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Sport: Ronaldo überholt Müller

Der Brasilianer wird beim 3:0 über Ghana zum alleinigen WM-Torschützenkönig

Ronaldo steht. Ronaldo guckt auf seine gelben Fußballschuhe. Ronaldo spielt einen Fehlpass. Es laufen bereits vier Minuten im Achtelfinale zwischen Brasilien und Ghana. Nichts deutet darauf hin, dass nur ein paar Sekunden später ein neuer Ronaldo wird geboren sein. Der Rekordhalter Ronaldo. Beinahe verschläft Ronaldo den eigenen historischen Moment, aber das sieht natürlich nur so aus. Er trabt gemächlich von der linken auf die halbrechte Seite, dann fixiert er den Ball. Ronaldo tritt an direkt in der Grauzone zwischen gegnerischer Viererkette und Abseits. Er explodiert kurz und lässt die Abwehr hinter sich, der Ghanaer Pantsil hilft dem Schicksal noch nach und hebt das Abseits auf. Kakas Pass erreicht Ronaldo, plötzlich ist er allein vor Torwart Richard Kingson, er spielt ihn aus, schiebt den Ball zum 1:0 ins Netz und hat in diesem Augenblick Gerd Müller überholt. 32 Jahre hatte der Stürmer des FC Bayern den Torerekord bei Weltmeisterschaften gebunkert. Jetzt hat Ronaldo 15 Tore erzielt, ein Tor mehr als Müller, drei mehr als Pelé.

Brasilien gewinnt das Spiel ohne große Mühe 3:0 (2:0) und zieht ins Viertelfinale ein. Doch im Rückblick wird dieser glanzlose Sieg gegen einen merkwürdig unglücklich agierenden Gegner keine große Rolle mehr spielen. Es wird in den Geschichtsbüchern nur noch der Sieg sein, bei dem Luiz Nazario de Lima, genannt Ronaldo, Rekordtorschütze wurde. Nach dem Spiel wird der neue Rekordhalter sagen, dass die Bestmarke „nie mein Ziel war. Das hat sich so ergeben, aber ich bin natürlich froh.“ Er wolle einfach weiter Tore schießen und den nächsten Titel mitnehmen. Nach dem wenig glanzvollen, aber beeindruckend routiniert herausgespielten Sieg scheint es, als könne Ronaldo sein Ziel demnächst erreichen.

Ein paar Minuten nach dem Tor. Ronaldo trabt wieder mit dem Rücken zum Spielgeschehen. In der brasilianischen Hälfte bemühen sich die Ghanaer eifrig, eine Torchance zu vergeben. Ronaldo wartet auf den nächsten Angriff. Er schleicht ein bisschen im Abseits umher, hinter den Rücken der gegnerischen Verteidiger, er wechselt mit Adriano die Seite, plötzlich Antritt, Spurt. Der Ball von Ze Roberto erreicht Adriano, der frei vor Kingson steht und nur noch zum mitgelaufenen Ronaldo passen muss. Doch Adriano will nun selbst ein Tor, will vorbei, fällt. Schiedsrichter Lubos Michel zückt Gelb für Adrianos mäßig gelungene Schwalbe und entscheidet auf Freistoß für Ghana. Es läuft die 13. Spielminute.

Ronaldo hadert kurz mit seinem Sturmpartner und entscheidet sich danach wieder für eine ausgedehnte Pause. Ghana ist wütend. Man hatte sich soviel vorgenommen, man wollte den afrikanischen Kontinent stolz machen, wie es Mittelfeldmann Sulley Muntari ausdrückte. Doch das schnelle Gegentor und die gut organisierte Abwehr der Brasilianer verunsichern Ghana. Schon im Mittelfeld geht der Ball im dichten Spielernetz der Brasilianer verloren, vorne können sich Asamoah Gyan und Amoah kaum einmal behaupten. Diese Phase dauert rund 20 Minuten lang, dann entscheidet sich ganz Brasilien für eine Pause und überlässt Ghana das Spiel.

Die Afrikaner beginnen, sich Chancen zu erarbeiten, aber in der Abwehr spielen sie so wie die Deutschen bei jenem furchtbaren 1:4 in der Vorbereitung gegen Italien, als man schon das Schlimmste befürchten musste für die WM. Die Viererkette Ghanas steht viel zu weit aufgerückt und nie auf einer Linie. Als Ghana Ende der ersten Hälfte kurz vor dem Ausgleich steht, fällt die Entscheidung.

Vorne hat der aufgerückte John Mensah nach einer Ecke von Stephen Appiah gerade Torwart Dida den Ball gnädig aus fünf Metern auf den Fuß geköpft. Dann, in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit, entscheiden sich die Brasilianer, für etwa zehn Sekunden wieder aktiv am Spiel teilnehmen zu wollen, und diese Zeit genügt ihnen. Die Entstehung des 2:0 spiegelt den Spielverlauf ziemlich exakt wider: Ghana spielt sich durch Brasiliens Stars bis kurz vor den Strafraum, verschlampt den letzten Pass, läuft in geradezu selbstzerstörerischer Weise in den folgenden Konter, der durch Adrianos im Abseits befindliches Knie sein Ende erst im Tor Ghanas findet. Ghanas Trainer Ratomir Dujkovic regt sich so sehr auf, dass er dem Schiedsrichter empfiehlt, in einem gelben Trikot weiterzuspielen. Der schickt ihn auf die Tribüne.

In der zweiten Halbzeit wollen es die Ghanaer noch einmal wissen, doch sie kämpfen mit heißem Herzen und stumpfen Waffen. Kurz vor Schluss nötigen sie den bewegungsunwilligen Brasilianern noch ein paar Chancen und ein Tor auf: In der 85. Minute versagt die ghanaische Abseitsfalle ein letztes Mal und beschert Ze Roberto seinen ersten Turniertreffer.

Ronaldo sieht dem Geschehen weitgehend unbeteiligt zu, aber immer wenn man glaubt, gedanklich sei er jetzt ganz entschwunden, taucht er auf – wie ein Torjäger eben. Gerd Müller findet übrigens, dass „Ronaldo zurzeit der kompletteste Stürmer der Welt ist“. Der treffsicherste ist er seit gestern auf jeden Fall.

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