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Auf der Suche nach Halt. Britta Steffen klammert sich bei der Schwimm-WM nach ihrem enttäuschenden Vorlauf über 100 Meter Freistil an eine Trennleine. Foto: dpa

© dpa

Schwimmen: Arbeit am Menschsein

Britta Steffens Flucht von der Schwimm-WM zeigt, dass das Bild der zunehmend selbstbewussteren Frau, das sie von sich zeichnet, große Risse hat

Berlin -Das Mädchen mit den roten Sonnenhut streckt einem Jungen die Zunge raus. Putzig, aber natürlich nicht die Szene, die der Fotograf einer Boulevardzeitung will. Der will jubelnde Fans und kreischende Kinder, deshalb ist er ja gekommen. Deshalb steht er jetzt in dieser leer geräumten Umkleidekabine im Sportbad Britz. Helfer der SG Neukölln haben hier vor einer riesigen Videowand Bierbänke und Biertische aufgebaut, es gibt Kaffee und Kuchen, und auf der Videowand läuft die Übertragung der Schwimm-WM. Die SG-Funktionäre haben Presseleute bestellt, die sollen ihren Jubel dokumentieren, weil die SG vier Leute in Schanghai hat. Zwei von ihnen schwimmen gerade in der 4-x-200-Meter-Freistil-Staffel, Benjamin Starke und Tim Wallburger.

Jetzt müssten alle kreischen, aber es kreischt niemand. Zwei Dutzend Kinder und Erwachsene starren stumm auf die Leinwand. „Bitte, Jubel“, sagt der Fotograf und schwingt seine Arme wie Windflügel. Da erbarmen sich die Fans und jubeln den Zuschauern zu, die auf der Videowand gelassen aufs nächste Rennen warten.

Es sind einfach die Falschen im Wasser; bei Britta Steffen, da hätten sie geschrien und mit den Füßen getrampelt. Aber Britta Steffen von der SG Neukölln ist zu diesem Zeitpunkt schon auf dem Heimweg. Jochen Hanz, der Pressesprecher der SG, hat Verständnis: „Wenn sie nicht schnell genug ist, hat es keinen Zweck, nochmal anzutreten.“

So kann man es sehen, man kann aber auch sagen, Steffen habe die Mannschaft im Stich gelassen. Im US-Team wäre sie hochkant rausgeflogen. Es muss etwas Dramatisches passiert sein.

Die extreme Reaktion überrascht, aber nur die. Der sportliche, besser gesagt: der psychische Einbruch, der überrascht nicht. Britta Steffen ist eine überragende Schwimmerin, aber die Souveränität, die andere in dieser Rolle entwickeln, die besitzt sie nicht. Stattdessen hat sie etwas völlig Unberechenbares. Die 27-Jährige kann unter Druck unerwartete Top-Leistungen bringen. Aber sie kann genauso gut einen Auftritt hinlegen wie jetzt.

Die Doppel-Olympiasiegerin redet gerne und mit sehr ernsthaftem Gesichtsausdruck von ihrem gestiegenen Selbstbewusstsein. Es sind Sätze, die auf der Arbeit ihrer Mentaltrainerin Friederike Janofske aufbauen. Aber die klingen bei ihr halt oft auch, als müsste sie sich dieses Selbstbewusstsein betont einreden. Dabei lebt sie diese Sätze in bestimmten Phasen, keine Frage. Ihre Erfolge sind der Beweis. Aber sie hat diese Sätze erkennbar nicht völlig verinnerlicht.

Vor der WM 2007 erklärte sie: „Ich habe einen Weg gefunden, mit dem Druck umzugehen.“ Vor der WM 2009 sagte sie: „Wenn ich verlieren sollte, wäre es traurig, aber kein Weltuntergang.“ Vor der WM 2011 sagte sie der „Süddeutschen Zeitung“: „Ich habe gelernt, mich nicht mehr so davon beeindrucken zu lassen, wie andere mich sehen.“ Das hört sich alles gut an, eine schöne Kulisse aus Worten, aber diese Kulisse bricht zusammen, wenn der Druck auf sie zu groß wird. Körperlich war sie optimal auf die WM vorbereitet, das sagt sie selbst. Also muss es an der Psyche liegen.

Es gibt einen Satz, der viel über Britta Steffen erzählt: „Wenn Du schlecht schwimmst, bist Du ein schlechter Mensch.“ Dieser Satz habe sich wie eine Kette um sie gelegt, sagte Steffen. Er war dabei, ihre Seele zu erdrücken.

Als sie diesen Satz fast dozierte, waren ihre Haare verklebt, Wassertropfen perlten an ihremSchwimmanzug. Sie hatte gerade ihren ersten Weltrekord geschwommen, 53,30 Sekunden über 100 Meter Freistil bei der EM 2006. Es war der Beginn ihrer Karriere. Sie erzählte diesen Satz, um ihre damalige Situation zu beschreiben. Jetzt, war ihre Botschaft, habe ich diese Zeit hinter mir. „Ich habe am Menschsein gearbeitet“, ist noch so ein Satz. Sie arbeitet mit Janofske daran.

Natürlich hatte Britta Steffen einen Neubeginn gestartet. Die Frau, die jedes schlechte Trainingsergebnis als fast existenzielle Niederlage empfand, die gibt es nicht mehr. Aber das Bild der souveränen Frau, das sie gerne von sich zeichnet, das gibt es auch nicht. Britta Steffen lebt irgendwo zwischen diesen Polen.

Man spürt es immer wieder. Bei den deutschen Meisterschaften 2008 verkündete sie unerwartet, dass sie bei Olympia nicht in der 4-x-200-Meter-Freistil-Staffel starten werde. Es passte nicht in ihr Wettkampfprogramm. Doch die Staffel gilt als Symbol für Teamgeist. Wer sich ihr verweigert, verstößt gegen einen Ehrenkodex. Annika Lurz, die Deutsche Meisterin über 200 Meter Freistil, tobte: „Frechheit.“ Bundestrainer Manfred Thiesmann sagte: „Auf der ganzen Welt verkraften Top-Stars so ein Programm. Warum soll es bei uns anders sein?“

Kein Schutzpanzer bewahrte Steffen vor den Folgen dieser Kritik. „Ich habe die Zeit bis zum Rennen depressiv verbracht“, gestand sie später. „Ich wusste nicht mehr, wer Freund und Feind ist.“ Das Rennen, das waren die 100 Meter Freistil. Steffen gewann in der Europarekordzeit von 53,20 Sekunden. Das sind die unerwarteten Momente im sportlichen Leben der Britta Steffen.

Kritik trifft oft den Menschen Steffen, nicht den Sportler. Sonst könnte sie mit dem üblichen Neid und den Eifersüchteleien auf eine Großverdienerin und Medienfigur umgehen. Als sie 15 Monate lang wegen gesundheitlicher Probleme pausierte, drangen Kommentare von Konkurrentinnen oder deren Umfeld zu ihr durch. „Die kommt doch nur zurück, damit sie ihre Sponsoren behalten kann.“

Tief gekränkt, mit empörtem Unterton, sagte sie bei ihrer Comeback-Pressekonferenz: „Weil ich ja eher zart besaitet bin, habe ich mir das Ganze zu Herzen genommen.“ Doch damit pumpt sie den enormen Druck, der auf ihr lastet, ohne Not weiter auf. Sie muss ja auch noch den beiden Rollen gerecht werden, in denen sie sich sieht: die Perfektionistin im Sport und im Studium. „Wer Gold will, will auch im Studium Einsen haben“, sagte sie vor der WM 2011 der „FAZ“. Britta Steffen studiert Wirtschaftsingenieurwesen.

Im November 2010 saß ihr Trainer Norbert Warnatzsch in der Berliner Schwimmhalle an der Landsberger Allee. Britta Steffen hatte gerade beim Kurzbahn-Weltcup Platz sechs über 100 Meter Freistil erreicht, ihr erster Wettkampf nach dem Comeback. Warnatzsch redete über seine Pläne bis zu den Olympischen Spielen 2012. „Das ist wie beim Hausbau“, sagte er in väterlichem Ton. „Wir haben den Keller gebaut, jetzt beginnen wir den ersten Stock hochzuziehen.“ Das nächste Ziel sei es, den ersten Stock fertig zu stellen. Dann, 2012, wird der zweite fertig sein. Übersetzt bedeutete das: Sie soll erstmal bei der WM 2011 überzeugen.

Aber jetzt muss er erst mal die Trümmer wegräumen.

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