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Sport: Sehnsucht nach dem Ball

Natascha Keller hat rechtzeitig vor der Weltmeisterschaft den Spaß am Hockeyspielen wiedergefunden

Berlin. In der Woche vor dem Abflug nach Australien hat Natascha Keller manchmal verwundert auf den Plan geschaut, den der Bundestrainer der deutschen Hockey-Nationalmannschaft seinen Spielerinnen für die letzte Vorbereitungsphase mitgegeben hat. „Pause“ stand da an manchen Tagen, oder nur ein kurzer Ausdauerlauf. Natascha Keller und ihre vier Kolleginnen vom Berliner HC hatten schon ein schlechtes Gewissen: „Hoffentlich ist das jetzt nicht zu wenig“, so kurz vor der Weltmeisterschaft. Vorsichtshalber haben sie sich dann doch an alle Vorgaben gehalten, „nicht, dass wir irgendwas falsch machen“. Am liebsten hätte Natascha Keller noch am Hallentraining ihres Klubs teilgenommen, die Sehnsucht nach dem Ball ist immer größer geworden.

Noch nie hat sich eine deutsche Damen- Nationalmannschaft derart intensiv und professionell auf ein großes Turnier vorbereitet. „Der athletische Zustand ist außerordentlich gut“, sagt Bundestrainer Peter Lemmen. Doch wenn für die Nationalmannschaft am Sonntag in Perth mit der Partie gegen Russland (8.35 Uhr MEZ) die Weltmeisterschaft beginnt, sollen die Spielerinnen nicht nur körperlich voll auf der Höhe sein; sie sollen auch mit Freude gegen den Ball schlagen. Daher die verordnete Enthaltsamkeit in den letzten Tagen vor dem Abflug. Natascha Keller sagt: „Die Lust, ein wichtiges Spiel zu machen, ist extrem groß.“

Zuletzt war das nicht immer so bei ihr. Eine Zeit lang hatte die 25-Jährige vom BHC überhaupt keine Lust auf die Nationalelf. Nach den Olympischen Spielen, bei denen die Deutschen nur auf Platz sieben gelandet waren, sei Keller in ein großes Motivationsloch geraten, sagt Lemmen. Damals hat sie sich entschieden, lieber ihr BWL-Studium erfolgreich voranzutreiben, anstatt mit der Nationalelf erfolglos der Weltspitze hinterherzuhecheln. „Es lief alles so dahin“, sagt sie.

Bei der WM in Perth soll sich das ändern. Dass die Aussichten ganz gut sind, liegt auch an Peter Lemmen. Im Januar 2001 hat er Berti Rauth als Bundestrainer abgelöst. „Eigentlich war Peter nicht so mein Traumtrainer“, sagt Natascha Keller. Lemmen aber gelang es, sie zum Weitermachen zu überreden. „Wirklich aufwändig war das nicht“, sagt Lemmen. Die erfolgreichste deutsche Stürmerin der letzten Jahre hatte längst festgestellt, „dass ich nicht ohne kann“, und die Aussicht auf die Weltmeisterschaft hat diesen Erkenntnisprozess noch beschleunigt. „Endlich wieder ein Höhepunkt im Hockeyleben“, sagt Natascha Keller.

Fünf Berlinerinnen stehen im 18er-Kader für die WM, außer Keller noch Torhüterin Louisa Walter, ihre Mitbewohnerin Britta von Livonius, Badri Latif und Janina Totzke, die Jüngste des Kaders. Kein Verein stellt mehr Spielerinnen als der BHC, und keine Spielerin ist in Deutschland zurzeit bekannter als Natascha Keller. Schon mit 15 hat sie in der Bundesliga debütiert, mit 17 ihr erstes Länderspiel bestritten, und 1999 wurde sie zur Welthockeyspielerin gewählt. Von ihrer damaligen Form „ist sie sicherlich noch ein Stückchen entfernt“, sagt Lemmen. „Ich bin auf einem guten Weg“, sagt Keller.

Auf einem guten Weg sieht der Bundestrainer auch die Mannschaft. Offizielles Ziel bei der Weltmeisterschaft ist das Halbfinale. Dass das schwierig wird, wissen alle, schon deshalb, weil Argentinien und China in der Gruppe der Deutschen spielen – der Sieger und der Finalist der diesjährigen Champions Trophy. Das deutsche Team war nicht mal qualifiziert.

Trotzdem könnte Lemmen es seinen Spielerinnen nach der harten Vorbereitung nur schwer verkaufen, wenn er sagte: „Wir wollen mal sehen, dass wir zwischen Platz fünf und acht landen.“ Von Natascha Keller glaubt der Bundestrainer, dass sie bei der WM unter günstigen Voraussetzungen „ganz groß auftrumpfen“ könne. „Sie lebt von ihrer Kreativität und ihrer Lust“, sagt Lemmen, aber sie müsse auch Geduld und Ausdauer haben, dürfe in schwierigen Situationen nicht zu früh verzagen.

Dass Keller dazu in der Lage ist, hat sie gerade gezeigt. Acht Kilogramm hat sie in den letzten Monaten abgenommen, um körperlich noch besser zu werden. Früher, als Berti Rauth Bundestrainer war, hat sich Natascha Keller allen nervenden Ermahnungen, ihr Gewicht zu reduzieren, hartnäckig widersetzt. Für sie war das nie ein Thema oder gar ein Problem. „Ich habe doch auch so gut mitgehalten“, sagt sie. Das ist jetzt anders. „Ich glaube, ich bin mir manchmal selbst noch nicht ganz sicher, wozu ich überhaupt in der Lage bin.“

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