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Noch nicht abgeschlossen. Michael Kempters Verhältnis zu Manfred Amerell ist immer noch Gegenstand von Ermittlungen. Foto: ddp

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Schiedsrichter-Affäre: Verhaltene Signale

Die Affäre um den früheren Schiedsrichter Manfred Amerell und junge Referees ist nicht ausgestanden. Die Anhörungen beim DFB offenbaren ein System freiwilliger und unfreiwilliger Abhängigkeiten.

Berlin - Die Gruppe feierte zu viert auf dem Hotelzimmer, es war bereits frühmorgens, irgendwann im Mai 2009 in München, und nach 20 bis 30 Minuten verließen drei aus der Gruppe das Zimmer. Zurück blieb Michael Kempter, Fußballschiedsrichter wie die anderen auch. Ein paar Stunden später würden sie alle zu einem Schiedsrichter-Stützpunkttreffen gehen. Kempter verschloss die Tür, sein Handy war ausgeschaltet, plötzlich klopfte es. Kempter machte nicht auf, er hatte eine Ahnung, wer zu ihm wollte. Und ihn wollte er nicht in seinem Zimmer: Manfred Amerell, den langjährigen Schiedsrichter-Sprecher des Deutschen Fußball-Bunds (DFB). Ein paar Minuten später klingelte das Telefon, am anderen Ende Amerell. Es sei eine „linke Tour“, die Tür nicht zu öffnen, sagte er ins Telefon. Am nächsten Tag verweigerte Amerell verärgert den Handschlag. In den nächsten Tagen habe Kempter dann „kaum noch normal mit ihm reden“ können.

So jedenfalls hat Michael Kempter diese Geschichte zu Protokoll gegeben, am 10. Februar 2010 in Frankfurt am Main im Steigenberger Airport-Hotel. Es war eine Anhörung des DFB, es ging um den Vorwurf der sexuellen Nötigung und Belästigung. Kempter fühlte sich von Amerell sexuell belästigt, andere Schiedsrichter stützten seine Vorwürfe, Amerell bestreitet sie energisch. Er ist längst von seinem Amt zurückgetreten. Beide Seiten verklagten sich gegenseitig, strafrechtlich ist alles erledigt. Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat alle Ermittlungen eingestellt. Niemand gilt als schuldig. Nun aber soll es zivilrechtlich weitergehen.

Kempter schilderte sexuelle Handlungen von Amerell bis ins Detail, machte aber auch klar, dass er sie nicht gewollt habe. Immer wieder erklärte er, dass er sich nicht freiwillig an den sexuellen Handlungen beteiligt habe.

Im Fall Kempter dreht sich die Frage immer um die Glaubwürdigkeit seiner Aussagen. Es gibt Mails und SMS von ihm an Amerell, in dem er ihm sehr persönliche und intime Details schreibt. Diese Botschaften, die Amerell lange gespeichert hielt und dann öffentlich machte, zeugen von zeitweise großer emotionaler Nähe zu dem früheren Spitzenschiedsrichter. In mehreren Interviews hat er auch, ohne Not, erklärt, dass er nicht homosexuell sei. Es ist seine Privatsache, er hätte gar nicht darüber reden müssen. Auch bei der Anhörung vor dem DFB sagte er: „Ich betrachte mich selbst nicht als homosexuell.“ Er räumt allerdings Sekunden später einen „Kontakt mit einem Mann“ ein, den er geküsst habe. Nach Informationen des Tagesspiegel erklärte er gegenüber der Staatsanwaltschaft Augsburg, er habe in den letzten zehn Jahren fünf Kontakte zu Männern gehabt. Es geht hier nicht um Fragen der sexuellen Orientierung, sondern allein um das Thema Glaubwürdigkeit.

Es bleibt wohl alles in einer Grauzone, deshalb hat der Staatsanwalt alle Ermittlungen eingestellt. Kempter erklärte in der Anhörung, dass er nicht ausschließe, dass er Amerell teilweise mit „,Schatz’ angesprochen und ihm geschrieben habe, dass ich ihn lieb hätte bzw. liebe“. Er habe damit nicht den Wunsch nach einer körperlichen Beziehung verbunden.

Auf die Frage, ob Amerell habe erkennen können, dass Kempter diese körperliche Nähe nicht wollte, sagte der 27-Jährige etwas umständlich, dass Amerell möglicherweise nicht klar habe erkennen können, dass er, Kempter, so eine körperliche Nähe ablehne. Kempter ging noch einmal auf diesen Punkt ein. „Ich schließe nicht aus, dass meine Signale hinsichtlich des bei mir fehlenden Willens nach einer körperlichen Beziehung im Hinblick auf dieses Autoritätsverhältnis und seine Bedeutung für meine weitere Laufbahn sehr verhalten ausgefallen sein könnten.“

Dass der Gedanke an die künftige Karriere immer wieder präsent war im Verhältnis zu Amerell, das sagen auch die anderen Schiedsrichter. Einer, der Amerell auch Nötigung vorwirft, erklärte gleichzeitig, dass er Nachteile für seine Karriere befürchtet habe, wenn er sich dem Schiedsrichtersprecher widersetze. Er habe versucht, einen Mittelweg zu finden, zwischen dem, was er tolerieren könne, und was er nicht mehr habe hinnehmen können. Amerell habe keinen konkreten Bezug zwischen der Annäherung und der Schiedsrichterkarriere hergestellt.

Ein weiterer Schiedsrichter, der ebenfalls Amerell Nötigung vorwirft, erklärte, er habe sich nicht getraut, Amerells Angebote abzulehnen. Weil er sonst Nachteile befürchtet habe. Amerell habe schließlich über Schiedsrichterkarrieren und deren Verlauf zu entscheiden. Der Unparteiische berichtete, er habe „sexuelle Handlungen wie in ,Trance’ über sich ergehen“ lassen. Kurz darauf sagte er, er habe Amerell vorgespielt, dass alles in Ordnung sei. Er habe befürchtet, dass ihn der Schiedsrichtersprecher sonst aufs Abstellgleis schiebe. Amerell bestreitet auch in diesem Fall nachdrücklich, dass es zur sexuellen Belästigung gekommen sei.

Ein Ende des Falles ist nicht in Sicht.

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