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Sport: „Sachsen, macht Faxen!“

„Sachsen, macht Faxen!“ So werden sie stets verhöhnt. So brutal wie heute jedoch sind die Dynamo-Fans der Aufforderung nie nachgekommen. Alles Hooligans also? Mitnichten. Ein Porträt der Dresdner Szene

Die Berliner Hooligan-Fahnder freuen sich schon auf Weihnachten. An Heiligabend dürfen sie ihre Handys ausschalten. An diesem Tag gibt es keine Schlägereien in Stadien, keine Zusammenrottungen im dunklen Wald, an diesem Abend sitzen auch Hooligans brav vor dem Weihnachtsbaum. Noch 51 Tage.

Eine Woche vor dem Fest aber steht der Polizei noch ein harter Arbeitstag bevor. Am 16. Dezember findet in Riesa das Hallenturnier um den Regio-Cup statt. Aus Berlin kommen der 1. FC Union und die zweite Mannschaft von Hertha BSC, dazu Chemnitz, Erfurt, Magdeburg und Dynamo Dresden, in ihrem Gefolge Heerscharen von Fans, die über Jahre gewachsene Abneigung verbindet.

Brisanter hätte die Gästeliste des Turniers kaum besetzt sein können. Frisch sind die Erinnerungen an die Freitagnacht der vergangenen Woche. Hunderte Dresdner randalierten beim Regionalliga- Spiel bei Hertha II im Jahnsportpark, Wasserwerfer rollten durch Prenzlauer Berg. Dresdner zerlegten Bierstände und schwangen die dabei erbeuteten Kupferrohre gegen die Polizisten, die wiederum Schlagstöcke und Pfefferspray einsetzten. Am Ende waren 38 Menschen verletzt, darunter 23 Beamte. „Irre, diese Dresdner“, sagte ein Sicherheitsmann und fürchtet Schlimmes vor dem morgigen Spiel des 1. FC Union in Dresden. 2000 Berliner werden die Reise antreten, und die Dresdener haben ihnen schon mal einen liebevollen Empfang angekündigt. Es gilt Sicherheitsstufe I.

Dynamo Dresden und seine Fans – das ist eine verzwickte Geschichte. Da ist erst mal die Begeisterung. Kaum ein Verein hat so viele so leidenschaftliche Anhänger wie der Drittligist aus Sachsen. Als Dynamo vor einem Jahr, damals Zweitligist, in der neuen Münchner Arena spielte, reisten 15 000 schwarz-gelbe Fans gen Süden. So viele bringen nicht mal Schalke 04 oder Borussia Dortmund mit.

Doch anders als Schalke und Dortmund ist Dynamo in fremden Stadien nur selten ein gern gesehener Gast. Da war zum Beispiel die Rückreise damals aus München. Münchner Zeitungen schrieben von 3000 Hooligans, die auf einer bayerischen Autobahn-Gaststätte wüteten, und von Raketen, die auf Zapfsäulen abgefeuert wurden. „Stoppt die Hooligans!“, forderte das Boulevardblatt „tz“, und Bayerns Innenminister Beckstein musste versprechen, dass so was nie wieder passieren werde.

„Alles aufgebauscht. Wie so oft, wenn es um Dynamo geht“, sagt Torsten Rudolph. „Die Kripo hat sich später bei uns entschuldigt, es war nicht mehr los als nach jedem beliebigen Spiel.“ Rudolph ist einer von drei hauptamtlichen Sozialpädagogen des Fanprojekts, das sich in einem Altbau am Bahnhof Dresden-Mitte eingerichtet hat. Rudolph und seine Kollegen organisieren Ferien- und Auswärtsfahrten, sie veranstalten Podiumsdiskussionen und gehen in Schulen. Zur Klientel zählen vor allem Zwölf- bis Sechzehnjährige. Rudolph nennt sie „erlebnisorientierte Jugendliche, die gehen zum Fußball und wollen auch die Party danach“.

Die Dresdner Fankultur ist geprägt von Trotz und Provokation, von Jugendarbeitslosigkeit und Verlust an Vertrauen in die lokale Politik. Festen Zusammenhalt gibt es für viele nur in der Fußballszene. Wenn die Polizei in der Fankurve jemanden festnehmen will, kommt es zur Solidarisierung. Fahnder nennen es „Gefangenenbefreiung“. Man verpfeift sich nicht, hält zusammen. So war das auch am Freitag in Berlin. „Ich will nichts beschönigen, aber die Polizei war einfach schlecht vorbereitet“, sagt Rudolph, widerspricht damit aber Berlins Polizeipräsident, der sich sogar schriftlich beschwert hat, dass Täter nicht zu Opfern gemacht werden dürfen. Rudolph dagegen meint: „Ich war zwischen den Fronten, ich habe gesehen, wie die Polizei wahllos dazwischengegangen ist.“ Damit habe sich auch ein Teil der friedlichen Fans zur Solidarisierung aufgerufen gefühlt – und die Situation sei außer Kontrolle geraten.

Die Vermittlerrolle soll der Deutsche Fußball-Bund einnehmen, der gestern die Dresdner Vereinsführung samt Fanprojekt zum Gespräch geladen hatte. Dynamo müsse weg vom Image des „Krawallklubs“, sagte DFB-Präsident Theo Zwanziger. Und Sportdirektor Matthias Sammer, einst Spieler bei Dynamo, will sich einbringen, „um die Fanszene in Dresden weiter zu entspannen“. Dynamo sei „ein wichtiger Traditionsklub, der durch die jüngsten Geschehnisse in ein schlechtes Licht gerückt wird“, sagte Sammer.

Das Fanprojekt sieht das ganz ähnlich. Dort sagt Rudolph: „Es ist leider so, dass eine große Gruppe der Gewalt nicht abgeneigt ist. Aber so sind nicht alle Fans, nicht mal die Mehrheit. Doch wegen der öffentlichen Stigmatisierung ist es gar nicht so einfach, die positiven Schichten zu puschen.“ An Dresdens Bahnstrecken stehen unter Graffiti die Kürzel vieler Crews, die auch ins Stadion gehen. Männer mit Kapuzenpulli, Anfang 20, mit weiten Hosen und Skaterschuhen. Im Stadion hängen Banner mit provokanten Namen wie „Elb-Kaida“ oder „Hooligans Elbflorenz“.

Gästefans stellen sich in Dresden schon mal in eine neutrale Kurve und halten den Mund. Es gibt ein Banner „Den Wessi- Ultras aufs Maul“ mit Buchstaben aus geklauten Fanschals. Vor zwei Jahren war der Karlsruher SC zu Gast. Nach Abpfiff wurde Jagd gemacht. Böller, Holzlatten, Steine und Flaschen flogen auf KSC-Fans. Kinder und Frauen waren unter den Angreifern. Ein Fanbus verlor beim Angriff der Hooligans die Scheiben und verließ die Stadt im Schritttempo.

Das Dresdner Publikum ist jung. Wer die Bilder vom Polizeieinsatz in Berlin sieht, der staunt über die vielen Milchgesichter, die den Polizisten gegenüberstehen. Viele kommen aus Plattenbauvierteln wie Prohlis und Gorbitz, wo die Neonazis gern ihre Aufmärsche veranstalten. „Die Dortmunder Fans sind stolz auf die Südtribüne, die Münchner auf die großen Erfolge ihrer Mannschaft“, sagt der Sozialpädagoge Rudolph. „Und eine Minderheit der Dynamo-Fans will wohl, dass man sie für die brutalsten hält.“ Aber es gibt auch andere, Rudolph hat sie in Berlin gesehen. Und gehört. Eine laute Mehrheit, die auf die unerträglichen „Juden-Berlin“-Rufe aus den eigenen Reihen mit „Nazis raus!“ antwortete. Auch das ist Dynamo.

Die Lokalpolitik tut sich schwer mit den Fans. Fußball ist hier trotz Tradition und Erfolg ein untergeordnetes Thema. Was an der zähen Diskussion über ein neues Stadion unschwer zu erkennen ist. Leipzig, Rostock und demnächst auch Magdeburg freuen sich über moderne Stadien. Dresden spielt immer noch im baufälligen Harbigstadion. Die Arena aus dem Jahr 1923 ist kein Glanzstück der Architektur. Der rissige Beton wird gestützt von Stahlrohrträgern, die Aschenbahn verwandelt sich bei Regen in eine Schlammwüste.

Finanzielle Probleme? Wohl kaum. Vor einem halben Jahr hat die Stadt ihren Wohnungsbestand verkauft und ist damit als eine der ganz wenigen Kommunen schuldenfrei. Investiert wird vor allem in den Fremdenverkehr, zuletzt in die Sanierung des Grünen Gewölbes. Als Reiseziel ist Dresden zur Weihnachtszeit gefragt wie keine andere Stadt im Osten Deutschlands. Das Orgelkonzert am 16. Dezember in der Semperoper ist ausverkauft. Die harten Jungs unter den Dresdner Fans fahren an diesem Tag zum Regio-Cup nach Riesa. Sie werden dort, acht Tage vor Heiligabend, wohl nicht nur Weihnachtslieder singen.

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