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Sport: Reiten: Zu rüstig für die Rente

Angegraute Haare schauen unter der Baseballkappe hervor, in das Gesicht haben sich schon einige Furchen eingegraben. Unscheinbar wirkt der ältere Herr, der rauchend ganz unten im Velodrom sitzt, in einem Gang, wo keine Zuschauer vorbeikommen sondern Pferde.

Angegraute Haare schauen unter der Baseballkappe hervor, in das Gesicht haben sich schon einige Furchen eingegraben. Unscheinbar wirkt der ältere Herr, der rauchend ganz unten im Velodrom sitzt, in einem Gang, wo keine Zuschauer vorbeikommen sondern Pferde. Er sieht älter aus, als er ist. 45 ist er im August geworden. Kein Alter für einen Mann, eigentlich. Und doch hat er Glück, dass er kein Fußballprofi ist. "Da wäre ich vor zehn Jahren in Rente gegangen", sagt John Whitaker trocken. Whitaker ist Reiter, und weil ja nicht er, sondern das Pferd schnell rennen und hoch springen muss, kann von Ruhestand noch keine Rede sein. Bei ihm nicht und bei seinem fünf Jahre jüngeren Bruder Michael auch nicht.

Die Brüder aus Großbritannien sind eine lebende Legende. 1980 gewann John Whitaker mit der Mannschaft und im Einzel Silber bei den Olympischen Spielen. Jetzt, zwanzig Jahre später, wird er immer noch auf Platz elf der Weltrangliste geführt, direkt vor seinem Bruder. Zügelhand und Füße funktionieren wie eine Maschine, "das geht alles automatisch, nur auf das jeweilge Pferd muss ich mich einstellen". Bis er aus dem Sattel fällt, will er zwar nicht Weltcup reiten, aber noch spielt er nicht mit dem Gedanken, sich auf seine Farm in West Yorkshire zurückzuziehen."So lange ich gute Pferde habe und es mir Spaß macht, mache ich weiter", sagt er. Schließlich ist er nicht der älteste unter den älteren Herrschaften im Parcours, "Hugo Simon ist 58". Dagegen geht Whitaker als junger Mann durch. Simon nacheifern will er nicht, "mit 50 bis 55 ist Schluss". Irgendwann wird der Körper nicht mehr mitspielen und gegen die ständige Anstrengung rebellieren. Noch ist das nicht der Fall: Vor zwei Jahren stürzte er in Wien schwer, im Krankenhaus stellten die Ärzte nichts fest - außer einem widerstandsfähigen Schädel. Am nächsten Tag gewann Whitaker das Springen.

Er ist keiner, der viel redet, ihm werden hintergründiger Humor und ein oft regungsloses Gesicht nachgesagt. Spötter haben einmal behauptet, dass sich sein legendärer Schimmel Milton, der im vergangenen Jahr gestorben ist, mehr über Siege freute als sein Reiter. Siege hat der Brite unzählige errungen. Er war Mannschaftseuropameister und Vizeweltmeister, nur mit Olympiagold klappte es nie. Motivationsprobleme nach zwei Jahrzehnten in der Weltspitze? Nein, sagt er, er habe bei jedem Turnier den Ehrgeiz zu gewinnen, "wenn es anders wäre, wäre es an der Zeit aufzuhören."

Routine und Können bringen ihm nach wie vor Platzierungen relativ weit vorne ein. Erst 1999 schaffte er, was ihm als Jungspund verwehrt geblieben war: Er gewann erstmals ein Weltcupspringen vor heimischem Publikum, in London. Beim Championat von Berlin am Freitagabend kam er auf Virtual Village Calvaro auf den 13. Rang, weit vor seinem Bruder und vor Weltmeister Rodrigo Pessoa, die 31. und 32. wurden. In den letzten 20 Jahren sei der Reitsport professioneller geworden, es gebe mehr erstklassige Pferde und damit mehr Konkurrenten. Für ihn selbst hingegen, meint John Whitakter mit zerknittertem Gesicht in den Tiefen des Velodroms, habe sich wenig geändert. Und wenn er und sein Bruder irgendwann doch in Rente gehen, wird der Name Whitaker nicht aus den Ergebnislisten verschwinden, "dann übernehmen meine Kinder".

Helen Ruwald

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