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Sport: „Sie werfen Pflastersteine“

Rainer Zobel über Gewalt in Ägyptens Fußball.

Herr Zobel, wie bewerten Sie die Ausschreitungen in Ägypten beim Spiel Al-Masri gegen Al-Ahly, bei dem in Port Said mehr als 70 Menschen zu Tode kamen?

Es ist erschreckend, das Ausmaß der Gewalt hat eine neue Qualität. Latent war die Gewalt jedoch immer vorhanden.

Wie haben Sie das in Ihren drei Jahren als Trainer bei Al-Ahly in Kairo erlebt?

Ägypter haben eine andere Mentalität, speziell in der Masse. Da werden eher Grenzen überschritten, Eisentore niedergedrückt, um ins Stadion zu kommen. Bei einer Massenpanik sind in Alexandria einmal 24 Menschen gestorben. Ich hatte mir damals in Kairo Autogrammkarten drucken lassen, um sie wie in Deutschland auszuteilen – ein Fehler. Die Fans bestürmten den Mannschaftsbus, die Polizei hielt sie mit Schlagstöcken zurück.

Wie war die Rolle der Polizei in Stadien?

Bei den Spielen waren früher Tausende Polizisten und Militärs, in der Kurve waren teilweise fünf Reihen nur von ihnen besetzt. Das hatte abschreckende Wirkung, denn die Fans wussten: Die sind nicht zimperlich. Aber ich hatte dennoch manchmal ein mulmiges Gefühl, wenn wir am Suez-Kanal gespielt haben, wo auch Port Said liegt. Da war es gefährlich.

Wie hat sich das geäußert?

Als ich vor einem Auswärtsspiel in Ismaily mit meiner Familie spazieren gegangen bin, damit sie einmal den Kanal sehen, habe ich ihnen verboten, danach mit ins Stadion zu kommen.

Weshalb?

Wegen der Erlebnisse ein Jahr zuvor. Unser Management hatte nach dem Spiel den leeren Mannschaftsbus mit zugezogenen Gardinen abfahren lassen, das Team und ich fuhren in einem vergitterten Polizeiwagen. Daran musste ich denken, als ich die Bilder gesehen habe wie solche Wagen die Al-Ahly-Spieler aus dem Stadion in Port Said gerettet haben. Als wir nach der Autobahn den Bus wieder gesehen haben, war er völlig zertrümmert. Die Fans dort werfen keine kleinen Steine, sie werfen Pflastersteine.

Warum ist es am Suez-Kanal so gefährlich?

Das habe ich auch immer wieder gefragt. Einige Ägypter sagten mir, die Leute fühlen sich anders, als eigene Ethnie, weil sie zu Kolonialzeiten von Franzosen und Briten beschützt wurden und das wichtigste Gut das Landes bewachen, den Kanal. Andere sagten, es sei nur Neid auf Al-Ahly.

Ist der Verein verhasst, speziell bei Mubarak-Anhängern, wie spekuliert wurde?

Es ist wie bei Bayern München. Al-Ahly soll 30 Millionen Fans in Ägypten haben, aber 32 Millionen mögen den Klub nicht. Dass seine Anhänger bei den Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz die Speerspitze gebildet haben, hat mich verwundert. Denn Al-Ahly war eigentlich Ägyptens Team, das von der Regierung vorgezeigt und unterstützt wurde.

Wurde Al-Ahly in Port Said nicht genug vor Al-Masris anstürmenden Fans geschützt?

Mit Spekulationen über die Gründe der Katastrophe, ob das politisch motiviert war, muss man vorsichtig sein. Ägypter sind schnell mit Worten und Gerüchten. Vielleicht sind einige der Polizisten vorzeitig abgezogen, weil sie keine Lust hatten, bis zum Ende zu bleiben. Das kommt vor.

Hat sich Ägyptens Fußball verändert?

Früher gab es Gewalt nur vereinzelt außerhalb des Stadions und da schritt die Polizei mit Schlagstöcken ein. Jetzt ist es ungefährlicher, auf der Straße Widerstand zu leisten. Freiheit birgt auch Gefahren, man muss damit umgehen können. Die Saison hat schon verspätet begonnen, weil die Vereine sich nicht mehr autoritär vom Verband regieren lassen wollten. Dass in dieser Saison noch einmal Fußball gespielt wird in Ägypten, glaube ich nicht.

Das Gespräch führte Dominik Bardow.

Mehr über die Unruhen in Ägypten: Seite 3.

Rainer Zobel, 63, war als Spieler mit Bayern München dreimal Meister. Als Trainer betreute er drei Bundesligisten, Klubs im Iran, in Georgien, Südafrika und Ägypten, von 1997 bis 2000 Al-Ahly.

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