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Sport: Schadenfreude ist unser Pokal

Ich hasse die Phrase vom „Fest des Fußballs“, die von jedem Engländer zu einer WM zu hören ist: Als ob es um etwas zu essen oder trinken ginge, oder sogar um Musik oder Kino. Tut es nicht.

Ich hasse die Phrase vom „Fest des Fußballs“, die von jedem Engländer zu einer WM zu hören ist: Als ob es um etwas zu essen oder trinken ginge, oder sogar um Musik oder Kino. Tut es nicht. Es geht darum, dass man der einen Mannschaft den Sieg wünscht und der anderen die Niederlage. Es geht um endlose Not und Enttäuschung, und manchmal um Verzückung. Um Erschöpfung. Eher ein Marathon als ein Fest.

Also werde ich mich auch nicht voll fressen. Von den Gruppenspielen werde ich mir nur die anschauen, bei denen eine große Mannschaft rausfliegen kann. Da England nie die Weltmeisterschaft gewinnt, ist meine Hauptemotion in diesem Wettkampf Schadenfreude. Leider hat die Auslosung dazu geführt, dass die Mannschaften, von denen ich mir am meisten wünsche, dass sie ausscheiden – Italien, Deutschland, Argentinien, Frankreich, Brasilien – leicht die Hauptrunde erreichen werden. Nur Argentinien könnte mir die Freude bereiten und früh an Serbien und Holland scheitern.

Und da ich mein ganzes Erwachsenenleben in Italien verbracht habe, ist das Team, das ich am liebsten rausfliegen sähe, Italien. Ich liebe meine Wahlheimat, aber sein Fußballteam werde ich niemals unterstützen. Mir missfällt der Ton, den das Thema auslöst.

Die Italiener gehen mit einer ganz besonderen Stimmung in die WM, verunsichert durch den dramatischen Korruptionsskandal, der den italienischen Fußball erschüttert hat. Gegen Buffon, den Torwart, wird wegen möglicherweise illegaler Fußballwetten ermittelt. Der Trainer Marcello Lippi, der seine größten Erfolge mit Juventus Turin gefeiert hat, schwört Stein und Bein, dass er nichts von dem weit reichenden Doping des Klubarztes gewusst hat oder von dem routinemäßigen Versuch, Einfluss auf die Schiedsrichterentscheidungen zu nehmen. Die Italiener haben den glühenden Ehrgeiz, die Ehre ihres Fußballs wenigstens ein wenig wiederherzustellen. Wenn sie im Viertel- oder Halbfinale ausscheiden, wird der Schiedsrichter daran schuld sein, als Beweis, dass der Rest der Welt genauso korrupt ist wie sie. Und, wer weiß, vielleicht stimmt das ja auch. Sogar Paranoide haben Feinde.

Die englischen Fans werden Ärger machen. Die bescheidenen, bürgerlichen Zuschauer, die sich Karten durch die Ticketlotterie gesichert haben und noch nie vorher bei einem Spiel waren, werden sich die Gesichter mit albernen Farben anmalen und sich alle Mühe geben, auch Spiele wie Mexiko gegen Angola spannend zu finden. Alle werden sagen, wie toll sie die Brasilianer finden. Die Deutschen werden schlecht spielen und weiterkommen … und weiterkommen … und weiterkommen. Die Engländer werden elegant spielen und nach Elfmeterschießen im Viertelfinale ausscheiden. Die Fifa wird vom Fußball als Sport der Freundschaft quatschen und das Geld zählen. Und am Ende werde ich vor der entsetzlichen Frage stehen, welcher Mannschaft im Finale ich die Niederlage mehr wünsche. Keine einfache Wahl, sollten sich da Deutschland und Italien gegenüberstehen.

Der Engländer lebt als Romancier in Italien und hat das Fußballbuch „Eine Saison mit Verona“ geschrieben.

Tim Parks

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