangen, diese Serie würde sich fortsetzen. „Ich denke, dass die Mannschaft schon den Erwartungsdruck gespürt hat und nicht so leichtfüßig war, wie wir das von ihr gewohnt sind“, sagt Silvia Neid.

Der Deutsche Fußball-Bund hat direkt vor dem Turnier den Vertrag der Trainerin bis 2016 verlängert. Warum auch nicht? Es schien alles perfekt zu laufen. Jetzt ist alles anders. „Ich habe natürlich auch schon überlegt, ob ich etwas hätte anders machen müssen“, sagt Silvia Neid, die sonst so selbstsicher wirkt. Ihre Mannschaft hat nicht überzeugt, die Bundestrainerin muss sich den Vorwurf gefallen lassen, falsch ausgewechselt zu haben.

Birgit Prinz hat an diesem Abend zum letzten Mal das deutsche Trikot getragen, schmutzig machen durfte sie es nicht. Auch eine Stunde nach dem Abpfiff hat sie noch Tränen in den Augen. Neid hat die 33-Jährige nicht eingewechselt, nach 214 Länderspielen beendet Prinz ihre Karriere in der Nationalmannschaft. Vielleicht hört sie auch ganz auf mit dem Sport, der die vergangenen 20 Jahre ihr Leben bestimmt hat. „Ich bin frustriert und enttäuscht“, sagt Birgit Prinz. Für die Rekordnationalspielerin war diese Weltmeisterschaft am bittersten. Sie hat schlecht gespielt, wurde ausgewechselt, hat ein Spiel ausgesetzt, weil sie sich dem Druck von innen und außen mental nicht gewachsen sah. Die Berichterstattung über sich selbst und ihre Formkrise hat sie als „Hexenjagd“ empfunden. Ein Reporter sagt nun zu ihr, man könne sich schwer vorstellen, dass ihre Karriere nun auf der Ersatzbank endet. „Wird sie aber.“ Der DFB denkt jetzt darüber nach, Birgit Prinz ein Abschiedsspiel zu schenken, von einem „angemessenen Rahmen“ ist die Rede. Man kann sich Birgit Prinz schlecht bei einem heiteren Freundschaftsspiel oder einem lockeren Benefiz-Kick vorstellen.

Simone Laudehr sitzt noch lange auf dem Rasen. Die 25-Jährige war wohl die beste deutsche Spielerin bei dieser WM, sie hat gekämpft, hat viele Tritte eingesteckt, ist wieder aufgestanden. Fatmire Bajramaj kommt zu ihr, legt ihr einen Arm um die Schultern, Laudehr rappelt sich langsam auf. Sie benutzt ihr Trikot, um sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. „Ich bin geschockt irgendwie“, sagt Laudehr. „Wir waren gut vorbereitet. Und das ist dann einfach so ärgerlich, wenn man so einen Tag erwischt.“

Auch perfekte Vorbereitung kann nicht verhindern, dass eine Schlüsselspielerin wie Kim Kulig schon nach vier Minuten umknickt und sich das Kreuzband reißt. Dass die so verlässliche und effektive Kerstin Garefrekes bei einer Flanke plötzlich das Knie hinhält – und nicht den Kopf, wie sie es hunderte Male zuvor gemacht hat. Dass aus Vorfreude Druck wird, aus Euphorie Versagensangst. Dass eine Mannschaft sich blockiert, wo sie doch miteinander kombinieren soll.

Für den Fluss im deutschen Spiel sollte auch Fatmire Bajramaj sorgen. Die 23-Jährige galt vor dem Turnier als Gesicht dieser WM. Ihre Leichtigkeit sollte die deutsche Mannschaft beflügeln, ihre Ausstrahlung wollten nicht wenige Firmen nutzen, um Kunden zu gewinnen. Die 23-Jährige ließ sich intensiv vermarkten, in den Werbespots der deutschen Mannschaft stand sie meist ganz vorne. Bajramaj ging in Talkshows, gab unzählige Interviews. Für eine Homestory öffnete sie dem „Kicker“ ihre Wohnung, zeigte Fotos von ihrer Familie und ihr Schlafzimmer, komplett mit Cremetöpfchen, Parfümflakons und Kajalstiften. Dem Reporter las sie aus dem Kaffeesatz, kosovarischer Mokka, die Zukunft: „Gesundheit, Liebe, zwei Kinder.“

Am Sonnabend gibt es keine Auskünfte von Fatmire Bajramaj, ein DFB-Mitarbeiter führt sie hastig an den Mikrofonen und Kameras vorbei. Auch Spielerinnen, die keine Sekunde auf dem Platz standen, müssen manchmal zur Dopingprobe. „Lira, Lira“ rufen die Reporter. „Sie kommt gleich wieder“, ruft der DFB-Mann. Doch Lira kommt nicht noch einmal zurück.

Am Morgen nach dem Ausscheiden gibt Silvia Neid eine letzte Pressekonferenz. Monatelang hat sie Fragen nach dem nächsten Gegner, dem nächsten Spiel, den kommenden Aufgaben beantwortet. Jetzt muss sie zurückblicken, es geht nicht mehr weiter. „Unsere Mannschaft hat alles gegeben, ich kann niemandem einen Vorwurf machen“, sagt Silvia Neid. „Hätten wir das eine oder andere Tor gemacht, wären wir auch ins Rollen gekommen.“ Als Neid diese Sätze sagt, sind ihre Spielerinnen schon abgereist. „Alle hatten Tränen in den Augen“, berichtet die Bundestrainerin. Neben ihr wirkt Teammanagerin Doris Fitschen mitgenommen und müde, sie verkündet immerhin, dass die Verträge mit den wichtigsten Sponsoren bis 2012 laufen. Wenige Stunden später gewinnt Schweden gegen Australien mit 3:1, damit verpasst Deutschland auch die Olympischen Spiele in London im kommenden Sommer. Die deutsche Elf wird zwar Werbepartner haben, aber keine Gelegenheit, Werbung zu machen.

Die WM ist vorbei für die deutschen Frauen. Dabei war alles ganz genau geplant. Akribisch, minutiös, perfektionistisch. Eine Dokumentarfilmerin begleitet die Mannschaft schon seit Anfang März, als die Spielerinnen sich zum ersten Trainingslager trafen. Der Kinostart für den Film mit dem Titel „11 Freundinnen“ war schon auf das passende Datum, den 11.11., festgelegt. Aber wer will schon einen Film sehen, der mit einem 0:1 gegen Japan in Wolfsburg endet? Wer will an diesen Abend erinnert werden?

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