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Ruqaya Al Ghasara lief bei Olympia in Peking über 200 Meter bis ins Halbfinale, Allyson Felix neben ihr gewann am Ende Silber.

© AFP

Sport mit Schleier: Religion gegen Regel

Läuferinnen dürfen verhüllt starten, Basketballerinnen nicht – der Sport steckt längst mitten in einer Debatte darüber, wer sich nach wem richten muss, und wie weit.

Zwei Dinge hat Sura Al Shawk für sich entdeckt, auf die sie nie mehr verzichten will. Basketball zum einen, denn „sobald ich zu spielen begann, blendete ich alles um mich herum aus“. Etwa, dass sie als Neunjährige mit ihrer Familie aus dem Irak in die Schweiz floh und ihr das Einleben in der neuen Umgebung sehr schwer fiel. Das andere ist das Kopftuch. „Man fühlt sich geborgen und stark“, sagt die heute 19 Jahre alte Sportlerin über das Kopftuch. Doch beides auf einmal geht im Wettkampf nicht, so sind im Moment die Basketball-Regeln. Dagegen hat Sura Al Shawk sogar einen Prozess vor dem Amtsgericht Luzern geführt – und verloren. Jetzt überlegt sie, sich an ein Schiedsgericht zu wenden.

Ein heftiger Streit ist entbrannt, einer von vielen, wenn es darum geht, wie sich muslimische Frauen beim Sport anziehen. Der Sport steckt längst mitten in einer Debatte darüber, wer sich nach wem richten muss, und wie weit. Religion gegen Regel – darauf lassen sich manche Fälle reduzieren. Dabei geht es um die sensiblen Themen Ausgrenzung und Integration. Komplizierter wird alles dadurch, dass viele grundsätzliche Fragen nicht allgemeingültig beantwortet werden können, weil sie auch unter Muslimen umstritten sind. Wie die Verhüllung genau aussehen muss etwa und ob das Verhüllen der Frau überhaupt ein religiöses Gebot ist oder nicht doch ein Mittel zur Unterdrückung.

Nicht immer geht der Streit so aus wie bei den jungen iranischen Fußballerinnen. Der Internationale Fußball-Verband Fifa hatte sie eigentlich bei den Olympischen Jugendspielen im August in Singapur nicht spielen lassen wollen. Ihr Schleier sei ein religiöses Statement, und Religion habe auf dem Platz nichts verloren. Außerdem bestehe Verletzungsgefahr. Die Iranerinnen dürfen jetzt doch mitspielen, sie werden nur ein wenig anders aussehen als sonst. Mit einer Art Badekappe auf dem Kopf anstatt einem Schleier, ihre Ohren werden bedeckt sein, aber der Nacken wird frei bleiben, darauf haben sich Fifa und der iranische Fußballverband geeinigt.

Als 2006 Kreuzberger Fußballerinnen (rotes Trikot) in den Iran flogen, mussten auch sie sich verhüllen. Männer durften nicht ins Stadion.
Als 2006 Kreuzberger Fußballerinnen (rotes Trikot) in den Iran flogen, mussten auch sie sich verhüllen. Männer durften nicht ins Stadion.

© dpa

Im Basketball bieten die Regeln wohl keinen Raum zum Kompromiss. Schuhe, Socken, Hemd und Hose – mehr lässt der Internationale Basketball-Verband nicht an Ausrüstung zu auf dem Feld. Es gehe dabei um die Sicherheit, auch wenn ein Mitarbeiter des Verbandes sagt: „Ob es eine Verletzungsgefahr gibt, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen.“ Sura Al Shawks Anwalt Daniel Vischer, der für die Grünen im Schweizer Parlament sitzt, sagt: „Sie trägt längst eine Verhüllung, die wie eine Badekappe aussieht.“ Wo also liege die Verletzungsgefahr?

Im Training mit Schleier, im Wettkampf ohne

Auch die französische Tennisspielerin Aravane Rezai tritt vehement für Sportkleidung im islamischen Sinne ein. Bei der Spielervereinigung WTA stieß sie damit allerdings auf Ablehnung. Nicht einmal längere Bermudashorts, wie sie etwa Rafael Nadal trägt, sind den Damen erlaubt. Inzwischen hat Aravane Rezai sich mit dem Dresscode arrangiert: Beim Training hüllt die Halbiranerin sich stets in lange Kleidung, im Match passt sie sich an.

Das Internationale Olympische Komitee als oberste Instanz des Weltsports will bislang keine Richtung vorgeben. Jede Sportart müsse ihre eigenen Regeln dazu aufstellen. Bislang gehen die Verbände daher ganz unterschiedlich mit der Herausforderung um, dass muslimische Frauen Sport machen, aber sich von Bekleidungsriten nicht trennen wollen. Im Tischtennis stehen bei Weltmeisterschaften regelmäßig Frauen aus Ländern wie Ägypten oder dem Iran verhüllt an der Platte. Die Regel ist nicht eindeutig: „Jegliche Frage der Zulässigkeit und der Spielkleidung ist vom Schiedsrichter zu entscheiden“, heißt es, und der lässt sie eben spielen. Das andere Extrem ist Beachvolleyball, wo der Steg des Bikinihöschens bei den Frauen gerade einmal sieben Zentimeter breit sein darf.

Beim Tischtennis sind verhüllte Spielerinnen wie hier Shaimaa Abdul Aziz aus Ägypten regelmäßig dabei.
Beim Tischtennis sind verhüllte Spielerinnen wie hier Shaimaa Abdul Aziz aus Ägypten regelmäßig dabei.

© dpa

Wettkampfsport ist die eine Seite, Breitensport die andere. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) versucht derzeit mit einem Programm, Migrantinnen in seine Vereine zu integrieren, gerade Mädchen und Frauen mit muslimischem Glauben. „In unseren 70 Projekten hat es noch keine Probleme wegen Frauen mit Kopftuch gegeben“, sagt Ilse Ridder-Melchers, die im DOSB-Präsidium für Frauen und Gleichstellung zuständig ist. Viele Frauen hätten ihre Kopftücher beim Sport auch abgelegt, wenn sie sich sicher gewesen seien, keinen männlichen Blicken ausgesetzt zu sein. „Was möglich ist, sollte auch zugelassen werden“, sagt Ridder-Melchers, die früher Gleichstellungsministerin in Nordrhein-Westfalen war. „Aus der breitensportlichen Sicht kann ich nur sagen: Wir wollen so viele Mädchen und Frauen zum Sport holen wie möglich. Ob sie mit oder ohne Kopftuch Sport machen, ist nicht so wichtig.“ Nur mit einem verhüllten Gesicht hätte sie ein Problem: „Dann sehe ich den Menschen nicht mehr.“

Der Leistungssport hat eine klare Auffassung zur Kleidung: Alles wird ausgereizt, um einen Vorteil zu erzielen, Textilien stören da eigentlich nur. „Jegliche Kleidung, ob religiös oder modisch bedingt, ist erst einmal eine Dämmung“, sagt Billy Sperlich vom Institut für Trainingswissenschaften an der Deutschen Sporthochschule Köln. Ab einer Außentemperatur von etwa 20 Grad möchte der Körper Wärme abgeben, zum großen Teil über den Kopf. „Unter einem Kopftuch staut sich die Wärme“, sagt Sperlich. Bei kürzeren Belastungen wie bei Sprints sei das kein Problem, da störe das Kopftuch allenfalls die Aerodynamik, bei längeren Anstrengungen dagegen wie einem Marathonlauf beeinträchtigt ein Tuch „ohne kontinuierliche Zu- und Abluft“ die Leistung.

In langer Kleidung zur schnellsten Frau Asiens

Wenn sich die Hitze unter dem Kopftuch staut, können darunter Temperaturen von 45 bis 50 Grad entstehen. Irgendwann sage dann der Körper: stopp. Wann genau der Körper anfange, sich zu wehren, sei individuell unterschiedlich. Die Folgen einer Überhitzung könnte ein unangenehmes Körpergefühl sein, „fieberähnliche Zustände“ oder Schwindelgefühle bis hin zur Bewusstlosigkeit.

Die halbiranische Tennisspielerin Aravane Rezai verzichtet lieber auf ihren Schleier als auf ihre Siegchance.
Die halbiranische Tennisspielerin Aravane Rezai verzichtet lieber auf ihren Schleier als auf ihre Siegchance.

© AFP

Wie schnell man mit Kopftuch, langen Ärmeln und langen Hosenbeinen rennen kann, hat Ruqaya Al Ghasara, 27, aus Bahrain gezeigt. Bei den Asienspielen 2006 in Doha gewann sie das Finale über 200 Meter, bei den Olympischen Spielen in Peking erreichte sie das Halbfinale. „Ich denke nicht daran, was die anderen am Start anhaben. Alles, woran ich denke, ist die Ziellinie“, hat sie gesagt. Ihre Verhüllung, der Hijab, sei kein Hemmnis für sie – eher das Gegenteil. „Es geht nicht nur darum, ein Kleidungsstück zu tragen. Der Hijab gibt mir Stärke. Ich fühle viel Unterstützung aus der Gesellschaft, weil ich den Hijab trage. Es gibt eine Verbindung zwischen dem Hijab und dem Herzen.“

Die niederländische Designerin Cindy van den Bremen arbeitet auch an einer Verbindung der Hijabs mit der Gesellschaft. Sie hat einen Schleier für den Sport entwickelt. „Ich habe mich dazu entschlossen, nachdem in den frühen neunziger Jahren in den Niederlanden ein Mädchen aus dem Sportunterricht ausgeschlossen worden war“, erzählt van den Bremen. Dem Mädchen sei in einer Verhandlung angeboten worden, eine Badekappe zu tragen. „Da habe ich verstanden, dass es nicht um die Verhüllung an sich geht, sondern um die Art und Weise, wie sich Mädchen verhüllen. Es war also ein perfekter Fall für einen Designer.“

Aus der Idee ist inzwischen eine Firma entstanden, die sportliche und modische Kopftücher über einen Online-Shop an Frauen in aller Welt verkauft, die Kundinnen kommen aus Europa ebenso wie aus Japan, Indonesien, Malaysia oder Singapur. „Der Markt wächst“, sagt van den Bremen. Sie hat Hijabs für Aerobic entworfen, für Tennis, Laufen, Schwimmen. Und für Teamsportarten.

Sura Al Shawks Wunsch nach Basketball mit Kopftuch hat jedoch auch dieses Angebot nicht erfüllen können.

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