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Sport: Schlaflos auf einem anderen Planeten

Es war bis jetzt ein herrlicher Juni. Gleich zu Anfang des Monats, am Freitag den 31.

Es war bis jetzt ein herrlicher Juni. Gleich zu Anfang des Monats, am Freitag den 31. Mai um genau zu sein, gewannen die völligen Außenseiter aus Senegal gegen ihre ehemaligen französischen Kolonialherren beim Eröffnungsspiel der Fußball-WM. Knapp 48 Stunden danach besiegten die Los Angeles Lakers in einem der wohl dramatischsten Play-off-Spiele der NBA-Geschichte ihre hartnäckigen Rivalen aus Nordkalifornien, die Sacramento Kings. Auch in den Play-offs der NHL kam es zu einem raren siebten Spiel im Halbfinale, noch dazu zwischen den Detroit Red Wings und Colorado Avalanche, zwei rivalisierenden Mannschaften. Die jeweiligen Finalserien wurden dann zur Formsache für die Lakers und die Red Wings. Als Lakers-Fan und Bürger Groß-Detroits freuten mich beide Meisterschaften ungemein. Das einzige, was mir in den Wochen des Junis abging, war der Schlaf. Nachdem die NBA- und NHL-Spiele oft bis Mitternacht dauerten, und man sich als ordentlicher Sportfan unbedingt auch noch die Analysen und Interviews ansehen muss, war es oft erst gegen 1 Uhr, als ich ins Bett kam.

Oft aber blieb ich einfach auf, da das jeweils erste Spiel der Fußball-Weltmeisterschaft um 2 Uhr 30 anfing. Dann kamen die 4-Uhr-30-Spiele und schließlich die 7-Uhr-30-Spiele. Vor der WM hatte ich vor, die Spiele aufzunehmen, um sie in Ruhe während des Tages anzuschauen. Aber wiederum fuhr mein Sportherz dazwischen. Das ging einfach nicht. Ich musste die Spiele live sehen. Jede Minute war es wert.

Gott sei Dank, dass die NBA- und NHL-Spielzeiten nun beendet und die WM-Spiele auch weniger geworden sind, ansonsten hätte ich mit nur ein paar Stunden Schlaf am Nachmittag doch meine Probleme bekommen. Aber der Juni geht ja noch weiter. Am vergangenen Sonntag wurden wir Zeugen von Tiger Woods zweitem Triumph bei den US Open im Golf. Danach sah ich mir um 2 Uhr 30 das Spiel USA gegen Mexiko an.

Jeder, der sich mit Fußball ein wenig auskennt, weiß, dass Mexiko die USA über weite Strecken in der sogenannten Concacaf-Gruppe dominierte. Nur in den letzten Jahren begann sich dies zu ändern, wobei unsere Teams den Mexikanern zumindest ein gutes Spiel liefern konnten. Dann kam es auch zu ein paar Siegen.

Aber kaum jemand glaubte, besonders nach Mexikos hervorragender Leistung in den Gruppenspielen, dass unser Team eine Chance hatte. Aber wie Sepp Herbergers Weisheit es uns lehrt, der Ball ist rund, und das amerikanische Team viel besser als je bei einem Turnier. Der Sieg war perfekt, mit zwei herrlich herausgespielten und keinen Glückstoren. Ich sprang in meinem Arbeitszimmer auf und ab, konnte aber nicht zu laut brüllen, da meine Frau und unser Hund im zweiten Stock friedlich schliefen, wahrlich auf einem anderen Planeten als dem meinigen. Anrufe folgten sofort nach Abpfiff quer durchs Land, nach Columbus, Ohio, wo seit dem Beginn dieser WM tausende Menschen mitten in der Nacht in das Stadion der Columbus Crew kommen, um Spiele aus der Weltmeisterschaft auf dem Riesenbildschirm gemeinsam zu erleben, dito in San Jose, Kalifornien, in Charlottesville, Virginia und sogar im Arrowhead Stadion zu Kansas City, dem Heimplatz der Chiefs, einem American-Football-Team. Nach dem tollen Sieg und den Telefonanrufen quer durchs Land schlafe ich ein wenig, sodann schaue ich mir das Spiel Brasilien gegen Belgien um 7 Uhr 30 an, dann eine schnelle Dusche und auf geht es zu der Siegesparade der Red Wings in Detroit, zu der 1,2 Millionen Menschen kommen.

Wer hätte sich diesen Erfolg der US-Mannschaft gedacht? Ich war mir natürlich sicher, dass der Fußball auf der Angebotsseite in den USA mit zirka 18 Millionen Fußballern und Fußballerinnen schon große Fortschritte machte. Aber auf der Nachfrageseite haperte es gewaltig. Und die kann nur, wenn überhaupt, durch ein hervorragendes Abschneiden der männlichen Nationalmannschaft bei einer WM hergestellt werden. Plötzlich höre ich zum ersten Mal in meinem Leben Diskussionen über Fußball in den allmächtigen Sports-Talk-Radiosendungen, die die Sportkultur der USA bestimmen und auch widerspiegeln.

Soccer als Thema von Männergesprächsrunden? Als ewiger Optimist hegte ich derartige Hoffnungen für 2006 oder realistischer 2010 - aber keineswegs jetzt. Was immer man gegen die nur sechs Jahre alte Fußballprofiliga MLS einwendet, eines ist klar: Diese Liga hat zum ersten Mal Spieler hervorgebracht, die internationales Format haben. Sicherlich sind sie keine Weltstars, werden es auch nicht werden, aber sie spielen respektablen Fußball. Dazu kommen die paar US-Spieler, die in guten europäischen Ligen ihr Spiel stark verbessern konnten. So hat man eine solide, keineswegs hervorragende Mannschaft.

Gegen Deutschland werden wir verlieren, da bin ich mir sicher. Die Deutschen sind nicht Mexiko. Sie werden sich von einem Außenseiter wie den USA bei einem solch wichtigen Spiel nicht überraschen lassen. Trotzdem war es bereits jetzt ein Riesenerfolg unseres Teams, das gemeinsam mit Südkorea, Senegal und der Türkei zur größten Überraschung der WM avancierte.

Vor allem war es ein herrlicher Juni, der noch nicht zu Ende ist.

Gut schlafen werde ich dann im Juli.

Der Autor ist Politologe, Soziologe und Fußball-Fan. Er lehrt an der University of Michigan, Ann Arbor. Im Herbst erscheint in Deutschland sein Buch „Im Abseits. Fußball in der amerikanischen Sportkultur“.

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