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Sport: „Sie töten den Geist“

Mit weltweiter Unterstützung kämpfen die Ringer um ihren Verbleib in der olympischen Familie.

Berlin - So viel Betrieb war vielleicht noch nie. Karl-Martin Dittmann würde sich unter anderen Umständen gerne darauf konzentrieren, sich mit den diversen Gremien im Deutschen Ringer-Bund angesichts der neuen Lage abzustimmen. Doch sobald er zum Hörer greift, kommt dem Generalsekretär im Zweifelsfall gerade wieder ein Anrufer zuvor. „Die meisten sind sportbegeisterte Bürger, die gar keinen speziellen Bezug zu unserer Disziplin haben“, sagt Dittmann. „Die zeigen sich enttäuscht vom IOC und fragen, ob das der richtige Weg ist, sich von einem Sport mit so viel olympischer Tradition zu verabschieden.“

In anderen Ländern fielen die Reaktionen auf die Empfehlung der IOC-Exekutive, Ringen aus dem Programm für die Olympischen Spiele 2020 zu nehmen, noch drastischer aus. „Die Autoren dieser Entscheidung sollten einer Doping-Probe unterzogen werden“, twitterte der Vizeregierungschef Russlands, Dmitri Rogosin. In den USA ist eine Unterschriftenaktion gestartet worden, damit sich Präsident Barack Obama mit dem Thema befassen muss. Am ersten Tag kamen 15 000 Stimmen zusammen. „Die Herren des IOC töten den olympischen Geist“, sagte der Präsident des griechischen Ringerverbandes, Kostas Thanos. Er verweist auf die olympische Hymne, in der es heißt: „...beim Laufen, Ringen und beim Weitwurf.“.

So vehement fiel der Widerspruch aus, dass IOC-Präsident Jacques Rogge Kontakt mit dem Präsidenten des Internationalen Ringer-Verbandes (Fila) aufgenommen hat. „Sie haben versprochen, ihren Sport weiterzuentwickeln und zu kämpfen, um im Programm für 2020 bleiben zu können“, sagte Rogge. Am Wochenende erörtert der Weltverband, wie man sich im Mai in St. Petersburg vor dem IOC am überzeugendsten präsentiert. IOC-Vizepräsident Thomas Bach sagte: „Die Tür für Ringen ist noch nicht geschlossen, es ist noch nichts entschieden.“ Endgültig beschlossen wird die Zukunft des Ringens im September in Buenos Aires.

Ein paar Leute interessiert das Schicksal dieser Sportart also doch noch. Dabei ist es gerade das öffentliche Interesse, das die Exekutive des olympischen Dachverbands in Zweifel gezogen hat. Anstelle des Ringens wäre für eine oder zwei der Sportarten (Baseball/Softball, Klettern, Karate, Rollschuhsport, Squash, Wakeboarden, Wushu) Platz, die sich um die offizielle Aufnahme bewerben.

„Damit hat hier keiner gerechnet“, sagt Dittmann, „zumal in den Tagen davor andere Sportarten als Wackelkandidaten gehandelt wurden.“ Doch bevor er auf der Geschäftsstelle des Dachverbands in Dortmund in Kampfpose geht, möchte er abwarten, welche Kriterien für das Votum der IOC-Exekutive den Ausschlag gaben. Mit einer unterstellten geringen Zuschauerresonanz könnte er nur schwer leben. Bei den Spielen in Peking und London waren die Wettkämpfe im Ringen ausverkauft gewesen. Sollte jemand darauf verweisen, es gäbe kein Konzept im Kampf gegen Doping, könnte er auf die Bilanz der EM verweisen, die der Deutsche Ringer-Bund 2011 ausrichtete. Da wurden nicht nur die Medaillengewinner, sondern auch weitere Athleten nach neuesten Standards getestet.

Die vielen kleinen deutschen Traditionsvereine aus Köllerbach, Mainz, Luckenwalde und Witten würden durch ein Olympia-Aus zunächst nicht in ihrer Existenz bedroht – dafür sind sie in ihrer dörflich-ehrenamtlichen Struktur so altbacken wie fest verwurzelt. Weitaus mehr Gedanken macht sich Generalsekretär Dittmann um seine Nachwuchsringer. „Dort gibt es Talente, die ganz sicher auf die Spiele 2020 schielen“, sagt er, „und was sollen die eigentlich machen, wenn das gestrichen wird?“ Bertram Job

Bertram Job

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