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Sport: Siegen macht verdächtig

Radprofi Jens Voigt gewinnt die Deutschland-Tour und muss sich argwöhnische Fragen anhören

In den Zeiten des Dopings im Radsport wird auch Jens Voigts Leistung argwöhnisch betrachtet. Bei der Pressekonferenz nach seinem Sieg im Zeitfahren, als sein Gesamtsieg der Deutschland-Tour 2006 so gut wie feststand, lautete die Schlussfrage: Wie er mit Zweifeln an seinem vorherigen Sieg am Arlberg umgehe? In diesem Moment wich die Fröhlichkeit aus dem Gesicht des Siegers. „Damit müssen wir jetzt leben“, antwortete Voigt. Gestern wurde Voigt in Karlsruhe auch offiziell zum Sieger der Deutschland-Tour gekürt. Die Schlussetappe der Neun-Tage- Tour über insgesamt 1358 Kilometer sicherte sich nach 172,1 Kilometern im Massensprint der Australier Graeme Brown, der seinen zweiten Etappensieg feierte. Wie in Bad Tölz zog auch diesmal Erik Zabel auf Rang zwei den Kürzeren.

Voigt weiß, dass der Generalverdacht seit dem Dopingfall Floyd Landis im Peloton stets mitfährt. „Jeder, der jetzt sehr gut fährt, gerät automatisch erst einmal ein bisschen unter Verdacht“, sagte Voigt. „Ich weiß, was ich mache. Deswegen habe ich damit auch kein Problem.“ Von Voigt stammt die drastische Forderung: „Alle Doper auf den Scheiterhaufen.“ Wer wollte sich selbst verbrennen?

Der 34-jährige Mecklenburger musste vor allem seinen ungewöhnlichen Gipfelsturm auf den Arlberg immer wieder rechtfertigen. Schließlich ist Voigt mit 1,92 Metern und fast 80 Kilo im Vergleich zum leichtgewichtigen Vorjahrssieger und Bergspezialisten Levi Leipheimer vom Team Gerolsteiner alles andere als ein Leichtgewicht im Radsport. Und dennoch feierte er seinen ersten Sieg im Hochgebirge. „Da wundert sich natürlich die Fachwelt“, sagte ein Journalist zu dem Radprofi. Der eloquente Voigt begründete seine extravagante Bergtour mit seiner Willenskraft, seiner Fähigkeit, sich zu motivieren und einem günstigen Flachstück im finalen Terrain. „Ich sage mir immer: Du musst so lange dranbleiben, wie es geht, die anderen sind auch nur Menschen“, erklärte Voigt, „na komm, jetzt schaffst du es noch bis zum Zwei-Kilometer-Schild.“ Dann habe er gesehen, dass die Landschaft oben ein bisschen flacher wird. „Da konnte ich mit dem großen Kettenblatt fahren, das kann ich wieder recht gut. Im Sprint hatte ich die etwas besseren Beine und konnte mich an Leipheimer vorbeimogeln.“

Einen Tag später in Karlsruhe feierte der sympathische Radprofi seinen 50. Profisieg. Voigt begründete seine gegenwärtige Hochform: „Ich habe mir gesagt, du fährst nach der Tour einfach weiter, bis der Körper explodiert.“ Für die Deutschland-Tour hat es sich als Glück erwiesen, dass ein deutscher Fahrer gewonnen hat, der sich stets gegen Doping positioniert hat. Sein Antritt auf der Straße und sein Auftritt vor den Medien haben nach dem Schock über den schweren Dopingverdacht gegen Jan Ullrich wieder etwas Begeisterung am Straßenrand und vor dem Bildschirm geweckt.

Jens Voigts Energieleistungen auf den insgesamt 1390,5 Kilometern und Rudolf Scharpings Kampf gegen Doping am Runden Tisch haben wahrscheinlich die Zukunft der Deutschland-Tour gerettet. Der Fernsehvertrag ist ausgelaufen. Als WDR-Intendant Fritz Pleitgen verkündete, „weiterhin Radsport im Ersten zu übertragen“, sei ihm ein Stein vom Herzen gefallen, sagte der Deutschland- Tour-Direktor Kai Rapp. Es darf nur kein neuer Dopingfall die Szene erschüttern.

Hartmut Scherzer[Karlsruhe]

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