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Sport: Schmähen und schweigen

Der HSV verliert weiter: 1:2 gegen den FC Bayern, für den Sebastian Deisler beide Tore vorbereitet

Von Karsten Doneck, dpa

Vier Minuten vor Schluss erhob sich im Stadion ein mächtiger Chor. „Wir haben die Schnauze voll!“, sangen die Zuschauer so laut, dass es noch weit über den Hamburger Stadtteil Bahrenfeld hinaus zu hören gewesen sein muss. Der Verdruss des Publikums richtete sich gegen die Fußballer des Hamburger SV, die sich mit dem 1:2 (1:0) gegen Bayern München noch tiefer im Abstiegskampf einnisteten. Der letztjährige Meisterschaftsdritte hat eine Bilanz des Grauens: Den letzten Heimsieg gab es am 9. April, in den vergangenen 22 Pflichtspielen sprang ein einziger Sieg heraus.

Doch Trainer Thomas Doll braucht weiterhin keine Konsequenzen zu befürchten, vorerst zumindest. „Wir müssen die Ruhe bewahren“, sagte Dietmar Beiersdorfer, der Sportchef, und packte noch eine nichts sagende Floskel obendrauf: „Wir dürfen jetzt den Kopf nicht verlieren.“ Diese Parolen werden beim HSV seit Wochen ausgegeben. Besserung? Gleich null. Als wahrscheinlich gilt, dass Doll bis zur Winterpause weitermachen darf, ehe der HSV die Situation einer Tiefenanalyse unterzieht und auch Personalentscheidungen fällen wird. Vielleicht auch für oder gegen den Trainer.

Es wäre gestern für den HSV nicht einmal sonderlich schwer gewesen, die Misere ausgerechnet gegen die Bayern zu beenden. Die Münchner boten in der ersten Halbzeit eine müde, uninspirierte Leistung, ohne läuferisches Engagement, ohne erkennbaren Zusammenhalt. Zur Pause lag der HSV nach wenig unterhaltsamem Spiel 1:0 in Führung, weil Rafael van der Vaart einen Foulelfmeter, vom schwachen Demichelis an Sanogo verursacht, verwandelt hatte. Bis zum Halbzeitpfiff klappte auch das System von Doll: Wie schon in der Champions League beim FC Arsenal (1:3) versuchte es der HSV wieder mit der „Doppel-Sechs“: Raphael Wicky und van der Vaart sicherten zu zweit vor der Viererabwehrkette. Dagegen fiel den Bayern wenig ein. „Wir haben nicht eine Torchance zugelassen“, stellte Beiersdorfer fest. Nicht einmal einen Eckball erarbeiteten sich die Münchner in Durchgang eins.

Das wurde nach der Pause anders, weil Bayerns Trainer Felix Magath den spielentscheidenden Wechsel vollzogen hatte. Eine Woche, nachdem Sebastian Deisler nach 259 Tagen Verletzungspause für wenige Sekunden sein Comeback gegeben hatte, durfte er bereits für eine Halbzeit ran. Mit Deisler verschärften die Gäste das Tempo, und prompt zeigten sich in der HSV-Abwehr Abstimmungsprobleme. „Die Ordnung hat nicht mehr gestimmt“, sagte Nationalspieler Piotr Trochowski. Deisler war von den Hamburgern nicht unter Kontrolle zu bekommen, er bereitete die beiden Tore der Münchner durch Roy Makaay und Claudio Pizarro unmittelbar mit schönen Zuspielen vor. „Wir haben uns unbegreiflicherweise weit zurückgezogen, den Bayern das Feld überlassen und viel zu tief gestanden“, ärgerte sich Thomas Doll. Auch bei Arsenal hatte sein Team 1:0 in Führung gelegen. Warum der HSV so ängstlich wurde, darüber herrschte Ratlosigkeit. Am Kräftemangel kann es kaum gelegen haben. Der HSV hatte seinen Champions-League-Auftritt schon am Dienstag, der FC Bayern erst einen Tag später. „Vielleicht ist es ja die Angst vor der eigenen Courage“, sagte Doll.

Der Schmähgesang der Zuschauer aus der 86. Minute verstummte auch schnell wieder. Als Mario Fillinger 120 Sekunden vor Schluss die Riesenchance für den HSV zum zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr verdienten Ausgleich kläglich versiebte, flüchteten sich auch die treuesten Fans in Resignation: schweigend. Und auch Thomas Doll musste eingestehen: „Es war für uns alle ein sehr, sehr enttäuschender Nachmittag.“ Der ehemalige Hamburger Daniel van Buyten, im Spiel von den Fans permanent ausgepfiffen, fand am Ende seinen Frieden mit dem HSV. „Es tut mir leid, dass die jetzt so weit unten stehen“, sagte der Abwehrspieler. Mitleid allein bringt die Hamburger indes auch nicht weiter.

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