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Sport: Schlamm-Turniere mit Eis, Saft und einem Rosenthal-Service

Wer nicht mehr alle Tassen im Schrank hat und wirklich im Finale des Grand Slam Cups gegen Thomas Haas gewannHorst Bosetzky Als meine erwachsenen Kinder Mitte der 70er Jahre in den für sie gedachten Garten gingen, forderten die progressiven Eltern unisono: "Keine Null-Summen-Spiele!" Damit war Tennis tabu, denn es kennt ja nur himmelhoch jauchzende Gewinner und zu Tode betrübte Verlierer, aber kein versöhnliches Remis.

Wer nicht mehr alle Tassen im Schrank hat und wirklich im Finale des Grand Slam Cups gegen Thomas Haas gewannHorst Bosetzky

Als meine erwachsenen Kinder Mitte der 70er Jahre in den für sie gedachten Garten gingen, forderten die progressiven Eltern unisono: "Keine Null-Summen-Spiele!" Damit war Tennis tabu, denn es kennt ja nur himmelhoch jauchzende Gewinner und zu Tode betrübte Verlierer, aber kein versöhnliches Remis. Doch dann kamen unsere Steffi und unser Boris und mit ihnen der Tennisboom. Tennis für Dennis!

Und auch unsere liebe gute alte Tante Mulle, 87, sieht sich jede Fernsehübertragung an. "Heute ist doch wieder ein großes Schlamm-Turnier, schalt mal bitte ein." - "Wie bitte?" Ich brauchte einige Zeit, um zu realisieren, dass sie vom Grand Slam gesprochen hat. Sie wird schnell böse: "Was redet der Reporter da immer von Zörwiss? Das heißt doch Serrwiies." In ihrem Rosenthal-Service fehlten leider schon einige Teller und Tassen, erfahre ich. Sie hört leider schon ein wenig schwer und hält mich deshalb während des Spiels laufend in Trab. Bei Einstand versteht sie "Eisstand" und möchte eines mit Vanille und Erdbeer, und wenn von Deuce die Rede ist, versteht sie Juice, und ich muss ihr ein Glas Apfelsaft holen. "Danke. Du hast doch auch mal Tennis gespielt. Warst du auch so gut wie die da?" - "Besser, Tante Mulle, besser." Meine Meisterschaft hatte vor allem darin bestanden, die von meiner Partnerin verschlagenen Bälle wieder einzusammeln. Entweder fanden sie sich auf den angrenzenden Mietplätzen oder auf der Straße. Schuld daran war ich natürlich. "Der Tennislehrer spielt den Ball immer dahin, wo ich bin, du schaffst das nie!" Wenigstens stöhnte sie nicht so wie Monica Seles. Am meisten Spaß hat es gemacht, gemeinsam gegen andere Paare zu spielen. Tennis ist ja auch eine der ganz seltenen Sportarten, wo sich die Damen und Herren in aller Öffentlichkeit ungeniert wettkampfmäßig paaren können, was man dann Gemischtes Doppel oder Mixed nennt. Leider ist es in letzter Zeit etwas aus der Mode gekommen, wahrscheinlich weil viele Akteure glauben, man bekäme Pickel davon (siehe Mixed Pickels).

Ich hatte damals noch einen Holzrahmenschläger Marke "henner-henkel Hammer", doch zum Schläger sagte man gemeinhin nicht Schläger, was ja auch zu sehr nach Schlägerei und Schlägertrupp klingt, sondern Racket (sprich: -r...kit), dabei allerdings übersehend, dass man racket auch mit Erpresserbande übersetzen kann und a racketeer ein Gangster ist. Ich war voller Ehrgeiz, ein guter Spieler zu werden. Als Lehrbuch diente mir Netzball, Sieg & Tennisarm von Hanjürgen Jendral. Bei der Lektüre kam ich manchmal ins Grübeln, etwa beim Ratschlag, zur Vorbereitung eines Angriffs den Ball bis kurz vor die Grundlinie zu spielen und dann bis zur Aufschlaglinie vorzustürmen: "Nicht weiter, sonst wird man überlobt und macht eine klägliche Figur." Da hatte ich als Organiationssoziologe immer geklagt, dass in deutschen Firmen und Verwaltungen viel zu wenig gelobt werde - und nun beklagte jemand das überloben. Stimme aus dem OFF: "Sprich: lopp." Ein Lob sei ein Ball, der jeden wütend mache, heißt es im Lehrbuch. "Werden Sie in eine aussichtslose Position gedrängt oder sehen Sie keine Möglichkeit, am Gegner mit einem schnellen Passierschlag vorbeizuspielen, ist der im hohen Bogen über das Netz und den Gegner hinweg geschlagene Ball die beste Lösung."

Viele Tennisspieler halten ihren Schläger wie einen Degen, und so erinnert mich ein echtes Match immer auch an ein Duell, wie wir es aus alten Filmen kennen, und blickt man in die Gesichter, so scheint es bei einer an sich so lächerlichen Sache wie einem Tennismatch wirklich um nicht Geringeres zu gehen als um Leben und Tod. Bei Beerdigungen sind die Menschen manchmal fröhlicher. Nun gut: Besser Netzattacke als Herzattacke. Besonders gelacht habe ich bei einer Tennisübertragung aus Belgien mit O-Ton Flämisch, als der Sprecher sagte: "Becker kloppte Krajicek."

Neidisch bin ich aber keinesfalls auf unseren Boris, sondern auf Anke Huber, denn was muss ich nicht alles anstellen, um in den Medien Erwähnung zu finden, sie aber braucht nur eines zu tun, um höchste PR-Werte zu erzielen: zu verlieren. Schon ist sie in allen Nachrichtensendungen: "Beim Turnier in Brechhausen an der Runze ist Anke Huber in der ersten Runde ausgeschieden." Mein Freund XY (Name ist mir bekannt) kommentiert das wie folgt: "Ist doch genial, mit seinen Ausscheidungen soviel Ruhm zu ernten."

Was muss man beim Tennis noch beachten? Erstens, dass jemand, der von einem Slice spricht, keinen Sprachfehler hat und auch nicht flucht. Zweitens, dass man seine Bälle auf Mietplätzen immer markieren sollte - und zwar so, wie alle es machen: mit drei roten Kreuzen. Drittens, dass man sich auf dem Platz nicht von seinen Assoziationen ablenken lassen sollte. So meint Smash kein neues Getränk mit aufpeitschender Wirkung (warum eigentlich nicht?), sondern einen Schmetterball, Return nicht den Wunsch, den "River of no ..." mit Marylin Monroe sehen zu wollen, sondern das Zurückbringen eines Aufschlages, und Volley nicht das besondere Ballspiel der Halle oder am Strand, sondern einen Flugball. "Man schlägt also den Ball in der Luft, ohne dass er vorher aufgesprungen ist." In der Luft, nicht in die Luft. Und wer noch nicht genügend andere Krankheiten und Wehwehchen hat, kann sich einen Tennisarm zulegen: einen entzündeten Ellenbogen.

Ab und an ruft Tante Mulle: "Komm mal, bitte, du bist heute im Fernsehen!" Und wenn ich dann erwartungsvoll ins andere Zimmer laufe, wird Tennis übertragen, und es spielt der Brite Greg Rusedski. Das klingt aus der Ferne, und wenn man nicht so genau hinhört, wirklich wie Horst Bosetzky. Diesmal spielt, Pardon: matcht (sprich: mät:scht) Bosetzky / Rusedski im Finale des Grand Slam Cups gegen Thomas Haas. 165 Minuten sind die beiden zugange, das sind zwei Stunden und 45 Minuten, und bedenkt man, dass man beim Marathonlauf so nach zwei Stunden und zehn Minuten ins Ziel kommt, ist das ganz schön lange. Allerdings sitzen Tennisspieler/innen alle naselang auf ihrem Bänkchen, wischen sich den Schweiß von der Stirn und trinken etwas. Dabei mustere ich Haas ganz genau - und finde, dass er mit Haas nicht die geringste Ähnlichkeit hat. Jetzt denken Sie sicherlich, der -ky, der hat sie nicht mehr alle ... Moment bitte: Ich meine natürlich Karl-Friedrich Haas, der für mich der größte Läufer aller Zeiten ist, wenn es um Laufstil und Ästhetik geht. Michael Johnson mag zwar runde vier Sekunden schneller sein, aber gegen Haas ist er geradezu ein Trampel. Zur Erinnerung: Karl-Friedrich H. war 1952 in Helsinki in 47,0 Olympiavierter über 400 m und hat zusammen mit Geister, Steines und Ulzheimer Bronze in der 4 x 400-m-Staffel gewonnen.

Zurück zu unserem Haas, den Thomas. Er hat gegen den Aufschlag von Bo ... sprich: Rusedski keine Chance, fährt aber immerhin noch mit knapp 1,2 Millionen Mark nach Hause. Greg Rusedski aber ist um 2,4 Millionen Mark reicher geworden. Ich mit diesem Beitrag um vielleicht 240 DM, alle Steuern und Kosten abgerechnet, zum Beispiel die Bewirtung von Tante Mulle.

Was lernen wir daraus? Dass Tennis alles andere ist als ein Null-Summen-Spiel.

Horst Bosetzky ist unter dem Kürzel -ky der erfolgreichste deutsche Krimiautor und gemäß Selbsteinschätzung ein Sportverrückter. Am Ersten eines jeden Monats macht er sich im Tagesspiegel Gedanken über Gott, die Welt und den Sport.

Horst Bosetzky

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