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Der Ball ist fast schon rund: Nach dem DFB-Pokalfinale bereitet die Stadt sich aufs Champions-League-Finale vor.

© André Görke

Fifa, WM und Champions League: Sauberer Fußball? Nicht um jeden Preis

Es ist viel Widersprüchliches bei der an sich berechtigten Fifa-Kritik im Spiel. Ein WM-Boykott bräche schließlich die Herzen selbst der stolzesten Fans. Warum auch die Kritik am kapitalistischen Fußball Grenzen hat. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Am 25. Mai 1983 spielten sechs italienische Weltmeister vom Vorjahr im Team von Juventus Turin. Einer war ein echter Dino und stand damals weiter im Tor: Dino Zoff, beim WM-Gewinn 1982 schon 40 Jahre alt, einer der größten Goalkeeper der Fußballgeschichte. Kaum weniger großartig ist jetzt auch Gianluigi Buffon (nur 37), der am Samstag im Berliner Olympiastadion gegen den hohen Favoriten FC Barcelona im Finale der Champions League das Juve-Tor gehütet hat. Juventus meint (ewige) Jugend.

Gegen Barça ist Turin nur der Außenseiter. In jener Mai-Nacht 1983 in Athen, als Italiens Rekordmeister im Endspiel des Europapokals der Landesmeister, wie es damals noch hieß, gegen den Hamburger SV antrat, war Juve allerdings der höchstmögliche Favorit. Denn außer den sechs Weltmeistern hatten sie noch den Franzosen Michel Platini als Mittelfeldregisseur, den zu jener Zeit besten Spieler Europas. Platini! Aber dann traf ein gewisser Felix Magath für den HSV schon in der 8. Minute – vom Strafraumeck in den selbst für Zoff unerreichbaren Winkel. Und das war’s schon, der HSV gewann 1:0. Der HSV!

1983: Da waren längst nicht alle Italiener für Juventus Turin

Ich hatte das Spiel am Fernseher in einer Hotelhalle in Rom gesehen. Das Bedauern unter den anwesenden Italiener hielt sich dabei in höflichen Grenzen. Und als ich am nächsten Tag durch eine kleine Stadt in den Hügel bei Rom ging, stand auf einer Hauswand frisch aufgepinselt: „Grazie Amburgo“, danke Hamburg. Ähnliches fand sich auch andernorts.

Das mag überraschen. In Deutschland hatten und hätten doch auch die Südlichter bei so einem Endspiel zu den Hamburger Fischköppen gehalten. Und die Hamburger später zu den Dortmunder Borussen, als die 1997 im Champions-League-Finale gegen Juventus spielten und gewannen. Ebenso die Borussen, wenn dann (nicht gerade gegen sie selbst) die Münchner dranwaren. Im Übrigen ist Juventus Turin im eigenen Land der meistgeliebte und meistgehasste Verein, genau wie bei uns der FC Bayern.

Aber das Beispiel mit „Grazie Amburgo“, in einer Gegend, wo die AS Roma oder der Lokalrivale Lazio regieren, erzählt etwas über: Identifikation. Über Fußball als Spiegel der Identität. Freilich kann der Fan auch zum Fanatiker werden, kann zwar nationale Gefühle verpönen, dabei aber nicht nur großherzig sein, sondern durchaus regionalistisch, separatistisch, im erweiterten Sinne egoistisch.

Das wäre die schlechtere Seite – oder die kulturell besondere, die es so ähnlich auch in Spanien gibt, wo mancher Madrilene und Kastilianer am Samstag wohl Schadenfreude empfindet, falls es die Katalanen von Barça gegen Juve wider Erwarten doch erwischt.

Natürlich gibt es dagegen auch das Schöne am Fan. Die gute alte Sportseele, die so wunderbar fern zu sein scheint von all dem schnöden Mammon und den Machtspielchen, die der Gnom von Zürich mit allem Fifapo noch immer beherrscht – sogar nachdem sich das Blatt in Sachen Blatter sich endlich gewendet hat. Aber es ist da auch viel Widersprüchliches, Gratismütiges, Wohlfeiles bei den an sich berechtigten Fifa-Kritikern im Spiel.

Selbst die Linke beißt sich beim Thema WM-Neuvergabe auf die Lippen - man will ja Russland nicht schaden

Platini, der mal jener fabelhafte Fußballer war – als Uefa-Boss ist er nach seiner halbherzig volltaktischen Viertelintervention gegen Blatters Wiederwahl vor einer Woche nur noch eine fette lahme Ente. Verbandelt mit den Geldscheichs von Katar, bei denen sein Sohn seinen Posten hat. Und Katar, wo es nach der WM ’22 wohl mehr neue Stadien als Fußballmannschaften geben wird, das kauft sich halt in Europa ein. Frankreichs Meister Paris Saint Germain gehört den Kataris, sie bezahlen den FC Barcelona, für den in Berlin viele Herzen schlagen, und der FC Bayern trainiert sowieso in Katar (oder China). Selbst die Linke, die naturgemäß Blatters Rücktritt gefordert hat und gegen kapitalistische Ölscheichs ist, hat sich beim Thema „Neuvergabe der WM“ gleich auf die Lippen gebissen. Dies würde ja vor Katar zuerst Russland treffen, als WM-Land 2018.

Russland mit Fragezeichen, für Putin-Sympathisanten geht das nicht. Die Grünen wiederum sind wie Teile der SPD gegen die geplante Vorratsdatenspeicherung. Allerdings, wenn es diese Bedenken ebenso in den USA oder in Italien gäbe, dann wären die (abgehörten) Fifa-Skandale so wenig aufgeflogen wie zahllose Mafiabosse oder die italienischen Liga-Manipulationen, die Juventus vor Jahren zwei Meistertitel gekostet und einen Zwangsabstieg beschert haben. Sauberer Fußball? Nicht um jeden Preis. Denn kein TV aus Russland und Katar oder gar ein WM-Boykott, das bräche die Herzen selbst der stolzesten Fans.

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