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Schwimmen: Im Gummi-Wirrwarr

Paradox: Daniela Samulski schwimmt Europarekord. Für den deutschen Rekord reicht das aber nicht

Berlin - Es war ein textiler Unfall zum ungünstigsten Zeitpunkt, doch einen Vorwurf wollte Daniela Samulski ihrem Anzug auf keinen Fall machen. Ihr übliches Bekleidungsstück aus dem Hause Speedo, für derzeitige Schwimmverhältnisse bereits im Greisenalter von 13 Monaten, hatte die gebürtige Berlinerin für das Finale über 50 Meter Rücken gegen ein brandaktuelles Modell ausgetauscht. Und prompt riss ihr der ungewohnte Anzug zehn Minuten vor dem Start. „Was soll man machen? Das passiert schon mal“, sagte Samulski lakonisch, nachdem ihr Heimtrainer Henning Lambertz als Retter in höchster Not zu Hilfe geeilt war.

Beim Physiotherapeuten der SG Essen schnappte sich der Coach einen Tape- Streifen und versorgte die klaffende Anzugswunde mit einer Erste-Hilfe-Maßnahme. „Ein 15 Zentimeter langer Riss“, berichtete Lambertz später – als seine Athletin im geflickten Rennanzug Weltrekord über 50 Meter Rücken geschwommen war. Im Vergleich zu Samulskis Siegerzeit von 27,61 Sekunden war die Russin Anastasia Zuewa vor zwei Monaten in Moskau zwar um 14 Hundertstelsekunden schneller, auch sonst war sie zuletzt zwei Mal rascher unterwegs gewesen als die 24-jährige Deutsche. Doch die Bestmarken wurden Zuewa allesamt aberkannt. Weil es keine entsprechende Dopingprobe gab – oder weil sie bei ihrem Rekordlauf in einem jener Anzüge steckte, den der Weltverband Fina vor einer Woche im Zuge seiner ominösen Anzugs-Reglementierung für unzulässig erklärt hatte.

Die Haltbarkeit von Weltrekorden im Schwimmsport liegt im Moment zwar unter dem eines Liters Frischmilch, doch bis auf weiteres heißt die schnellste Frau der Welt im Rückensprint Daniela Samulski. „Ich bin in letzter Zeit stetig unter 28,20 geschwommen – und ich kenne nicht viele, die das geschafft haben“, erklärte sie selbstbewusst, ehe sie den aktuell wichtigen Zusatz machte: „Anzug hin oder her.“ Denn anders als Britta Steffen, die am Donnerstag in einem frischen Modell ihres Ausrüsters Adidas Weltrekord über 100 Meter Freistil schwamm, musste Samulski gestern bei ihrer Kleiderwahl fremdgehen. Am 1. Januar 2010 sollen manche der gerade zugelassenen Anzüge schon wieder verboten werden – etwa Britta Steffens fabrikfrisches Modell Hydrofoil. Steffen findet das in Ordnung, denn wie der Kollege Helge Meeuw („Zurück zu den Textilien, nicht mehr Plastikmüllbeutel“) wähnt sie den Schwimmsport auf dem Weg zur Selbstzerstörung.

Denn nicht nur die Schwimmer rätseln, was wann und wie lange gilt. Bestes Beispiel ist die neue Weltrekordlerin Samulski: Sie hatte schon am Vortag einen Europarekord erschwommen – im Vorlauf brauchte sie 27,85 Sekunden. Nur fragten sich viele: Warum war dieser Europarekord schlechter als der Deutsche Rekord von Samulski? Der stand seit 14. Juni bei 27,83 Sekunden.

Die Antwort ist kompliziert und typisch für das Wirrwarr um die Gummi-Anzüge und Gummi-Praragrafen. Ihren Deutschen Rekord ist Samulski in Monaco geschwommen. Zu diesem Zeitpunkt hieß die offizielle Inhaberin des Welt- und Europarekords über 50 Meter Rücken noch Anastasia Zuewa. Die Russin hatte am 28. April in Moskau 27,47 Sekunden angeschlagen. Was in Monaco aber keiner wusste: Zuewa hatte ihren Rekord in einem Anzug erzielt, den der Weltverband Fina nicht erlaubt hatte. Damit hätte man nachträglich Samulski zumindest den Europarekord zuerkennen müssen. Doch dafür hätte die Rekordhalterin innerhalb von 24 Stunden eine Dopingprobe abgeben müssen. Doch die Deutsche machte das nicht. Denn in Monaco wurden die Athletinnen, die zum Test mussten, ausgelost, Samulski war nicht gezogen worden. Somit ist in Monaco nur offiziell protokolliert worden: Daniela Samulski schwamm Deutschen Rekord.

Jetzt immerhin ist sie Weltrekordlerin. Was auch immer das wert ist.

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