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Sport: Schrottplatz an der Côte d’Azur

Im Regen wird der Grand Prix von Monaco zum Glücksspiel – der Brite Lewis Hamilton gewinnt es

Normalerweise simulieren Computerspiele die Realität. Der Formel-1- Grand-Prix in Monaco allerdings kam eher als Simulation eines Videospiels daher. Der zum Start einsetzende Regen und die seit dem Verbot der Traktionskontrolle viel schwieriger zu beherrschenden PS-Monster hatten die Voraussetzungen für eine weitgehend realistische Umsetzung des Daddelklassikers Destruction Derby geschaffen, bei dem es darum geht, so viel Schrott wie möglich zu produzieren. Nach unzähligen Drehern, Blechschäden und Karambolagen verließ McLaren-Pilot Lewis Hamilton vor Robert Kubica im BMW-Sauber und Ferrari-Fahrer Felipe Massa den Schrottplatz an der Côte d’Azur als Erster. „Das ist der Höhepunkt meiner Karriere, aber ich kann gar nicht erklären, wie schwierig es war, hier zu fahren“, sagte der Brite, der mit seinem ersten Sieg in Monaco auch die Führung in der WM-Wertung übernahm. „Wir mussten hier praktisch die ganze Zeit auf Zehenspitzen um den Kurs schleichen.“

Bester Deutscher war Sebastian Vettel, der im Toro Rosso Fünfter wurde. Timo Glock schlingerte seinen Toyota als Zwölfer, Nick Heidfeld seinen BMW als 14. und Letzter ins Ziel. Adrian Sutil hatte im Force India einen sensationellen vierten Rang vor Augen, bis ihn kurz vor Schluss Ferrari-Pilot Kimi Räikkönen ins Aus torpedierte. Sieger in der Disziplin Kleinholz wurde aber Nico Rosberg. Er zerlegte seinen Williams nach diversen Scharmützeln spektakulär in der Hafenschikane und musste sich danach sogar einem Gesundheitscheck unterziehen.

Rosberg hatte das muntere Autozerschreddern gleich in der ersten Runde eröffnet, als er dem Renault von Fernando Alonso ins Heck rutschte. Dabei verbog er sich den Frontflügel. Ebenfalls in der Eröffnungsrunde kamen sich BMW-Sauber-Pilot Heidfeld und Honda-Fahrer Jenson Button ins Gehege. Drei Runden später rollte Glock zum Frontflügel-Service an; er war mit seinem Toyota in die Leitplanke gekreiselt. Auch Hamilton blieb nicht unverschont: Er zerpflückte bei einem Zaunkontakt sein rechtes Hinterrad und fiel danach erst einmal zurück. Alonso tat es ihm in der achten Runde in der Anfahrt zum Casino-Hügel gleich und wenige Sekunden später segelten Red-Bull-Pilot David Coulthard und Sébastien Bourdais im Toro Rosso an gleicher Stelle im Formationsflug in die Mauer. In der Folge sank die Schrottquote, was allerdings der Rennberuhigung durch das Safetycar geschuldet war. Nachdem das knapp 3,4 Kilometer lange Freibad wieder eröffnet wurde, dauerte es nicht lange bis zum nächsten Blechschaden: Wiederum war Alonso dafür zuständig, der sich mit dem von Startplatz zwölf vorgefahrenen Heidfeld ein Duell um Rang fünf geliefert hatte. In der sehr engen Loews-Haarnadel kollidierte er bei einem Überholversuch mit dem BMW seines Kontrahenten und löste eine mittlere Massenkarambolage aus, bei der Rosberg ein zweites Mal den Frontflügel verlor. Auch Heidfelds Auto wurde „so sehr beschädigt, so dass ich als Letzter keine Chance mehr hatte“, sagte der 31-Jährige und winkte ab. „Das war ein Tag zum Vergessen, aber das ist nicht so leicht.“

An der Spitze blieb der Materialverbrauch ebenfalls hoch. Räikkönen unterstrich mit einem Leitplankenkuss in der Ste.-Devote-Kurve seine Ambitionen auf einen neuen Frontflügel. Zuvor war an gleicher Stelle bereits sein Teamkollege Felipe Massa geradeaus geschossen, und bevor der Brasilianer seinen Ferrari zurück auf die Strecke bringen konnte, war BMW-Pilot Robert Kubica schon an ihm vorbei in Führung geschlüpft. Der Pole entpuppte sich für Freunde des Spektakels als eine der wenigen Enttäuschungen des Nachmittags, weil er unfallfrei durch die Fluten pflügte. „Wenn man hinter einem anderen Auto herfuhr, konnte man praktisch nichts sehen“, sagte Kubica, „deswegen habe ich versucht, so wenig Fehler wie möglich zu machen.“ Das gelang ihm zwar, dennoch reichte es nicht zum Sieg, weil Lewis Hamilton auf eine Ein-Tankstopp-Strategie und zur richtigen Zeit auf Trockenreifen umstellte.

Auch Adrian Sutil konnte die Erwartungen der Crashfans lange nicht erfüllen. Der deutsche Force-India-Pilot steuerte seinen Wagen bis sieben Minuten vor Rennende schnell und unbeschadet als Viertplatzierter durch das Trümmerfeld. „Das Team hat mir über Funk gesagt: Bring die Punkte nach Hause“, erzählte Sutil später. „Und das hätte ich auch geschafft.“ Doch Rosbergs finaler Crash in der 62. Runde läutete das Ende seiner traumhaften Fahrt ein. Der längst abgehängte Räikkönen rückte ihm durch die folgende Safetycar-Phase wieder dicht auf den Leib, und nach der Ausfahrt aus dem Tunnel geriet der Ferrari des Weltmeisters ins Schleudern und knallte Sutil ins Heck. „Es ist wie ein Traum, der zu einem Albtraum wird“, flüsterte der Deutsche geknickt. Räikkönen habe sich zwar entschuldigt, „und ich habe es angenommen. Aber es ist so traurig: Das war ein fantastisches Rennen, ich bin sogar die schnellsten Runden gefahren und ich war so kurz davor.“ Immerhin eine Leistung konnte Sutil auch Räikkönen nicht nehmen: Die letzten Tropfen des Rennens gingen auf das Konto des Deutschen. Er weinte nach seinem Aus hemmungslos.

Christian Hönicke[Monte Carlo]

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