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Robert Enke: Rückhalt ohne Stand

Robert Enke hoffte womöglich, seine Krankheit mit der Kraft seines Verstandes zu beherrschen. Eine Annäherung.

Beim vermutlich ersten emotionalen Höhepunkt seines Fußballerlebens war Robert Enke Teil einer wissenschaftlichen Versuchsanordnung. Es war der 8. Juli 1990, das Endspiel der Weltmeisterschaft in Italien, Deutschland gegen Argentinien. Und es war die erste WM, die Robert Enke, damals zwölf, bewusst miterlebte. Als es kurz vor Schluss beim Stand von 0:0 Elfmeter für die Deutschen gab, drehte Enkes Vater, ein Psychotherapeut, daheim in Jena den Ton ab: Dirk Enke wollte seine Familie beim Torjubel analysieren.

Der „Spiegel“ hat diese Geschichte vor einigen Jahren erzählt und daraus den Schluss gezogen: „Etwas verbissen, die Enkes.“ Verbissen, ja, aber auch sehr überlegt und rational. Jupp Heynckes, der vor zehn Jahren bei Benfica Lissabon Robert Enkes Trainer war, hat den Torhüter einmal als kopfgesteuert bezeichnet. Genau so ist er auch den meisten Menschen vorgekommen, die mit ihm zu tun hatten: Enke war eine in sich gefestigte Persönlichkeit, ein kluger Charakter, jemand mit Haltung, der sich eine gesunde Distanz zu den Überdrehtheiten seines Berufs erhalten hatte. „Meine Lockerheit ist nicht zur Schau getragen“, hat er im März in einem Interview mit dem Tagesspiegel gesagt. Die zyklisch auftretende Aufgeregtheit um die Torhüterposition in der Nationalmannschaft schien ihn eher zu amüsieren, als zu belasten. Inzwischen wissen wir, dass der Konkurrenzkampf ihn zerfressen haben muss.

Wer wird die Nummer eins? Wer ist der Beste? Wie kann ich mich profilieren – vor allem im Kampf gegen meine Konkurrenten? „Es geht auch um den Kopf“, hat Enke im März gesagt, darum, „wie man mit der Situation klarkommt.“ Niemand zweifelte, dass Enke klar genug im Kopf ist, um in dieser Situation zu bestehen? „Keiner, wirklich keiner, hat irgendeinen Anlass gehabt zu glauben, dass Robert an dieser Krankheit leidet“, hat Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft gesagt.

Nur wenige Menschen haben von Enkes Depression gewusst. Hans Meyer hat zur selben Zeit wie Enkes Vater in Jena studiert, beide haben im selben Verein, dem SC Motor, Leistungssport betrieben, und als Meyer später den FC Carl Zeiss trainierte, war Dirk Enke ein Jahr lang als Sportpsychologe für den Verein tätig. „Ich kenne den Robert von klein auf, habe eine Beziehung zu seiner Familie“, sagt Meyer. „Natürlich habe ich von seinen Problemen gewusst, aber ich habe gehofft, dass er sich aus der Schlinge ziehen kann.“ Nun gibt auch Christoph Daum im „Express“ an, dass Enke sich bei Fenerbahce Istanbul ihm anvertraut habe.

Depressiv? Robert Enke? Dieser Verstandesmensch? Marcel Ketelaer hat Ende der Neunziger mit Enke in Mönchengladbach gespielt, kennengelernt haben sie sich schon viel früher im Nachwuchs des DFB. „Robert war immer schon erwachsener, so viel souveräner und vom Denken her weiter als wir anderen“, sagt Ketelaer. Gerade das macht es so schwierig zu verstehen, dass Enke, dieser kluge Kopf und vermeintlich starke Charakter, vor einer Krankheit kapituliert hat, die viele immer noch mit persönlichem Versagen und Schwäche gleichsetzen. Eine Depression aber ist genau das eben nicht. „Die Krankheit macht vor niemandem Halt“, sagt Hans Meyer. „Nicht vor jung, vor alt, vor arm oder reich.“

Das Verständnis für die Leiden depressiver Menschen ist hierzulande immer noch begrenzt. „Da schwingt der Vorwurf von der Klapsmühle mit“, sagt Meyer. Viele Betroffene berichten, wie sie wieder und wieder zu hören bekommen: „Stell dich nicht so an!“ Oder: „Reiß dich zusammen!“ Dass Sebastian Deisler, der in Mönchengladbach mit Enke zusammengespielt hat, sich öffentlich zu seiner Depression bekannt hat, hat ihm nicht nur Achtung, sondern auch viel Unverständnis eingetragen: Was hat der denn?, hieß es dann. Dem geht es doch gut, der verdient schließlich Millionen.

Auch Enke hat Millionen verdient, er wurde als Idol gefeiert, ist für sein Spiel als Torhüter geschätzt worden. Das muss ihm doch was bedeutet haben. „Für einen Ottonormalverbraucher ist das nicht zu verstehen, dass sich ein junger Mann, der im Leben steht, der sympathisch und erfolgreich ist, vor einen Zug wirft“, sagt Hans Meyer. „Man kann nur erahnen, welche Ängste und Schmerzen er gehabt haben muss.“

Hat Robert Enke gedacht, er sei stark genug, um die Depression mit der Kraft seines Verstandes zu beherrschen? Man kann darüber nur spekulieren. Anders als Sebastian Deisler jedenfalls wollte er die Krankheit geheim halten und sich nicht in stationäre Behandlung begeben. In Hannover war er Kapitän, der Rückhalt des Teams, an dem sich andere anlehnten. Enke war der, zu dem die anderen mit ihren Problemen hätten kommen sollen. Wie hätte er da zugeben können, dass er selbst viel größere Probleme hat? Für Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité, sind solche Muster nicht ungewöhnlich. Gerade bei erfolgreichen Männern geht es oft um drohenden Ansehensverlust. Heuser hat in der Praxis festgestellt: „Je erfolgreicher Männer sind, je höher die Fallhöhe, desto später begeben sie sich in psychiatrische Behandlung.“

Bei Enke war es die Angst zu versagen. „Nie wusste ich zu schätzen, was ich hatte“, hat er schon vor Jahren gesagt. Im Nachhinein werden solche Sätze gerne als versteckte Zeichen gedeutet. Hätte man nicht doch etwas erkennen können? Hätte man nicht stutzen müssen, wenn Robert Enke über den Konkurrenzkampf in der Nationalmannschaft gesagt hat: „Ich brauche keine Konkurrenzsituation. Ich brauche Vertrauen.“

René Adler sagt das auch immer. Ein ganz normaler Fußballersatz.

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